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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1025–1026

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mosebach, Martin

Titel/Untertitel:

Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind.

Verlag:

München: Deutscher Taschenbuchverlag 2012. 252 S. = dtv Literatur. Kart. EUR 9,90. ISBN 978-3-423-14147-5.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Das Buch ist eine Neuauflage des bekannten Titels, der bereits in den Jahren 2002 bis 2004 in vier Auflagen im Verlag Karolinger in Wien erschienen war und nun um einige Feuilletonartikel und Vorträge erweitert auf den Markt kommt. Leider fehlt ein Verzeichnis der Entstehungs- bzw. Erstpublikationsorte. Nur der wichtigste Text des erweiterten Bandes, der »Nachtrag: De liturgia recuperanda« (214–249), ist als Rede im Deutschen Historischen Institut in Rom (wann?) nachgewiesen.
Die Überlegungen des Frankfurter Schriftstellers Martin Mosebach erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch, haben aber aufgrund der großen Resonanz in der Öffentlichkeit in letzter Zeit auch in der Liturgiewissenschaft für Unruhe gesorgt. Der militä­rische Tonfall (»Feind«, »Kämpfe«, »Brachialgewalt« etc.) ist offensichtlich bewusst gewählt; dieser gibt M.s Streitschrift gegen die Liturgiereform eine gewisse Würze und zugleich einen störend denunziatorischen Nebenton, da es ja um die Katholizität der Li­turgie gehen soll. M.s durchaus einseitige Wertungen können jedenfalls behilflich sein, die impliziten Normen im liturgiewissenschaftlichen Diskurs bewusster zu halten.
Der neue Ritus, so M.s Fundamentaleinwand, verdanke sich »einem dictatus papae« und sei »gegen schwere Bedenken vieler Bischöfe« durchgesetzt worden (216). Man habe es »niemals in der Ge­schichte der Kirche bis zu Papst Paul VI. gewagt […], folgende Hauptmerkmale der Liturgie in Frage zu stellen: die Sakralsprache; die Zelebration der Liturgie versus orientem, Priester und Gemeinde gemeinsam zum auferstehenden Christus hin ausgerichtet; schließlich das wichtigste: der Charakter der Liturgie als einer Op­ferfeier« (223). Die Hauptanklage M.s richtet sich damit – durchaus unzutreffend – gegen Papst Paul VI. In dessen Pontifikat wurde zwar das neue Missale Romanum von 1970 promulgiert. Dabei war der Papst aber keinesfalls jener modernistische Diktator, zu dem ihn M. stilisiert. Das Messbuch von 1970 stützte sich auf die Arbeit vieler Kommissionen seit 1960 (Vorbereitende Liturgiekommission seit Sommer 1960, Konzilsberatungen 1962/63, Consilium zur Umsetzung seit 1964, Gottesdienstkongregation seit 1969). Der Gebrauch der Muttersprache in der Messe war zudem bereits in der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium angeregt worden (SC 40 und 54).
M.s Urteil, der Opfercharakter der Messe sei aufgehoben, passt zu keinem der vier Hochgebete im Missale von 1970. Allein das dritte Hochgebet rückt das Opferverständnis – in römischer Tradition – so in den Mittelpunkt, dass es kaum mit der biblischen Tradition in Einklang zu bringen ist (»so bringen wir dir mit Lob und Dank dieses heilige und lebendige Opfer dar« – nach [!] den Einsetzungsworten). Der reformatorische wie der innerkatholische Einwand richtet sich nicht gegen eine Theologie des Opfers, wie sie im Neuen Testament vielfach (am prominentesten bei Paulus und im Hebräerbrief) zu finden ist, sondern gegen die Ansicht, das Opfer sei das Handeln der Kirche, wobei der ökumenische Dialog mit der Rede von der commemoratio (Anamnese) des Opfers Christi be­kanntlich über die alten Gegensätze hinausgekommen ist. Dem Messbuch Pauls VI. die Opfertheologie abzusprechen, das stellt die Tatsachen vollends auf den Kopf. Nun hat M. erklärtermaßen kein theologisches Buch geschrieben, sondern seine Eindrücke formuliert – aber er hat dabei auf dem Wege historischer Urteile zugleich kräftig ausgeteilt. Man kann und muss seine An­sichten, wie hier kurz angedeutet, auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Dem teilweise durchaus berechtigten Anliegen von M. ist allerdings kaum auf dem Wege historischer oder ritueller Einzelheiten zu begegnen. In dem Buch findet sich vieles, was in der Tat beklagenswert, wenn auch nicht der Liturgiereform als solcher anzulas­ten ist: hemdsärmeliger Ringbuchagendenstil (153), mangelndes Verständnis des Geheimnisses und das, was man die »Verwohnzimmerung« der Liturgie genannt hat (ein durchaus konfessionsübergreifendes Phänomen). Dass aber der Protestantismus nur in der Sicht »des in Deutschland verbreiteten anti-römischen Affekts seit Martin Luther« zu Sprache kommt (229) und die Kritik an der unverständlich gemurmelten lateinischen Sprache mit Alfred Ro­senberg »aus dem Herzen der Nazi-Weltanschauung« hergeleitet wird (ebd.), das ist eine Maßlosigkeit, die man dem Ästheten M. – gerade bei einer in Rom gehaltenen Rede – nicht durchgehen lassen kann.
Weiterhin ist M.s Kampf für die alte und gegen die neue Liturgie inzwischen überholt, denn seit dem Motu proprio Summorum Pontificium Benedikts XVI. (07.07.2007) gelten beide als ein und derselbe Ritus: »Das von Paul VI. promulgierte Römische Messbuch ist die ordentliche Ausdrucksform der ›Lex orandi‹ der katholischen Kirche des lateinischen Ritus. Das vom heiligen Pius V. promulgierte und vom seligen Johannes XXIII. neu herausgegebene Messbuch hat hingegen als außerordentliche Ausdrucksform derselben ›Lex orandi‹ zu gelten […] Diese zwei Ausdrucksformen […] sind zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus.« (SP 1) M.s An­sicht »Jeder Ritus ist unveränderbar« (218) ist damit widersprochen. Mindestens dazu hätte man sich in dem Buch eine Stellungnahme gewünscht. Ist damit die Kritik hinfällig – und hätte M. als Katholik nach so viel päpstlicher Irenik nicht allen Grund, seine harsche Polemik gegen die geltende römische Liturgie zu modifizieren oder zurückzunehmen?