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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1018–1019

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Möllenbeck, Thomas, u. Berthold Wald[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liebe undGlück. Annäherungen mit C. S. Lewis und Josef Pieper.

Verlag:

Paderborn: Schöningh 2012. 230 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-77666-2.

Rezensent:

Michael Roth

Die Aufsatzsammlung präsentiert die überarbeiteten Vorträge der von der Josef Pieper-Arbeitsstelle an der Theologischen Fakultät Pa­derborn am 22. und 23. Juli 2011 veranstalteten Tagung »Die Liebe – ›Ur-Geschenk‹ des Lebens. Annäherungen mit C. S. Lewis und Josef Pieper«. – Thomas Möllenbeck bedenkt in der Auseinandersetzung mit Tschai­kowskis tragischer Oper Pique Dame die »Spannung zwischen Liebe und Glück« (9–20) und geht der Frage nach, ob – trotz der allgemein angenommenen Verbindung von Eros und Glück – der Eros tatsächlich Glück sucht; denn »[i]n Pique Dame scheint die tragische Handlung eher den unbewußten Versuch einer ›Reinigung‹ des Eros im Irdischen darzustellen« (18).
Die folgenden vier Beiträge wenden sich dem Verhältnis von Eros und Agape, bedürftiger und schenkender Liebe zu. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz fragt in Auseinandersetzung mit biblischen und griechischen Denkerfahrungen nach einem in die übrigen Formen der Liebe eingebundenen Eros (23–44). Die Aufsätze von Jörg Splett, Franziskus von Heereman und Berthold Wald gehen der Frage nach, inwiefern die bedürftige Liebe tatsächlich – wie vor allem von Pieper behauptet – als Kern und Beginn menschlicher Liebe betrachtet werden kann.
So stimmt Splett in seinem Aufsatz (45–71) Pieper und Lewis zwar in ihrem Kampf gegen eine Abwertung des Eros zu, will jedoch zeigen, dass man dabei nicht so weit gehen muss, »den Eros als die eigene Grundgestalt menschlicher Liebe zu sehen, als die Grunddynamik des Geschöpfs überhaupt« (55). Ein ähnliches Interesse verfolgt von Heereman (72–86), für den der Eros »natürlich etwas Gutes und Gebotenes, aber keineswegs […] Wesen und Maß geschöpflicher Liebe« (78) ist. Nur von einer Liebe, »die fundamental ein Für-den-Anderen ist«, lasse sich zeigen, »was dasjenige an der Liebe ist, das uns erlaubt, das Absolute als die Liebe zu bezeichnen, ihr eine Heiligkeit und sittliche Vollkommenheit zuzumessen, die jede andere geistige Wirklichkeit um ein Unendliches überragt« (75). Weil Splett und von Heereman ihre Überlegungen nicht an der Wirklichkeit der menschlichen Liebe ausweisen, sondern eine Wesensbestimmung der Liebe im spekulativen Anschluss an das Wesen der göttlichen Liebe vornehmen, vermögen ihre Deduktionen das Phänomen der Liebe nicht wirklich zu beleuchten. Entsprechend kritisch mit Splett und von Heereman setzt sich der Beitrag von Wald (87–114) auseinander, der Piepers These von der Konvenienz von bedürftiger und schenkender Liebe darzustellen und Mißdeutungen derselben auszuräumen beabsichtigt. Dabei zeigt er, dass Pieper »auf einer allgemein verbindlichen Basis der Verständigung [insis­tiert]« und dem »Erklärungsanspruch der Vernunft [mißtraut], wo dieser das in der lebendigen Sprache eingekörperte Wissen ignoriert« (88). Dieser Ausgangspunkt erlaube es Pieper, die bedürftige Liebe nicht als Fehlform einer reinen, nur schenkenden Liebe zu diskreditieren, sondern als Kern und Beginn menschlicher Liebe zu erkennen. Die Entgegensetzung von bedürfender Liebe und selbstloser Liebe erblickt Wald demgegenüber als Konsequenz einer »Vorentscheidung«, die »im Vorrang abstrakter Wesensbegriffe vor der Wirklichkeit der Sache« (93) bestehe.
Die beiden nächsten Aufsätze stellen das Denken von C. S. Lewis in den Mittelpunkt. Lewis, der seiner Profession nach Literaturwissenschaftler und Literaturhistoriker war, setzte sich, bevor er sich philosophisch und theologisch mit der Liebe befasste, auch literaturgeschichtlich mit dem Phänomen auseinander.
Diesen Arbeiten widmet sich der Aufsatz von Till Kinzel (117–132). Im Mittelpunkt steht dabei Lewis Hauptarbeitsgebiet in der Literaturwissenschaft, die englische Literatur des Mittelalters und der Renaissance. »Eine genauere Analyse von Lewis’ literaturwissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Phänomen und Problem der Liebe ist […] einerseits von Interesse im Hinblick auf die literarischen Quellen, welche es für die von Lewis später sachlich entwickelten Thesen und Auffassungen geben mag. Sie ist aber auch von Interesse, weil die Literatur selbst einen großen Anteil daran hat, wie wir über das Phänomen Liebe und ihre Spielarten denken und fühlen« (118). Norbert Feinendegen wendet sich der »Ontologie der Liebe bei C. S. Lewis« zu (133–172) und weist auf, inwiefern bei Lewis das Ziel des Menschen im »Eintreten in die Beziehungseinheit der göttlichen Liebe« (153) liegt: »Gott zu sein, ihm ähnlich zu sein, indem man in kreatürlicher Antwort an seiner Herrlichkeit teilhat, oder unglücklich zu sein – dies sind für Lewis […] die drei einzigen Möglichkeiten, die es gibt« (155).
Die beiden letzten Beiträge des Bandes widmen sich noch einmal stärker dem Denken von Josef Pieper.
Stephan Herzberg bringt Pieper mit Ernst Tugendhat ins Gespräch (175–209). Während Tu­gendhat in seiner Studie »Egozentrizität und Mystik« (München 2003) die aus der Egozentrizität resultierenden Leiden und Lasten überwinden wolle, indem er empfehle, vom Wichtignehmen seiner selbst und seiner Ziele zurückzutreten und in einer mystischen Haltung die eigene Egozentrizität zu transzendieren oder zu relativieren (vgl. 178 f.), skizziert Herzberg im An­schluss an Pieper eine alternative Konzeption des guten Lebens, »in der die aus der Egozentrizität resultierenden Lasten und Leiden […] dadurch [bewältigt werden], daß der eigene Selbstbezug in der (wohlwollenden) Liebe zwischen zwei Personen entschränkt und ihre Lasten und Leiden wechselseitig mitgetragen werden« (191). Im Blick auf die Debatte um das Mysterium der Eucha­-ris­tie fragt Stefan Oster (210–222), inwiefern Pieper, der gemeinhin als »treuer und kun­diger Sachverwalter der aristotelisch-thomanischen Philosophie wahrgenommen« (214) werde, dennoch als Wegbereiter einer relativen Ontologie verstanden werden kann, so dass sein Denken hilft, einen Weg zu finden, »klassisches Denken des substanziellen Wirklichen mit einem (nur vermeintlich) modernen Denken der Relation zu versöhnen« (222).