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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1015–1017

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Link, Christian

Titel/Untertitel:

Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Ge­genüber von Naturwissenschaft und Ökologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. 320 S. Geb. EUR 39,00. ISBN 978-3-7887-2585-3.

Rezensent:

Dirk Evers

20 Jahre nach seinem Beitrag »Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts« zum »Handbuch Systematischer Theologie« (Bd. 7/2, 1991) hat der emeritierte Bochumer Dogmatiker Christian Link einen aktualisierten und gründlich überarbeiteten Entwurf zur Schöpfungstheologie vorgelegt. Er folgt dabei den einzelnen Schritten seines damaligen Werkes. Allerdings haben vor allen Dingen die beiden Kapitel grundlegende Veränderungen erfahren, die nach L. den wesentlichen Herausforderungen heutiger christlicher Schöpfungstheologie gewidmet sind: die Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Na­turwissenschaft sowie die Frage nach den ökologischen Ge­fährdungen der Natur. Zur Auseinandersetzung mit einem na­turwissenschaftlich bestimmten Weltverständnis hat L. nun die angelsächsische De­batte um »Science and Religion« stärker mit einbezogen, in Blick auf die Ökologie ist er vor allem auf die Frage nach dem Eigenwert und der Würde der Natur eingegangen. In alledem ist sich L. seinem ursprünglichen, an biblischen und reformierten Traditionen orientierten Ansatz treu ge­blieben.
Der Band ist in fünf Kapitel gegliedert. Die kurze Einleitung beschreibt die Frage nach der Schöpfung zu Beginn des 21. Jh.s angesichts des methodischen Atheismus und gesellschaftlichen Säkularismus, um dann theologische Neuansätze der letzten Jahrzehnte kurz vorzustellen (15–31). Es folgt eine ausführliche Darlegung der biblischen schöpfungstheologischen Perspektiven (32–108), an die sich dann die beiden großen Kapitel zur Schöpfung im Horizont naturwissenschaftlicher Anfragen (109–187) und zur Schöpfung im Horizont ökologischer Herausforderungen an­schließen (188–253). Den Schluss bildet das Kapitel »Dogmatische Rechenschaft« (254–372), das die materialen dogmatischen Konsequenzen systematisch zur Darstellung bringt.
Schon zu Beginn der Entfaltung der biblischen Texte thematisiert L. zwei Themen, die seine Schöpfungstheologie durchgängig prägen. Zum einen geht es um die Frage, in welcher Hinsicht die Schöpfung ein Anfang ist. L. vertritt die These, dass schon biblisch mit dem durch Gott gesetzten Anfang der geschaffenen Wirklichkeit auf keinen historischen Zeitpunkt Bezug genommen wird, sondern auf ein bleibend aktuelles Grundmoment von Schöpfung aufmerksam gemacht wird, das vielfältige Neuanfänge in der Ge­schichte, aber auch die »utopische« Vollendung der Schöpfung mit umfasst. Und an diese Einsicht anknüpfend macht L. zum anderen geltend, dass damit Natur (oder auch Kosmos oder Welt) nicht mit dem theologischen Begriff von Schöpfung identisch ist, vielmehr Schöpfung zwar Natur in all ihren Facetten umgreift, sie aber zugleich übersteigt, indem sie auf die nicht abgegoltenen Überschüsse verweist, die nicht im natürlichen Geschehen aufgehen. Mit dieser Leitdifferenz zwischen Natur und Schöpfung wird dann anhand einer breiten Fülle biblischer Texte das gottoffene Ordnungsgefüge der Schöpfung beschrieben, die Gleichnisfunk tion der Schöpfung für das Reich Gottes dargestellt und der Zusam­menhang von Schöpfung und Befreiung der wartenden Kreatur erläutert. Eine besondere Hervorhebung verdient der Ab­schnitt 2.5, der den Platz der Tiere im Gottesbund erläutert, eine der wenigen Reflexionen auf das Tier-Mensch-Verhältnis, die sich in der systematisch-theologischen Literatur findet.
Die Erörterung des menschlichen Schöpfungsauftrags im Raum zwischen Natur und Geschichte leitet dann zum Dialog zwischen Schöpfungstheologie und Naturwissenschaften über. L. geht von einem spannungsreichen, aber komplementären Perspektivendualismus zwischen Re­ligion bzw. Theologie (hier wird leider nicht differenziert) und Naturwissenschaften aus, dem we­der Kreationismus noch Intelligent Design gerecht werden. An­hand der Debatte um das Verhältnis von Evolution und Schöpfung erläutert L. diese Komplementarität in Bezug auf die Zeitlichkeit der Schöpfung und Gottes Wirken in ihr: Während die Naturwissenschaft (Singular!) methodisch den Modus der Gegenwart fixiere, könne die Theologie diese Perspektive methodisch gerade nicht einnehmen, weil sie die Wirklichkeit vom Unverfügbaren, von der als adventus verstandenen schlechthinnigen Zukunft des Reiches Gottes her begreift.
