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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1037–1039

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Platzbecker, Paul

Titel/Untertitel:

Religiöse Bildung als Freiheitsgeschehen. Konturen einer religionspädagogischen Grundlagentheorie.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2012. 464 S. m. 5. Abb. u. 1 Tab. = Praktische Theologie heute, 124. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-17-022439-1.

Rezensent:

Bernd Schröder

»Christliche Religion bedarf der Bildung und Bildung bleibt ohne Religion unvollständig.« (18) Der Entfaltung und vor allem der argumentativen Herleitung dieser Doppelthese sieht sich die vorliegende, primär systematisch-theologisch begutachtete, gleichwohl zur Verleihung der venia legendi im Fach »Religionspädagogik« führende Habilitationsschrift verpflichtet. Sie wurde von Magnus Striet und Albert Biesinger begleitet und im Winterse­mes­ter 2010/11 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg angenommen. Ihr Autor Paul Platzbecker ist– nach Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonner Lehrstuhl für Theologische Propädeutik und Dogmatik (Promotion 2002) und als Studienleiter am Pädagogischen Zentrum der hessischen Bistümer (2002–2012) – seit 2012 stellvertretender Leiter des Instituts für Lehrerfortbildung in Mülheim/Ruhr.
P.s Studie möchte, darin Anstößen vor allem Rudolf Englerts folgend, nicht weniger als eine – dem state of the art in der Fundamentaltheologie genügende – »religionspädagogische Grundlagentheorie« für ein angemessenes Verständnis religiöser Bildung entwickeln (17). Darin stellt »der theologisch wie philosophisch begründete Freiheitsgedanke eine ›Grundmelodie‹ dar«, die »in den verschiedenen Diskursfeldern der Religionspädagogik« zum Klingen kommt bzw. kommen sollte (19). Das anspruchsvolle Programm wird in einer knappen »Einleitung« (Kapitel 0; 13–19) beschrieben und in sieben Kapiteln bearbeitet.
Kapitel 1 (»Zum Verhältnis systematischer und praktischer Theo­logie«, 22–75) charakterisiert P.s Verständnis von Religionspädagogik und Systematischer Theologie. Zielpunkt ist die These, beide seien aufeinander ver- und angewiesen (60), »ihre konvergierenden Anliegen [bestehen … in] Auslegung, Vermittlung und Aneignung von Religion und Glaube« (66). P. unterlegt beiden eine »freiheitsanalytische ›Letztbegründung‹« (67).
Kapitel 2 (»Grundriss einer Theologie der Freiheit«, 78–138) führt diese Begründung im Rückgriff auf den Gedankengang in P.s Dissertation (»Radikale Autonomie vor Gott denken«, Regensburg 2003) vor. Gewährsleute sind namentlich Thomas Pröpper und Hansjürgen Verweyen.
Kapitel 3 (»Lehrbare Religion – Lernender Glaube? Ein Klärungsversuch«, 140–195) und Kapitel 4 (»Bildung – Religion – Religiöse Bildung. Ein weiterer Klärungsversuch«, 196–276) holen weit aus, sie legen P.s Verständnis von »Glauben« und »Bildung« dar. Im ersten Fall liegt die religionspädagogische Pointe darin, Ermöglichungsbedingungen des »Glauben-Lernen[s]« zu benennen – »Glauben-Lernen bedeutet […] Gottes Beziehungswirklichkeit in und für sein eigenes Leben erfassen und auf sein Wort Antwort geben zu können.« (184) Im zweiten Fall geht es P. darum, einen »tragfähige[n] Bildungsbegriff« zu re-substanziieren (232) und religiöse Bildung als unverzichtbaren Teil von Bildung auszuweisen (270).
In den Kapiteln 5 (»Kompetenz als neuer Bildungsbegriff? …«, 278–334) und 6 (»Religiöse Bildung – Erfahrung – Subjekt …«, 335–407) soll sich zeigen, dass die bis dahin vorgetragenen fundamentaltheologischen Bestimmungen in religionspädagogischen Diskursen Orientierung zu geben vermögen – ebendies erweist sich als zentrales Anliegen P.s (vgl. 17). Material meldet P. in Kapitel 5 »kritische Fragen« zur Kompetenzorientierung im Religionsunterricht an (330); in Kapitel 6 insistiert er – entgegen der Einschätzung vieler Religionsdidaktiker – auf der theologischen Angemessenheit und didaktischen Fruchtbarkeit der Korrelationsdidaktik (403 ff.).
