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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

979–981

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Stein, Detlef W., u. William Totok [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Kirchen in Osteuropa im Kommunismus. Berlin: Osteuropa-Zentrum

Verlag:

Berlin-Verlag 2011. 451 S. = Edition: Südosteuropa-Forschungen, 3. Geb. 49,90. ISBN 978-3-940452-49-8.

Rezensent:

Wilhelm Hüffmeier

Der Band enthält fünf ausführliche Aufsätze zur kommunis­tischen »Kirchenunterdrückung« in Mittelosteuropa (34–278), vier erschienen 2006 in der »Halbjahreszeitschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik«, ein weiterer schon 1994. Neu ist der Aufsatz über den »postkommunistischen Ausklang für die katholischen und die orthodoxen Religionsgemeinschaften« in Bulgarien von Hristo P. Berov (114–149). Das letzte Drittel des Buches bilden ein »Abkürzungsverzeichnis« (284–293), sehr unterschiedlich recherchierte »Kurzbiographien« der wichtigsten be­han­delten Personen (294–326) sowie ein »Glossar« kirchlicher und politischer Begriffe (327–379), eine »Auswahlbibliographie« und »In­ternetseiten« zur Kirchenproblematik im kommunistischen Osteuropa allgemein und speziell in Ländern wie Bulgarien, DDR, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, Sowjetunion (380–427). Ein »Stichwortverzeichnis« zu Namen und Begriffen beschließt den Band (428–451).
Näherhin beziehen sich die Beiträge auf die Orthodoxen und Evangelischen Kirchen sowie die Katholische Kirche in Rumänien (William Totok), die Katholische Kirche in der Tschechoslowakei (Boris Blahak), die Orthodoxe und Katholische Kirche in Bulgarien (Björn Opfer, Hristo P. Berov), die Lutheraner in der Sowjetunion (Gerd Stricker), die Evangelischen Kirchen in der DDR (Hans-Joachim Tschiche) und die Katholische Kirche in Polen (Gregor Ploch). Zeitlich geht es um die Jahre von 1945 bis 1989. In Ausblicken bis 2007 werden Fragen der Entschädigung und Restitution kirchlichen Eigentums sowie der weltanschaulichen Folgen nach und der Aufarbeitung der Kollaboration von Kirchenleuten vor 1990 behandelt. Die »systematische Unterwanderung der Kirchen« durch die Securitate in Rumänien könnte heute, anders als von Totok prognostiziert (9), wohl aufgehellt werden. Aber eine zügige Akteneinsicht wird durch die Bürokratie einer winzigen Behörde nicht gerade befördert und von den Kirchen selber offenbar auch nicht ernsthaft betrieben. In Bulgarien steht die »Vergangenheitsbewältigung« noch gänzlich aus (113.123), die Orthodoxe Kirche ist dort vornehmlich mit der Beilegung ihres Schismas nach der Wende beschäftigt, dessen Ursachen und Folgen Opfer und Berov schildern (107–112.141–147). Auch in Polen sieht es, was die Vergan­genheit betrifft, ähnlich aus, trotz des spektakulären Falles des Bischofs von Plock, Stanislaw Wielgus, der Anfang Januar 2007 die Nachfolge von Erzbischof Glemp in Warschau nicht antreten konnte, nachdem »seine Informantenmitarbeit bekannt geworden war« (269). Die »Aufarbeitung dieser geheimdienstlichen Kooperation« hat nach Ploch »erst begonnen […], und sie kann und wird noch viele schmerzliche Erkenntnisse zu Tage bringen« (278). Im Beitrag über die ehemalige Tschechoslowakei fehlt dieser Aspekt allerdings ebenso wie in dem über die DDR, im letzteren wohl, weil er für aufgearbeitet gelten kann. Blahak beleuchtet hingegen analytisch und statistisch, warum das postkommunisitische Tschechien, anders als die Slowakei, »heute als das säkularisierteste Land Europas« gilt (71).
