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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

976–979

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Jasper, Gotthard

Titel/Untertitel:

Paul Althaus (1888–1966). Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 432 S. m. 11 Abb. Geb. EUR 39,99. ISBN 978-3-525-55053-3.

Rezensent:

Gert Haendler

In Vorbereitung der 250-Jahrfeier der Universität Erlangen 1993 stieß der damalige Rektor Gotthard Jasper auf Paul Althaus. Nach seiner Emeritierung ging er Althaus’ Leben näher nach. Briefe, Tagebücher, Predigten, Vorträge und Archive informieren über Familie, Bücher, Gehalt und Wohnung. Primär interessieren den Politologen J. politische Zusammenhänge, aus denen er oft theologische Äußerungen erklärt. »Gerade das Schwanken zwischen Zu­stimmung und Ablehnung gegenüber Hitler und dem Nationalsozialismus« ist für J. »das Aufregende und Erklärungsbedürftige«, das ihn herausfordert (15).
1906 war der Student Althaus beeindruckt von Schlatter in Tübingen. Anfang 1914 bekam er in Göttingen die venia legendi. 1915–18 war er in Lodz Gouvernementspfarrer. Die Niederlage 1918 empfand Althaus als »furchtbare Stunde«. Er sah Fehler der deutschen Politik, aber für ihn »ist Bußstimmung nicht das Wichtigste, was wir jetzt zu predigen haben, sondern innere Würde, gutes Gewissen, tiefster Trotz« (90). Dazu bemerkt J.: »Die militärische Niederlage an der Westfront wurde offensichtlich ebenso wenig realisiert wie die antipolnische Germanisierung in den Ostprovinzen.« (91) Den Kampf gegen Versailles konnte Hitler »zu einer weithin erfolgreichen Kaschierung seiner eigentlichen politischen Ziele nutzen« (97).
1919 setzte sich Althaus mit Hermann Kutter auseinander. Althaus stimmte ihm teilweise zu, aber er schrieb auch, dass die brutale Vergewaltigung Deutschlands durch seine Feinde sich an ihnen rächen werde (101). Für J. ist die Lehre von einem »legitimen« Krieg, die Althaus »aus dem Auf und Ab der Völker ableitete«, als Aussage zur Zulässigkeit eines Krieges heute nicht akzeptierbar (104).
Von 1919 bis 1925 war Althaus Professor in Rostock. Mehrfach kam er ins Spiel bei Berufungen: 1920 Münster, 1925 Leipzig, 1927 wollte man ihn in Berlin haben, 1929 in Halle, 1930 fragte Tübingen an. Aber nur dem Ruf nach Erlangen 1925 folgte er. J. urteilt: »Mit dem Gespann Althaus-Elert begann die 2. Blütephase der Erlanger Theologie.« (137) Bedeutung gewann Althaus als Lutherforscher. Nach Karl Holls Tod 1926 wurde er Präsident der Luther-Gesellschaft. Briefwechsel gab es u. a. mit Bultmann, Barth und Brunner, seine Offenheit gegenüber anderen Meinungen rühmen u. a. Thielicke, Trillhaas, von Loewenich und Frör. 1932 bezeugte Gollwitzer, wie »unglaublich großzügig« Althaus mit »randalierenden Barthianern« umgegangen sei (177). 1927 sprach er auf dem Kirchentag in Königsberg über Kirche und Volkstum. Er sah eine jüdische Bedrohung. Dabei ging es nicht um das Blut oder um den religiösen Glauben des Judentums, sondern um die »Bedrohung durch eine bestimmte zersetzte und zersetzende, großstädtische Geistigkeit, deren Träger nun einmal in erster Linie jüdisches Volkstum ist« (184). J. sieht einen Zusammenhang mit Rankes und Herders Aufwertung der Völker zu Individualitäten (189).