Kapitel 7 (»Konturen einer Grundlagentheorie religiöser Bildung«, 410–423) fasst den Gedankengang, bedacht auf Stimmigkeit und Begrifflichkeit, zusammen und formuliert weiterführende Fragen. Als »Nukleus des Theoriegebäudes« markiert er: »Der un­vertretbare Glaube eines jeden Einzelnen ist […] auf nicht-extrinsezistisches Verstehen und Verständnis angewiesen, um ebenso intelligibel wie kommunikabel sein zu können.« Mit anderen Worten: »Religiöse Bildung ›klärt‹ Glaube im Lichte wahrheits verpflichteter Vernunft auf.« (415)
Diesem materialen Ertrag der Studie und auch der mit dem Titel des Buches eingebrachten Programmformel »Religiöse Bildung als Freiheitsgeschehen« kann der Rezensent gerne zustimmen. P. entwickelt sein Plädoyer stringent und mit Belesenheit in systematisch-theologischen und systematisch-religionspädagogischen Diskursen. Gleichwohl wirft der Weg dorthin Fragen auf – einige seien benannt:
Irritierend ist die wiederholte Rede von »Systematik und Praxis« als verkürzter Wendung für Systematische und Praktische Theologie (17 passim); ausweislich der Begrifflichkeit und des Duktus des Buches treten beide Fächer kaum in ein symmetrisches Gespräch, vielmehr gibt die Fundamentaltheologie den Ton an. Der »transzendentalphilosophisch eruierte« (410) Begriff der Freiheit (als Ausgangspunkt der Argumentation) wird kaum einmal in Beziehung gesetzt zum empirisch beschreibbaren Selbstverständnis von Lernenden und deren tatsächlichem Modus des Freiheitsgebrauchs; der Orientierungskraft, die P. systematisch-theologischer Reflexion zuschreibt, wird im Duktus des Buches kein kritisches Potential der Religionspädagogik zur Seite gestellt – charakteristischer-weise heißt es vielmehr gegen Ende, die Erträge »religionspädago­gische[r] Empirie« seien »mit freiheitstheoretisch geschärftem Blick entschieden wahrzunehmen und besonders auf ihre (er­kenntnistheoretische) Anlage und ihre jeweilige Hermeneutik hin kritisch zu befragen« (420). Was aber ergäbe die Plausibilitätsprüfung dieser Grundlagentheorie im Licht empirischer, historischer, vergleichender Religionspädagogik?
Bedenklich stimmt der Umstand, dass die Argumentation in ihren wesentlichen Elementen ausschließlich aus katholischen Quellen entwickelt wird. Die einschlägigen elaborierten Konzepte eines Martin Luther (vgl. allerdings 80–83), eines Friedrich Schleiermacher (226 f.), eines Karl Ernst Nipkow (!), der namentlich in seinen »Grundfragen der Religionspädagogik« von 1975 ganz ähnliche Fragen wegweisend traktiert hat, geschweige denn Positionsbestimmungen der EKD kommen nicht in den Blick. Lediglich Bernhard Dressler wird wiederkehrend ins Gespräch einbezogen.
Problematisch ist auch die eingangs zitierte Doppelthese dann, wenn sie exklusiv gedacht und formuliert wird – wenn also in der Beschreibung der Wechselbeziehung zwischen Religion (d. h. hier stets: christliche Religion) und Bildung kein Raum bleibt für nicht-christliche religiöse Selbstverständnisse. Das ist wohl der Fall in Sätzen wie diesem: »Der christliche Glaube ist der Bildung […] nichts Fremdes oder gar äußerlich, sondern er ist ihr zutiefst innerlich.« (417) Muss eine Grundlagentheorie, die religiöse Bildung angesichts der pluralen Verfasstheit der Wirklichkeit reflektiert, nicht auch in ihrer Struktur erkennbar pluralitätsfreundlich sein?
Aus evangelischer Perspektive erweist sich die vorliegende Studie als durch und durch katholisch – vorderhand insofern, als an entscheidenden Stellen stets Verlautbarungen der (deutschen) Bischöfe Recht bekommen bzw. ausgelegt werden (vgl. etwa 66.87. 175 f. u. ö.). Angesichts ihres theoretischen Anspruchs auf argumentative Stringenz und Letztbegründung (17) muss dies befremden. Das entworfene Theoriegebäude beeindruckt durchaus, aber es vermag schwerlich, den in der Praxis und an empirischen Be­-funden aufbrechenden Fragen zu Konstitution und Vollzug reli­-giöser Bildung in römisch-katholischer (Mit-)Verantwortung hinreichend Rechnung zu tragen.