Das wichtigste Anliegen der Aufsätze ist es jedoch, die repressive kommunistische Politik gegenüber den Kirchen und deren Verhalten in Anpassung, Unterordnung und Widerstand zwischen 1945 und 1989/90 darzustellen. Dabei zeigen sich bei markanten Unterschieden im Einzelnen durchgängige »Strickmuster« dieser Kirchenpolitik in allen sowjetischen Satellitenstaaten. In den An­fangsjahren herrschte die stalinistischen Leitlinie, die Kirchen durch Gewalt möglichst ganz aus- bzw. gleichzuschalten. So kam es in allen genannten Ländern zu Verhaftungen von Bischöfen und Priestern mit folgenden Schauprozessen, Exekutionen und langjährigen Haftstrafen sowie Enteignungen von Kirchenbesitz und Verdrängung der Kirchen aus dem sozial-diakonischen Engagement und der Bildungsarbeit. Gleichzeitig wurde die atheistische Propaganda auf allen Ebenen durchgeführt.
Zum Teil schon vor Stalins Tod, verstärkt danach wurde noch eine andere Methode praktiziert. Sie zielte darauf, den Klerus in »reaktionäre« bzw. »feindliche« und »fortschrittliche« bzw. »patriotische« Kräfte zu spalten, durch Bespitzelung zu unterwandern, durch Ausnutzung menschlicher Schwächen und Versprechen finanzieller Vorteile gefügig zu machen, in der Tschechoslowakei z. B. durch Übernahme der Besoldung der Geistlichen aller Konfessionen (47). Auch wurden die Kirchen gegeneinander ausgespielt, worunter besonders die mit Rom unierten Orthodoxen in Rumänien zu leiden hatten (7 f.), während diese in der Tschechoslowakei, um die Katholiken zu schädigen, gefördert wurden (53). Zugleich haben die kommunistischen Machthaber alles versucht, die Besetzung von Bischofsstühlen, aber auch einfachen Pfarrämtern zu beeinflussen. Das gelang in den autokephalen orthodoxen Kirchen, aber auch in den evangelischen Diasporakirchen, die im Übrigen in den Aufsätzen meistens nur kurz vorkommen, eher als in den katholischen Kirchen, wurde aber auch in Polen gesetzlich geregelt (251). Die Erfolge blieben allerdings in Polen anders als in Bulgarien und Rumänien gering. Mit der Ernennung von Karol Woytila zum Erzbischof von Krakau 1964 meinten die kommunistischen Behörden, einen »friedlichen« Kirchenführer gewonnen zu haben. Das Gegenteil trat ein, so dass nach seiner Wahl zum Papst 1978 die Parole des Politbüromitglieds Czyrek galt: »Letztendlich ist Woytila besser dort als Papst als hier als Primas« (264).
In Russland waren die Lutheraner durch die stalinistische Kirchenvernichtungspolitik schon vor dem 2. Weltkrieg ihrer Pfarrerschaft weithin beraubt. Dort ermöglichten die von Frauen organisierten Betstunden im Untergrund das Überleben des Luthertums in Form der sog. Brüdergemeinden. Stricker erinnert an die schon lange bekannte Biographie des Pastors Eugen Bachmann (1904–1994) und daran, wie durch ihn in Akmolinsk (heute Astana)/ Kasachstan die erste registrierte lutherische Gemeinde nach dem Weltkrieg wieder entstand. Sie wuchs nicht nur kontinuierlich, sondern wurde auch Ausgangspunkt ausgedehnter Sammlungstätigkeit Bachmanns bis tief in den Ural. Doch im März 1972 musste der Neugründer des russischen Luthertums nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern wie Stricker gegen alle Idealisierung der »Brüderzeit« zeigt, auch wegen interner Gemeindeprobleme in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen (172–176).
Ploch zeichnet in seinem Beitrag über den »Kampf der katholischen Kirche in Polen gegen die kommunistische Willkür« deren Bewährung trotz gar nicht so seltener Anpassungstendenzen von Priestern (215–278). Die polnische Bevölkerung betrachtete eben die katholische Kirche als »Bastion der polnischen Tradition und Kultur« und als »vollste[n] Fürsprecher des Polentums«, wie das kommunistische Zentralkomitee schon Ende der 40er Jahre einräumen musste (226). Dass und wie die Evangelischen Kirchen in der DDR, obwohl anders als die katholische Volkskirche in Polen eine Kirche auf dem Weg in die Diaspora, ihren Widerstand gegen den ideologisierten Sozialismus praktizierten, vor allem aber ge­gen Ende der DDR tief »in die Gesellschaft« (214) wirkten, zeigt der zwischen Selbstkritik und verstecktem Selbstlob changierende Beitrag von Hans-Joachim Tschiche (177–214). Sein Ziel, »die Dis­kussion« zum Thema »Kirche im Sozialismus« weiter anzuregen (280), hat der Band zweifellos erreicht.