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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

983–984

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bulgakov, Sergius

Titel/Untertitel:

Unfading Light. Contemplations and Speculations. Transl., ed., and introduced by Th. A. Smith.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. 554 S. Kart. US$ 48,00. ISBN 978-0-8028-6711-7.

Rezensent:

Reinhard Thöle

Das heitere, »unauslöschliche Licht« oder »Licht vom Licht, das keinen Abend kennt«, ist ein theologisch-doxologisches Christusprädikat aus der orthodoxen gottesdienstlichen Tradition, das u. a. im Abendlob oder in der Osternacht erklingt und die Gläubigen zur Erneuerung und zum Empfang ihrer Christusbeziehung auffordert. Diesen Titel gibt Sergius Bulgakov seiner von 1911 bis 1916 verfassten Fundamentaltheologie und Philosophie der Offenbarung und markiert damit das Ende »seines Atheismus«, den er nie als Unglauben angesehen hatte, wohl aber als Glauben an die Ne­gation des Glaubens.
Der 1871 geborene Sohn einer Priesterfamilie hatte wegen einer schwierigen familiären Situation und indiskutablen Zuständen im Priesterseminar sich von der Orthodoxie abgewendet und sich der marxistischen Weltanschauung verschrieben. Als Intellektueller war er aber dann auch frustriert vom Scheitern der revolutionären Bemühungen von 1905 und von den Fehlschlägen aller reformerischen Ideale durch die reale Politik. Der tragische Tod seines vierjährigen Sohnes 1909 erschütterte ihn und ließ ihn das kirchliche Begräbnis mystisch und ekstatisch ergriffen miterleben und zu einer neuen Sicht von Tod und Leben kommen. Damit begann für ihn nun eine Zeit der Re-Konversion zur Orthodoxie, die sich auf dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit der russischen Religionsphilosophie, aber auch mit Ideen der liberalen protestantischen Theologie verfestigte. Seine Arbeit be­schreibt er darum als Typ einer geistlichen Autobiographie, in der eine lange und komplizierte Reise ans Tageslicht kommt. Er be­trachtet sein Werk auch als soziokulturelle Gesellschaftskritik in einer Zeit von gewaltigen gesellschaftlichen und kirchlichen Um­brüchen. Während die Arbeit und der wirtschaftliche Prozess für ihn eine erste Erkenntnistheorie des Menschen sind, mit denen dieser sich mit der Welt verbindet, sie kennenlernt und das irdische Wissen als Produkt des denkenden Subjektes erschließt, tritt nun der religiöse Glaube als zweite Erkenntnistheorie in Form einer Erfahrungskategorie an ihre Seite und lässt den Menschen Gott und damit auch die Welt als Gottes Gegenüber in neuem Licht erscheinen.
B. entwickelt seinen von damaligen konservativen orthodoxen Kreisen als schon häretisch abgelehnten Entwurf einer »sophiologischen Dogmatik«. In Anknüpfung an die apophatische Grundkategorie der Gotteserkenntnis geht er von dem »göttliche Nichts« aus, das die völlige Unerkennbarkeit Gottes durch den Menschen feststellt. Das Absolute steht außerhalb jedes Konzeptes, wird aber in seiner Selbstoffenbarung Gott und ist nur in dieser Selbstoffenbarung vom Menschen erkennbar. Gleichzeitig wird damit das Absolute relativ.
Gott sieht nun die Welt in doppelter Weise: in ihrem kreatürlichen Dasein und dazu gleichzeitig als »sophianische Kreatur«. Denn die Welt weiß aus ihrer eigenen Intuition oder wie aus einer inneren Stimme, dass sie erschaffen ist. Die Schöpfung ist nicht nur ein Akt göttlicher Allmacht, sondern zugleich ein willentlicher Akt der sich selbst opfernden selbstlosen göttlichen Liebe. Die geschaffene Welt trägt so bereits den Charakter des Geliebt-Seins. Das Wesen Gottes ist die Liebe, die den Namen »Sophia« trägt. Sie zielt, obwohl Gott in sich vollkommene Liebe ist, auf die außertrinitarische Welt, weil sie im Gegenüber Erfüllung sucht, und hat darum personale und hypostatische Qualitäten. Sie ist zugleich verbunden mit und getrennt von Gott. Sie ist das Band zwischen ihm und der Welt. Ihr Gesicht ist auf Gott ausgerichtet, sie ist wie sein Bild, seine Idee und sein Name, eine Erleuchtung durch Gott. Der sophianische Charakter alles Geschaffenen lässt den Menschen als vollkommensten Ausdruck der Schöpfung und zugleich als vollkommenste Verbindung zwischen Gott und seiner Schöpfung erscheinen. Der erste Adam wird als Bild Gottes geschaffen und nach seinem Fall vom zweiten Adam gerettet.
Interessant sind B.s Ansichten zur Bedeutung der menschlichen Sexualität. Er möchte die männlich-weibliche Dualität als eine normative gegenseitige Differenz- und Erfüllungskonzeption sprengen und tritt für eine Art dritte Geschlechtlichkeit ein. In der paradiesischen Liebe vor der Sünde gab es noch keine Eheschließung. Und auch der mystische Charakter der Ehe, die nicht ohne Kreuz und Tragik ist, weist letztlich darauf hin, dass die eigent­-liche Erfüllung menschlicher Existenz darin besteht, dass der Mensch seine geschlechtliche Dualität überwindet und seine Seele zu Gott wendet. Dabei erkennt er das Christusgeheimnis der Kirche, in dem jede Liebe ihre Erfüllung findet.
Die Geschichtlichkeit ist der Bereich, in dem eine Gesellschaftsordnung nach christlichen und orthodoxen Prinzipien aufgebaut werden müsse. Das Ziel der Geschichte liegt aber jenseits ihrer selbst im Leben der »zukünftigen Welt«, das Ziel der Welt liegt jenseits der Welt und ist der neue Himmel und die neue Erde. Dieses ist wie ein Wechsel in der Qualität der Zeit. Die Menschheit und alle Kreatur werden in Christus auferstehen und in ihm ihre wahre Natur verwirklichen können. Erst dann wird die Schöpfung beendet sein und Gottes Allmacht erschafft die Freiheit der Geschöpfe. Die Hölle bleibt der Ort der Pein für die Sünder, die nicht bereuen, der Himmel wird beim letzten Gericht der Ort der Gerechten und die Befreiung von körperlicher Pein. Wenn Gott Alles in Allem sein wird, gibt es eine Hoffnung, dass auch alle Menschen und das ganze Universum gerettet werden können.
Eine humanistische Weltsicht, die ihren Triumph in der »Moderne« zu feiern glaubt, bleibt für B. eine spirituelle Katastrophe. Der Humanismus mit seinem pantheistischen »Immanentismus« als Glaubensgrundlage bringt eine Vergöttlichung vieler Nuancen mit sich und repräsentiert einen westlichen Typos des religiösen Relativismus, der sektiererisch mit sich selbst zerstritten ist. Anthropologie wird zur Menschenvergötzung, Gebet wird durch oberflächliches Entzücken oder Meditation ersetzt, das Auge des Glaubens durch den Intellekt, das Sakrament durch Ekstase, Religion durch Mystizismus. Es bleiben aber Bereiche des Lebens, die nicht durch menschliche Kräfte bewältigt werden können, sondern nur durch Gott, bei dem das möglich ist, was Menschen unmöglich ist.