Bei der Rede zur Einweihung eines Kriegerdenkmals in Erlangen 1930 forderte Althaus Liebe zum Vaterland. »Wo aber Liebe ist, da muss auch Zorn und Hass sein« (196). Althaus hoffte auf einen Mann, der »ohne Verrat am deutschen Volk wirklich sammeln kann, der ist der Mann unserer kommenden Freiheit«. Für J. be­deutet das »Hoffnung und Rückschau auf Leben und Werk Otto Bismarcks« (199). Im Juni 1931 unterschrieb Althaus eine Erklärung »Evangelische Kirche und Völkerverständigung«, die den Abbruch der ökumenischen Beziehungen forderte. Seine Unterschrift ist un­verständlich, denn 1925 hatte er noch auf der Stockholmer Weltkirchenkonferenz gepredigt. J. deutet Althaus’ Unterschrift als »Produkt der Brüningschen Deflations- und Reparationspolitik« (206). 1932 legte Althaus in der Reihe »Das Neue Testament deutsch« den Kommentar zum Römerbrief vor. Darin deutet er die Heimatlosigkeit des Volkes Israel als Strafe für die Kreuzigung Jesu – die übliche Deutung. J. setzt hinzu: Es bedurf te langer Lernprozesse, bis diese Passagen in der 10. Auflage 1966 gründlich korrigiert wurden (209). Zu Röm 13 sagte Althaus, Unterordnung unter die Obrigkeit setze voraus, dass diese »im Dienste einer sittlich be­stimmten Rechtsordnung stehe«. Darin sieht J. ein »Potenzial für einen Widerstand ge­gen den NS-Terror« (210). Im März 1933 schrieb Althaus: »Ich sehe die Hakenkreuzfahne nicht gerne und höre Hitler, ganz wie Du, noch weniger gerne.« (214) In einem Vortrag betonte er gegen die neue Rassenlehre die »unantastbare Würde« jeden Lebens, weil es von Gott stamme. Im August 1933 erfuhr er, dass sein Vortrag nicht gedruckt werden dürfe. Trotzdem verfasste Althaus im Oktober 1933 die »Deutsche Stunde der Kirche«. Darin wollte er die »Deutschen Christen« nicht bekämpfen, sondern gewinnen im »Kontakt mit fränkischen Pfarrern und Bauern sowie Studenten und Bürgern in Erlangen« (228). Althaus’ Konzept der »Uroffenbarung« beurteilt J. als »vortheologische Auffassung vom Wesen des deutschen Volkes«. Von einer Idee Rankes her wertete Althaus die Völker auf »zu Teilen der Schöpfungsordnung« (234).
Im Herbst 1933 stritt man um den »Arierparagraphen«. Die Fakultät Marburg hatte dagegen votiert, 21 Neutestamentler hatten sich dem Votum angeschlossen. Ein Erlanger Gutachten meinte jedoch: Vor Gott gibt es keinen Unterschied, aber es gibt biologische Bindungen an ein Volk. In Deutschland sieht man »den Juden in seiner Mitte mehr denn je als fremdes Volkstum«. Daher kann die Kirche als deutsche Volkskirche die »Zurückhaltung der Ju­denchristen von den Ämtern« fordern (236). Althaus lehnte die NSDAP ab, dem Führerstaat stimmte er zu. Vor allem kämpfte er gegen die Macht der Deutschen Christen. Diese forderten am 12.11.33 in der Sportpalastkundgebung einen »heldischen Jesus« und lehnten die »Minderwertigkeitstheologie des Rab­biners Paulus« ab. Beim Treffen der Bischöfe Meiser, Wurm und Marahrens mit Präses Koch und Niemöller Ende November war Althaus dabei. J. folgert, dass er »von Anfang an aktiv beteiligt war an der sich allmählich verfestigenden Bekenntnisfront« (242). Die Barmer Erklärung hat Althaus jedoch bekämpft, denn in ihr sah er »ganz überwiegend Barthische Theologie« (245). Dafür un­terschrieb er den »Ansbacher Ratschlag«: Man sei »vor Gott verantwortlich, zu dem Werk des Führers in unserem Beruf und Stand mitzuhelfen«. J. sieht darin »abwegiges Wunschdenken und eine erschreckend selektive Wahrnehmung der politischen Vorgänge« (246).
Am 11.6.1934 erschien ein Hetzartikel gegen Althaus in der NSDAP-Gauzeitung. J. fordert, man solle sich vor Augen halten, was alles im Juni 1934 auf Althaus zukam und »welche verwirrenden Vereinnahmungen und Polemiken er erfuhr« (249). Im Ok-tober 1934 nahm Althaus an der 2. Bekenntnissynode in Dahlem teil als Vertreter der bayerischen Landeskirche. Die Gewaltpolitik des Rechtswalters Jäger »schuf in Dahlem eine große Einigkeit in der Abwehr«. Damit gehörte Althaus zur »Front der Bekenntnisbewegung« (257). Die Landeskirchen Bayerns, Württembergs und Hannovers gingen ihren eigenen Weg. Am 20.9.1934 forderte Marahrens eine »lutherische Kirche deutscher Nation« (280). Auf dem »Luthertag« in Hannover im Juli 1935 sprach Althaus über »Kirche und Staat nach lutherischer Lehre«: Der Staat sorgt für Schulen und ist »Heger und Pfleger des Lebens seiner Untertanen«. Damit wollte Althaus »die Wirklichkeit des Staates ernst nehmen« (284). J. kritisiert, dass Althaus noch von einer christlichen Obrigkeit ausge gangen sei. Das sei kurz vor den Nürnberger Rassegesetzen im Sommer 1935 »zu optimistisch, wenn nicht sogar naiv« gewesen (285). 