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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

1005–1007

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schwenzfeuer, Sebastian

Titel/Untertitel:

Natur und Subjekt. Die Grundlegung der schellingschen Naturphilosophie.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Karl Alber 2012. 304 S. = Beiträge zur Schelling-Forschung, 3. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-495-48488-3.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Zu den Themen unserer Zeit gehört das Verhältnis von Natur und Bewusstsein. Dies gilt nicht allein, wenn die Berufung auf ökologische Nachhaltigkeit alltagsweltlich für das politische Handeln im westlichen Kulturkreis leitend wird. Vielmehr kann das, was wir Bewusstsein nennen, auch wissenschaftlich, so heißt es, in gewisser Hinsicht aus dem komplexen Zusammenspiel natürlicher Entwicklungen abgeleitet werden. Im Spannungsfeld von Neurowissenschaften und Kulturwissenschaften hat sich dazu ein Diskurs ausgebildet, bei dem sich Philosophie und Theologie als kritische Sachverwalter des Problembewusstseins der Tradition in der Ge­genwart besonders herausgefordert fühlen. Vor diesem Hintergrund rückt Schellings Philosophie wieder in den Fokus. Denn ausgehend vom Paradigma menschlicher Subjektivität versucht sie, die naturhaften Wurzeln der Subjektivität und die Bedeutung dieser Verwurzelung bis in die Kulturleistungen religiöser Symbolisierungen zu begreifen. Einem Ausschnitt dieser Überlegungen widmet sich die im Jahr 2010 an der Universität Freiburg im Fach bereich Philosophie angenommene Dissertation von Sebastian Schwenzfeuer, die von Lore Hühn betreut wurde.
Wie S. einleitend (1–12) darlegt, unterscheidet er drei Systemmodelle in Schellings Entwicklung von 1795 bis 1820. Von dem Jahr 1795 bis ins Jahr 1800 vertritt demnach Schelling ein »liberatives« Modell, demzufolge die Philosophie zweiteilig ist und aus zwei grundsätzlich voneinander unabhängigen Disziplinen besteht, nämlich der Transzendentalphilosophie und der Naturphilosophie. Im Zeitraum der Jahre von 1800 bis 1810/11 propagiert Schelling dann, so S., ein »integratives« Modell, wonach diese beiden Teildisziplinen zusammengehören, und zwar als Momente eines sie umgreifenden Systems. Schließlich bevorzugt Schelling in der Zeit von 1810/11 bis 1820 ein »iteratives« Modell, in dem mehrere Disziplinen als Momente erscheinen, die aufeinander folgen. Gegenstand der Untersuchung von S. sind die ersten beiden Mo­delle – mit der Begründung, dass hier die »Grundlegung« der schellingschen Naturphilosophie erfolgt. Damit ist eine weitere Ein schränkung der Studie angedeutet: S. geht es nicht um die spe­zifischen Bestimmungen der Naturphilosophie Schellings. Eine Diskussion dessen, was Schelling unter Materie, Leben oder Organismus versteht, wie sich bei Schelling das Verhältnis von Spekulation und Empirie gestaltet oder welcher Zusammenhang mit der Romantik auszumachen ist, wird ausdrücklich ausgeschlossen. Der Aufbau der Studie ist angesichts dieser Vorklärungen gut nachvollziehbar: Im ersten Teil wird das liberative Modell und im zweiten Teil das integrative Modell thematisiert.
Der erste Teil (13–155) geht der Ausbildung der schellingschen Philosophie nach, die unter Aufnahme von und zunehmend auch in Abgrenzung von Fichtes Philosophie entsteht. Als springender Punkt erweist sich Schellings Versuch, in Umkehrung der Verankerung der naturhaften Wirklichkeit in der Subjektivität, die na­turhafte Wirklichkeit als Subjektivität zu verstehen. Dies ist jedoch transzendentalphilosophisch nicht plausibel. Das liberative Mo­dell zweier gleichrangiger Disziplinen scheitert daran, dass die Transzendentalphilosophie als eine dieser Disziplinen selbst nicht liberal ist. S. zufolge habe dies