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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1019–1020

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Furler, Frieder

Titel/Untertitel:

Diakonie – eine praktische Perspektive. Vom Wesensmerkmal zum sichtbaren Zeichen der Kirche.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2012. 192 S. Kart. EUR 25,20. ISBN 978-3-290-17641-9.

Rezensent:

Johannes Eurich

Der Zürcher Pfarrer Frieder Furler, zuständig für Diakonie und Katechetik bei der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, hat eine Einführung zur Diakonie in praktischer Perspektive vorgelegt. Bezugspunkt ist dabei die Situation der evangelischen Kirche im Kanton Zürich, die entsprechend ihrer reformierten Tradition eine enge Verbindung zu staatlichen Stellen und allgemein wohltätigen sozialen Institutionen pflegt.
Im ersten Teil des Buches legt F. Werte und Ziele diakonischer Kirche dar. Zentrales Scharnier seines Ansatzes ist die Mahlsgemeinschaft Jesu als Modell einer diakonischen Kirche. Dieses Modell wird zwischen den Polen Solidarität, Gerechtigkeit und Recht verankert und anhand der Erzählungen vom barmherzigen Samariter bzw. der Rede vom Weltgericht (Mt 25) als weltweiter Weg der Nächstenliebe in sechs Merkmalen veranschaulicht. Diesen Weg zeichnet F. im zweiten Teil in historischer Perspektive von den Anfängen der Christenheit bis heute in knappen Strichen nach. Ein Fazit in sechs Punkten schlägt den Bogen von der Ge­schichte zum weiteren Weg der Diakonie. Dieser wird durch die gegenwärtigen Herausforderungen im dritten Teil näher beleuchtet: Als Erstes wird Indivi­dualisierung nicht nur als Krise, sondern auch als Chance für eine (politische) Diakonie beschrieben, wobei die Bedeutung von Mitgliedschaftstypen der Kirche und Glaubensorientierungen für diakonisches Handeln anhand der Sinus-Milieus für die Schweiz detaillierter vorgestellt werden. Weitere Aspekte betreffen die Globalisierung und die Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die jeweils wieder als Chance und Krise verstanden werden. Hier markiert F. wichtige Fragen zur Klärung des Verhältnisses zwischen Kirche, »freier Diakonie« (nach Wichern) und Zivilgesellschaft.
Leider versäumt er es zu zeigen, wie sein Modell der Mahlsgemeinschaft mit seiner Forderung nach einer weitergehenden Professionalisierung und Spezialisierung der Diakonie in der Zivilgesellschaft zusammen zu denken oder praktisch umzusetzen ist. Dafür nimmt die Ausdifferenzierung der zehn Sinus-Milieus für die Schweiz und ihre diakonische Bedeutung wieder einen relativ breiten Raum ein. Im vierten Teil werden vier Handlungsfelder der Kirche in Anlehnung an Calvins vier kirchliche Ämter unterschieden und dann das Handlungsfeld »Diakonie und Seelsorge« an­hand seiner Kernthemen und Aktionsradien entfaltet.
Weitere Konkretisierungen folgen im fünften und sechsten Teil: Zunächst werden Orte der Diakonie hinsichtlich der lokalen Kirchengemeinde wie auch der übergemeindlichen und weltweiten Diakonie erläutert und dann im sechsten Teil hinsichtlich der Akteurinnen und Akteure und ihrer Arbeitsweisen expliziert. Beide Teile bilden zusammen den Mittelpunkt des Bandes, auch von ihrem Umfang her. Dabei greift F. auf das Modell der Mahlsgemeinschaft zurück und leitet daraus ein Vier-Säulen-Modell der Diakonie mit Gastfreundschaft, Dienstfreundlichkeit, Außen- und Innenräumen und Angeboten zur Teilhabe ab, das dann auf einzelne Hilfefelder bezogen wird. Ebenso kommen die unterschiedlichen Ak­teursgruppen (allgemeines Diakonat, freiwillig Tätige, Pfarrer und Pfarrerinnen, Zürcher Sozialdiakonat, Kirchenpfleger) in ihren Funktionen in den Blick. Auffallend bei den Arbeitsweisen der Diakonie ist die unbefangene Akzentuierung des Mehrwerts kirchlich-diakonischer Identität, die in einem Marktumfeld als Vorteil ausgespielt werden sollte. – Damit setzt sich F. deutlich von der Einführung in die Diakonie von Rüegger und Sigrist ab. Im letzten Teil des Buches wird am Beispiel des Kantons Zürich die Ressourcenfrage exemplarisch am Vergleich von diakonischen und kultischen Kosten dargestellt. Abschließend bündelt F. den Ertrag seiner Darlegungen in zwölf Leitsätzen zur Diakonie, die seine Perspektive prägnant zu­sammenfassen.
Das Buch ist aus der praktischen Perspektive für die Praxis ge­schrieben. Es will keine wissenschaftliche Durchdringung des Themas bieten, darauf weist schon der Verzicht auf Fußnoten hin (die verwendete Literatur ist am Ende des Buches zusammengestellt). Dieser Vorgehensweise entspricht die Darstellung der In­halte, die meistens in knappen Bündelungen relevanter Punkte gehalten ist. Spannungen etwa zwischen Solidarität und Gerechtigkeit werden benannt, aber nicht entfaltet oder problematisiert, wie dies leicht am Beispiel der Tafelbewegung auch in praktischer Perspektive hätte getan werden können. So eignet sich der Band als (unkritische) Basisinformation für Christen, die sich diakonisch engagieren möchten. Er kann an interessierte Menschen außerhalb der Kirche – etwa an Mitarbeitende nicht-christlicher NGOs – weitergegeben werden als Erläuterung des diakonischen Engagements der Kirche. Bisweilen hätte man sich freilich etwas mehr kritische Distanz zu den dargestellten Positionen gewünscht. So wird etwa wiederholt auf die Sinus-Milieu-Studie zur Begründung von Konsequenzen für das diakonische Handeln der Kirche zurück­ge­grif­fen, ohne wenigstens etwas die Anfragen an eine solche Milieu-Studie an sich oder die Diskussion darüber, welche Konsequenzen man aus einer solchen Studie ableiten kann, zu berücksichtigen.