1935 sprach Althaus mit Kirchenminister Kerrl, die Bemühungen Wilhelm Zoellners ließen ihn hoffen. Im Februar 1937 trat Zoellner jedoch zurück, Niemöllers Verhaftung am 1.7.1937 verschärfte die Konflikte (291). Aber Althaus erinnerte im Herbst 1937 vor dem Evangelischen Bund an den Kampf der Kirche gegen den Bolschewismus und hoffte auf Verständnis für die »Bedeutung der Kirche Jesu Christi in unserem Volk« (295).
1938 erschien seine Arbeit »Paulus und Luther über den Menschen«. J. wertet diese Formulierung als »politisches Dokument für den Theologieprofessor A. als Streiter für die ganze christliche Wahrheit und als Mitkämpfer in der BK« (297). Freilich hat Althaus die außenpolitischen Erfolge begrüßt. Die Feldzüge gegen Polen und Frankreich waren ihm Revanche für Versailles, wo der »frevelhafte Übermut des Friedensdiktats seine Orgien feierte« (307). Im Herbst 1941 aber schrieb er seiner Mutter zur Lage in Russland: »das wird nicht gut gehen. Wie der ganze Krieg nicht« (308). Weihnachten 1943 predigte er: »In dieser Weltgeschichte entlädt sich der dunkle Hass der Rassen und Völker ge­geneinander.« Karfreitag 1944 sagte er: »Wir erleben eine Menschheitskatastrophe ohne gleichen. Die Völker, so können wir sagen, kreuzigen sich einander.« (311)
In seiner ersten Nachkriegspredigt sprach Althaus von dem Ge­fühl der Bedrückung, »daß wir Christen nicht lauter warnen konnten, daß wir zuviel geschwiegen haben« (310). Im Mai 1945 wurde Althaus Vorsitzender eines Gremiums zur Entnazifizierung, das sich oft für belastete Kollegen einsetzte. Im Juli 1946 kritisierte ein Journalist jenen Ausschuss, in einer Zeitung las Althaus von seiner Entlassung. Erst im April 1948 wurde er wieder eingesetzt. »Bußanforderungen« anders gesinnter Kollegen kam er nicht nach, in persönlichen Gesprächen war er »offener und bereit, Fehler einzugestehen« (350). Sein Lernprozess »setzte sich permanent fort« (354). In Erlangen erlebte er einen Boom von Studenten, man lud ihn zu Gastvorlesungen ein, er wurde Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften und mehrfacher Ehrendoktor. Wichtige Werke erschienen: »Die Theologie Martin Luthers« 1962 sowie »Die Ethik Martin Luthers« 1965. Die Trauerfeier für Althaus im Mai 1966 zeigte, »welcher Beliebtheit und Verehrung sich dieser hochgeschätzte Theologe […] erfreute« (377).
1968 gab es wieder Kritik an den Erlangern und Althaus. 1979 bekam eine Veranstaltung »den Hauch eines Scherbengerichts« (383). Den jungen Kritikern hält J. mangelnde Lebenserfahrung vor. Bei seiner Zustimmung zu vielen Vorgängen bis 1940 war Althaus weniger von der lutherischen Obrigkeitslehre als vom »Trauma Versailles« geprägt. Man kann leicht Fehler im Nachhinein feststellen. Aber die bei Althaus geltenden »Vorstellungen von den Völkern als den tragenden quasi natürlichen Einheiten der Geschichte und die in diesem Bild – jenseits aller Theologie – verankerte spezielle Sicht des jüdischen Volkes« waren ein Produkt des 19. Jh.s (401). Bei seinem Verhalten zu den Anfängen der NS-Herrschaft wirkte ein »Geflecht von historischen Prägungen und Erlebnisverarbeitungen«, dessen Analyse sensibilisert: Sie »hält von Verurteilungen ab, die oft nur Frucht allzu großer Selbstsicherheit sind« (402). Althaus’ Bereitschaft zur Selbstkorrektur ist »ein fundamentales Element seiner Authentizität, seines Predigens und seines Lebens« (408).
Die Biographie bringt hochinteressante Details. Der Politologe J. hat sich erfolgreich um den Theologen Althaus bemüht. Trotz seiner apologetischen Grundtendenz übt J. auch deutliche Kritik. Die vielen Quellenzitate geben dem Buch große Überzeugungskraft.