Fichte in seiner Kritik an Schelling klar erkannt. Allerdings gebe es in Schellings Durchführung der Transzendentalphilosophie einen Anhalt zu deren Selbstüberschrei­tung. Wenn nämlich die intellektuelle Anschauung zur Kunst führe, also die ästhetische Anschauung zur Vergewisserung der Produktivität des Ich würde, dann sei damit die Erfahrung eines Anderen verbunden, die nicht auf eine Selbstsetzung des Ich reduziert werden kann. In der Kunst würde das Ich als Einheit von unbewusster und bewusster Produktivität verständlich; diese Unbewusstheit des Ich verweise auf die Produktivität der Natur und leite sachlich die Wende zum integrativen Modell ein.
Der zweite Teil (156–287) untersucht das integrative Modell. Da­bei ergibt sich folgendes Bild: Die Grundlegung der schellingschen Identitätsphilosophie im Theorem der intellektuellen An­schauung ist unzureichend. Denn Schellings Behauptung, das Ich als Prinzip durch Abstraktion der subjektiven Vollzüge überwunden zu haben, ist nur dann überzeugend, wenn man die Reflexion dieser Vollzüge unterdrückt. Dies ist jedoch nach S. unter den Be­dingungen neuzeitlichen Problembewusstseins reflexiv wenig überzeugend. Erst die »Freiheitsschrift« kann innerhalb des zeittheoretisch akzentuierten Paradigmas der Freiheit der Genese der Transzendentalphi­losophie einen Platz einräumen. Freilich ist da­bei das transzenden­ talphilosophische Denken, insofern es meint, seine naturhaften Wurzeln dispensieren zu können, in seiner Selbstsetzung auch eine Selbstverfehlung. Die scheinbar transzendental gesicherte Apriorität der Selbstsetzung des Ich erweist sich in Wahrheit als Durchgangsmoment der Selbstkonstituierung des Absoluten.
S.s Studie zeichnet mit vielen Zitaten textnah, wenn auch nicht immer unbedingt argumentationsanalytisch durchsichtig, einen Entwicklungsbogen in Schellings Philosophie vor deren Übergang zum Spätwerk nach. Dieser Bogen soll in einer Überwindung des Paradigmas der Subjektivität bestehen. Dem wird man sicherlich zustimmen können, zugleich aber fragen müssen, inwiefern dies bei Schelling bis 1820 tatsächlich – auch freiheitstheoretisch – konsistent erfolgt und ob in Schellings Spätwerk nach 1827 nicht diese vermeintlich klare Verabschiedung der Subjektivität absolutheitstheoretisch revidiert wird. Anders formuliert: Wenn das Ziel Schellings von Anfang an darin bestand, wie S. völlig zu Recht feststellt, die Freiheit zu erfassen, dann bleibt Schelling erstens nicht zufällig beim Standpunkt der »Freiheitsschrift« stehen, welche die Freiheit nur als Reflex göttlich notwendiger Liebe deuten kann. Denn damit wird die Freiheit noch der Liebe untergeordnet; erst im Spätwerk wird die Freiheit selbst als Gottheit und damit in ihrem prinzipiellen Charakter begriffen. Und zweitens erscheint die Einordnung der Transzendentalphilosophie in der »Freiheitsschrift« doch sehr äußerlich und hochgradig rechtfertigungsbedürftig. Erst im Spätwerk zeigt Schelling in der sog. negativen Philosophie im An­schluss an Kant, inwiefern eine Selbstbescheidung der reinen Vernunft indirekt den Zugang zu einer uneinholbaren Positivität der göttlich zu deutenden Freiheit erschließt, die ihrerseits ein Alteritätsbewusstsein im Sinn unaufhebbarer Subjektivität einschließt. Neben diesen im Blick auf Schelling internen Rückfragen wäre es interessant gewesen, wenn S. seine Ergebnisse im Blick auf Ge­gen wartsdiskurse – zumindest skizzenhaft – kontextualisiert hätte.
Doch eines ist auch klar: Wer zukünftig dies in Angriff nimmt, wird sich auf die Studie von S. stützen können. Sie bietet interessante Möglichkeiten, Schellings frühe Überlegungen zu Natur und Bewusstsein mit dem gegenwärtigen Diskurs in ein produktives Verhältnis zu setzen. Man wünscht der Studie von S., dass sie auch im theologischen Diskurs wahrgenommen wird.