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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

493 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kochanek, Hermann [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Die Botschaft der Mystik in den Religionen der Welt.

Verlag:

München: Kösel 1998. 400 S. 8. Lw. DM 49,90. ISBN 3-466-20433-X.

Rezensent:

Annemarie Schimmel

Die Mystik wird immer wieder als eine mögliche Brückenbauerin zwischen den Religionen gepriesen, und typischerweise hat sich in den letzten Jahren das Interesse an mystischen, freilich auch pseudo-mystischen Bewegungen sehr verstärkt. So ist das von K. herausgegebene Werk willkommen, das dem Leser ermöglicht, sich über die Grundregeln der Mystik und über mystische Strömungen in verschiedenen Religionen zu orientieren, wobei dankenswerterweise auch der "Mystik" afrikanischer Völker und nordamerikanischer Indianer Raum gegeben wird. Die verschiedenen und doch einander so ähnlichen Wege und Methoden der Mystik - wie immer man sie formulieren mag - zeigen eine Symbolik, die ähnliche Begriffe für verwandte Erfahrungen kennt, sei es in Ostasien, in Indien, im Judentum, im Christentum sowie im Islam. Man kann natürlich die verschiedensten Klassifizierungen der Mystik darlegen. Als Heiler-Schülerin sind mir seine Definitionen am vertrautesten; aber man wird auch immer wieder einsehen, daß das Wort "Mystik" für die verschiedensten Phänomene verwendet wird - ist es, um mit Loisy zu sprechen, der große Strom, der durch die Religionen fließt? Ist es die asketische Abwendung von der Welt, der "alten geilen Vettel", wie sie manchen Mystikern erschien? Ist es "die Flucht des einen zum Einen"? Ist es franziskanische Armut oder die ekstatische Erfahrung der alles verzehrenden "lebendigen Flamme der Liebe"? Oder das immer weitere Fortschreiten auf dem Wege der Erkenntnis, des nicht-intellektuellen Wissens, um die Geheimnisse Gottes zu erkennen? Es gibt wohl keine allumfassende Antwort auf diese Fragen, und das macht jede Darstellung der Mystik so schwierig.

Die einzelnen Beiträge des Buches, von bekannten Gelehrten verfaßt, bieten eine - so weit ich beurteilen kann - gute Einführung in das jeweilige Gebiet. Einige wenige Texte aus der Literatur der besprochenen Religion sollen weiter zum Verständnis helfen.

Doch als Islamwissenschaftlerin muß ich leider sagen, daß der Beitrag über den Sufismus nicht sehr befriedigend ist. Der Autor, als Kenner der islamischen Theologie ausgewiesen, konzentriert sich auf die arabischsprachige Mystik der Frühzeit, was sicherlich nützlich ist. Aber über Sufismus zu schreiben, ohne die große Rabi’a (gest. 801) zu erwähnen, der man die Einführung des Konzepts der reinen Gottesliebe verdankt, ist seltsam, und eine Darstellung des Sufismus ohne den Namen des großen Theosophen Ibn ’Arabi (gest. 1240) ist, als schreibe man über christliche Mystik, ohne Meister Eckhart zu erwähnen - Ibn ’Arabi-s theosophischer Sufismus hat die islamische Welt seit dem späten 13. Jh. zutiefst beeinflußt. Und wo sind die herrlichen Leistungen der persischen mystischen Dichter? Weder ’Attar der Verfasser hinreißender persischer Epen, noch Dschalaladdin Rumi, dessen Mathnawi als "Koran in persischer Zunge" bezeichnet wird und dessen Lyrik die mitreißendste Sammlung ekstatischer Verse enthält, erscheint! Die gewaltige Rolle der Sufis bei der Missionierung der Randgebiete des Islam, ihre wichtige Rolle in der Entwicklung der regionalen Sprachen (Urdu, Sindhi, Paschto etc.) bleibt unerwähnt, obgleich sich gerade da Parallelen zum sprachschöpferischen Werk der Mechthild von Magdeburg oder der Poesie der aus dem Hinduismus kommenden indischen bhaktas ergeben.

Besonders nützlich finde ich die abschließenden Betrachtungen über die mystischen Strömungen in der Neuzeit und der Gegenwart - sei es in den zwanziger Jahren in der Jugendbewegung oder jetzt in New Age. Auch hier sind Parallelen zu islamischen Bewegungen zu finden - so klingen manche Gedichte Rilkes wie Übertragungen von Sufi-Poesie.

Der abschließende Text des Pysikers Capra drückt Gedanken aus, die wörtlich aus Dschalaladdin Rumis Werk zu stammen scheinen, und wie nahe Ibn ’Arabi s Gedanke von der Weltentstehung durch das plötzliche Ausbrechen der göttlichen Namen aus dem deus absconditus der modernen Theorie vom Urknall steht, überrascht den Leser immer wieder.

So hoffen wir, daß die Mystik - wie immer man sie formulieren möge - gerade heute dem Menschen Wege zeigt, wieder zur Rück-Bindung an das Transzendente zu gelangen und dadurch auch liebende Toleranz gegenüber den Bekennern anderer Glaubensformen zu erreichen.