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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

975–976

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Fischer, Heinz-Joachim

Titel/Untertitel:

Päpste und Juden. Die Wende unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT Verlag 2012. 275 S. = Theologie, 103. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643-11699-4.

Rezensent:

Martin Greschat

Heinz-Joachim Fischer, römischer Katholik und aufgrund seines Studiums mit den Verhältnissen im Vatikan gut vertraut, wirkte seit 1978 in Rom als Journalist der FAZ für Belange des Katholizismus. Seine Kenntnisse und Erfahrungen hat er in einer Reihe von Publikationen dargelegt. Im vorliegenden Buch beschreibt und dokumentiert er die im Titel angegebene »Wende« im Verhältnis der Päpste zum Judentum. Dabei handelt es sich um die journalistische Begleitung dieses Prozesses, verbunden mit der Veröffentlichung seiner diesbezüglichen Artikel. Das geschieht in fünf Teilen, die insgesamt in 26 Kapitel untergliedert sind. Auf eine knappe Skizze seines persönlichen Werdegangs (3–30) folgt ein geraffter Überblick zum Thema, konzentriert auf die Päpste von Pius X. bis zu Paul VI. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil (31–91).
F. kritisiert vorsichtig das Schweigen von Pius XII. nach 1945 (74f.) sowie seine Ekklesiologie (»Insel der Seligen«: 128–133). Dass dieser Papst nicht öffentlich protestierte, weil er schlimmere Verfolgungen verhüten wollte, wird mehrfach als sinnvoll mit dem Argument begründet, dass auch der Einspruch des Papstes die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie nicht hätte stoppen können (41 f.127.130–133.149.188.220 f.). Dass es sich hierbei primär um ein theologisches oder doch zumindest moralisches Problem handelte, kommt für F. nicht in den Blick. Die Wende im Verhältnis des Katholizismus zum Judentum erfolgte, erfahren wir, unter Papst Johannes Paul II. (93–116). Dieser wurde nicht müde, jeglichen Antisemitismus zu verurteilen, die Nähe und die Verbundenheit des Christentums mit dem Judentum hervorzuheben und das gemeinsame Engagement für Gerechtigkeit und Frieden zu unterstreichen. Deutlich tritt dabei allerdings zutage, dass Johannes Paul II. Auschwitz und die Shoah »universalisierte«, d. h. dass er sie über die jüdische Katastrophe hinaus als Symbol für sämtliche Unmenschlichkeiten des von Gott abgefallenen Menschen begriff (163–207). Mithin trug nicht das Christentum die Verantwortung für diese Verbrechen, sondern schuldig waren die antichristlichen Ideologien (159 f.195.203 f.). Der vierte Teil der Darstellung behandelt die »Trübungen und Klärungen« dieser päpstlichen Position (117–214). Einmal mehr wurde von Johannes Paul II. nun laut und leidenschaftlich der Antisemitismus abgewehrt. Intensiv warb der Papst, Rückschlägen zum Trotz, für die Überwindung der »Eiszeit« gegenüber dem Judentum. Die theologische Begründung dafür durch Papst Benedikt XVI. sucht F. im fünften und letzten Teil der Untersuchung darzulegen (215–275).
Dass dieser Papst hier als sicherer und fester Steuermann der Kirche ge­feiert wird (250), erstaunt nicht erst aus heutiger Sicht. Ebenso verwunderlich ist, dass Benedikt sich von der lauten Kritik an seiner Rehabilitierung der Piusbrüder betroffen zeigte, zu de­nen Richard Williamson gehörte, ein Leugner der Shoah (258–260). Das theologische Verhältnis des Katholizismus zum Judentum interpretierte dieser Papst als die fortschreitende Entfaltung der Bundesschlüsse Gottes mit Abraham, Mose und Jesus Christus dergestalt, dass jeder Bundesschluss vom folgenden erweitert und überboten wurde. Ein Blick auf die theologische Diskussion und insbesondere die Positionen des Protestantismus wäre hier hilfreich gewesen.
Der Nachdruck der Publikation liegt auf den Berichten einer insgesamt erfreulichen römisch-katholischen Entwicklung. Um diese möglichst eindeutig zu dokumentieren, zitiert F. immer wieder ausführlich seine Artikel aus der FAZ, wobei er ermüdende Wiederholungen in Kauf nimmt. Insgesamt bietet das Buch einen locker geschriebenen journalistischen Überblick über das Thema.