Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1033–1035

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Englert, Rudolf, Schwab, Ulrich, Schweitzer, Friedrich, u. Hans-Georg Ziebertz[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Welche Religionspädagogik ist pluralitätsfähig? Kontroversen um einen Leitbegriff. Strittige Punkte und weiterführende Perspektiven.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Herder 2012. 252 S. = Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft, 17. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-451-34549-4.

Rezensent:

Stephan Weyer-Menkhoff

Der Band mit dem Untertitel »Kontroversen um einen Leitbegriff« gibt einen deutlichen Einblick in den Stand gegenwärtiger religionspädagogischer Debatten. Der Leitbegriff der Pluralität wird selbst plural debattiert. Dabei werden fünf Themen von jeweils zwei Religionspädagogen kontrovers dargestellt. Darüber hinaus kommentieren die je beiden Autoren eines Themas ihre Darstellungen wechselseitig. Diese Struktur bringt das Gespräch in Gang und macht die Lektüre reizvoll. Die Gesprächssituation wird noch verstärkt, weil die Heraus­geber im letzten Viertel einzelne Darstellungen des Bandes mit je eigener Perspektive verknüpfen, diskutieren und gewichten. Durch diese Struktur ist der Band, dem keine Tagung zugrunde liegt, gewinnbringender als die üb­-licherweise nur lose durch thematische Stichwortassoziation ad­ditiv zu­sammengestellten Ta­gungssammelbände. Die religionspädgo­gischen Herausgeber reichen keine Sammlung nach, sondern geben eine didaktische Struktur vor. Pluralität bedeutet nicht Sammelsurium, sondern enthält eine Didaktik. Diese Di­daktik der Pluralität von innen her zu zeigen, macht den Band vorbildlich.
Der Herausgeberkreis hat Pluralität nicht nur thematisch aktualisiert, sondern mit seiner konfessionell paritätischen Besetzung vielmehr auf Dauer gestellt. Band 17 der Reihe »Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft« zieht von 2002 bis 2012 die Bilanz der Herausgeberschaft. Entsprechend diskutieren die Autoren konfessionell verschieden die Themen: 1. Religionsunterricht – konfessionell oder mulitreligiös; 2. Religion lernen – aus Teilnehmer- oder Beobachterperspektive; 3. Wofür muss religiöses Lernen heute nützlich sein? 4. Wie reagieren auf die Vielfalt religiöser Bedürfnisse? 5. Wie umgehen mit dem, was sich dem Verstehen entzieht?
Diskutiert wird in den verschiedenen Beiträgen immer wieder das Alteritätsproblem. Wenn Didaktik die vorgängige Zusammengehörigkeit von Person und Gegenstand, von Selbst und Welt festhält und zur wechselseitigen Erschließung eröffnet, dann kann das Phänomen des Fremden nicht unthematisiert bleiben. Als diskursive Strategien stehen kulturelle Funktionalisierung und phänomenologische Wahrnehmung einander gegenüber, Religion als unableitbares Phänomen oder als Ausdruck kultureller Sachverhalte, Gott als Heiliges oder Glaube als Konstitution des Subjekts.
Dass hier didaktisch keine einfache Entscheidung zu fällen ist, wird an dem – durch subjektivitätstheoretische Engführung be­dingten – Dilemma der Extrempositionen Thomas Rusters einerseits und Elisabeth Nauraths andererseits deutlich. Repristiniert der römisch-katholische Religionspädagoge Karl Barths Theorie der absoluten Subjektivität Gottes zu systemtheoretisch gewendeter Religionskritik, so funktionalisiert die evangelische Religionspädagogin die christliche Religion auf die Operationalisierung des bildungstheoretisch grundgelegten Freiheitsgedankens des Subjektes. Dazu werden Rechtfertigung und Subjektivität allerdings derart schlicht gleichgesetzt, dass der Kommentator zu Recht »nach theologischer Substanz fragt« (98). In beiden Fällen jedoch wird die christliche Religion im Rahmen einer Theorie des Subjektes, also nicht christologisch entfaltet. Wenn christologische Dis­tinktionen zugunsten purer Entsprechungen eingezogen werden, kommt es zu affirmativen Verdopplungen. Religion drohte dann so unterrichtet zu werden, dass die Schüler und Schülerinnen das durchaus bedingte moderne Projekt des Subjektes alternativlos als Heil oder gar Wesen Gottes zu lernen hätten.
Dass die Grundfrage der Religionspädagogik nicht mit Korrelation oder Konvergenz zu erledigen ist, zeigt der bilanzierende Beitrag des Herausgebers Rudolf Englerts: Die Frage nach dem Subjekt ist differenzierter so zu stellen, dass das Andere nicht kolonisiert wird. Auf hohem Niveau wird solch behutsames Vorgehen im fünften Themenkreis vorgeführt. Die Religionspädagogen Lothar Kuld und Bernhard Grümme erörtern phänomenologisch die Fragen von Erfahrung und Fremdheit, von Subjektivität und Alterität. Hier zeigt sich die religionspädagogische Debatte auf der Höhe philosophischer Diskussion und kulturellen Zeitgefühls: Wenn vom »Verschwinden des Subjekts« die Rede ist, wirkt die übliche religionspädagogische Losung unhinterfragbarer Subjekttorientierung von gestern. Auch die »Le­benswelt« der Schüler und Schülerinnen – ein phänomenologischer Begriff über die zen­-trale Kategorie der Subjektivität hinaus – dürfte mit der Subjekt­orientierung nicht hinreichend zu erfassen sein. Entgegen solcher Fixierung der Religionspädagogik zeigt sich der Band erfrischend plural.