Der folgende Abschnitt ist dem Dialogmodell des Kritischen Realismus gewidmet, wie es in den 80er Jahren Ian Barbour, Arthur Peacocke und John Polkinghorne vertreten haben und das nach L.s Überzeugung besser in der Lage ist, den theologisch prekären methodischen Atheismus Cartesisch-Kantischer Prägung zu überwinden, der sich allein an den subjektivitätstheoretisch fundierten Verstehensbedingungen orientiert, sich aber nicht mehr auf eine bewusstseinsunabhängige Natur beziehen kann. Wird ein solches Verständnis von Naturwissenschaft überwunden zugunsten eines kritischen Realismus, so sollte eine »Einheit des Wissens« im Sinne einer Konsonanz von Theologie und Naturwissenschaft (Polkinghorne) zumindest als Zielvorgabe eines gegenseitigen Austauschs wieder denkbar werden. Als Brückenprinzip stellt sich L. eine Theo­logie der Natur vor, »die den Gottesglauben explizit als eine theologisch begründete Voraussetzung in Rechnung stellt und ihn nun argumentativ auf die Welt bezieht« (171). Es bleibt allerdings unklar, inwieweit dies tatsächlich einen wechselseitigen Dialog zu begründen vermag. Als exemplarisch sieht L. in dieser Hinsicht das Werk des Arztes Viktor von Weizsäcker an, dessen Darstellung dieses Kapitel beschließt.
Es folgt im Sinne der zweiten Herausforderung gegenwärti-ger Schöpfungstheologie die Auseinandersetzung mit der ökolo­gischen Krise, die die Frage nach einem schöpfungsgemäßen Um­gang des Menschen mit der Natur zur Überlebensfrage der Menschheit werden lässt und damit bis auf theologische Kernfragen durchschlägt. Auch hier kann der Rezensent nur auf einige wichtige Themen hinweisen. Eindrucksvoll sind L.s Erwägungen zur Frage, ob nicht auch der (nicht-menschlichen) Natur selbst Rechte zukommen in Analogie zu den Menschenrechten und wie Eigenwert und Würde der Natur theologisch begründet werden könnten. Auch hier finden sich wieder Erläuterungen zum Mensch-Tier-Verhältnis und den Konsequenzen für eine entsprechende Bioethik. L. plädiert für eine Ethik der Selbstbegrenzung, die er an die im 2. Kapitel gewonnenen Einsichten zum biblischen Schöpfungsauftrag zurückbindet.
Mit einer Rechenschaft über eine gegenwärtig zu verantwortende christlich-dogmatische Lehrbildung schließt der Band. Auch hier kommt L. noch einmal auf die Frage nach dem Anfang zurück, den er als den bleibend aktuellen Anfang, als gegenwärtig wirkenden und aus der Zukunft wirksamen Ursprung entfaltet. Eingebettet wird die Schöpfungstheologie in eine Entfaltung der Trinitätslehre, die – deren Erkenntnisweg folgend – von der öko-nomischen Trinität hin zum Schöpfungsratschluss Gottes führt, um von da aus dann die Schöpfermittlerschaft des Sohnes und die die Schöpfung belebende Kraft des Geistes in den Blick zu nehmen. Aus dem Zusammenhang der Vorsehungslehre sei auf L.s Erörterung der Theodizeeproblematik verwiesen. Gott ist in biblischer Perspektive nicht über dem Leiden, sondern mitten in ihm zu finden, so dass Schöpfungstheologie für L. theodizeesensibel zu sein und zu bleiben hat, ohne letzte Antworten auf die Theo­dizeefrage liefern zu können. Der Band schließt mit einem Ab­schnitt über die Vollendung der Schöpfung, in dem noch einmal der Überschuss, den L. im Begriff der Schöpfung gegenüber dem der Natur geltend gemacht hatte, zum Tragen kommt. Die vollendete Schöpfung ist im Wortsinn »Utopie«, insofern sie die natürliche, vergehende Welt übersteigt, und sie doch zugleich in sich aufnimmt.
L. hat mit diesem Band einen eindrucksvollen Durchgang durch zentrale dogmatische Fragestellung gegenwärtiger Schöpfungstheologie vorgelegt. Er ist dabei seinem biblisch-theologischen Ansatz treu geblieben, so dass wirkliche Überraschungen ausbleiben. Angesichts einer gewissen Schöpfungsvergessenheit, die die protestantische systematische Theologie mit ihrer Konzentration auf individuelle religiöse Deutungsvorgänge befallen ha­ben mag, hält L.s Entwurf an der Aufgabe einer materialen dogmatischen Schöpfungslehre fest, die sich konstruktiv-kritisch zu den sich mit Nachdruck stellenden Herausforderungen durch Wissenschaft und Ökologie ins Verhältnis setzt.