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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

963–966

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bullinger, Heinrich

Titel/Untertitel:

Werke. Abt. 3: Theologische Schriften. Bd. 3: Sermonum Decades quinque de potissimis Christianae religionis capitibus (1552). Bearb. v. P. Opitz. 2 Teilbde.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2007. Bd. 3.1: Decades 1–4,2. XXIII, 556 S. Bd. 3.2: Decades 4,3–5,10. VII, S. 557–1236. M. CD-ROM. Lw. EUR 224,00. ISBN 978-3-290-17410-1.

Rezensent:

Ernst Koch

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Bullinger, Heinrich: Werke. Abt. 3: Theologische Schriften. Bd. 4: De scripturae sanctae authoritate deque episcoporum institutione et functione (1538). Bearb. v. E. Campi unter Mitwirkung v. Ph. Wälchli. Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2009. XVII, 305 S. m. CD-ROM. = Lw. EUR 92,00. ISBN 978-3-290-17526-9.


Nachdem die Edition der 2. Abteilung der Ausgabe der Werke Heinrich Bullingers, die Edition des Briefwechsels, seit geraumer Zeit kontinuierlich auf gutem Wege ist, liegt nunmehr ein erster Band der 3. Abteilung vor, die theologische Werke in Auswahl be­reitstellen soll. Es handelt sich bei diesem Band um eine Textausgabe, die insgesamt 1151 Druckseiten in zwei Teilbänden umfasst. Damit hat der Start dieser Abteilung sich nicht nur einer seinem Umfang nach großen Aufgabe gestellt, sondern sich einem Text des Zürcher Antistes gewidmet, der zu den großen und einflussreichen Werken Bullingers gehört.
Die »Dekaden«, wie die Predigtsammlung genannt wird, sind Texte, die – wie nur wenige andere – geeignet sind, den Autor in seiner spezifischen Art zu theologisieren, zu konzipieren und zu ar­gumentieren vorzustellen. Man kann die Dekaden auch als Zu­sam­menfassung dessen sehen, woran Heinrich Bullinger in seiner Arbeit als Lehrer, Prediger, Bibelexeget und systematischer Theo­loge eigentlich lag. Der verdienstvolle Bearbeiter der Edition weist in einleitenden Beobachtungen zu den in den Dekaden praktizier ten hermeneutischen Grundsätzen darauf hin, dass mit den Musterpredigten und ihrer an der Loci-Methode orientierten Eigenart hinsichtlich des homiletischen Zugriffs »eine gewisse Verschiebung« gegenüber Zwingli eingetreten sei (XIV). Sie dürfte auf eine Veränderung der theologischen Methodik in der zweiten Generation der Zürcher Reformation hindeuten, die übrigens auch in weiteren Bereichen der schriftstelle­rischen Tätigkeit Bullingers zu bemerken ist und ihr Profil aus dem Ansatz bei Definitionen gewinnt.
»Sermones« in fünf Zehnergruppen sind es, die Bullinger in dieser Veröffentlichung vorlegte. Die Einleitung zur Edition erinnert allerdings daran, dass es sich bei ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um gehaltene Predigten handelt, obwohl sie sich in ihrem stilistischen Rahmen als solche ausgeben. Sie stellen auch keine Analogie zu einem Genus dar, das als Spezifikum der Wittenberger Reformation gelten kann: den Postillen. Diese sind zum überwiegenden Teil Predigten in der Volkssprache, die die sonntäglichen Evangelien- oder Epistelperikopen auslegen – ein Phänomen, das der Zürcher und der Genfer Reformation denkbar fremd blieb. Eher stehen Bullingers Sermones in Analogie zu Katechismuspredigten, die im Wirkungsgebiet der Wittenberger Reformation den gesamten Text von Martin Luthers Kleinem Katechismus auslegten.
Allerdings sind Bullingers Dekaden in lateinischer Sprache verfasst. Es liegt nahe, dass sie als Musterpredigten für Pfarrer verstanden werden konnten, dazu bestimmt, den Gesamtzusam­menhang des christlichen Glaubens darzulegen. Ihre lateinische Fas­sung lässt darauf schließen, dass der Autor auch die internationale theologische Öffentlichkeit als Adresse im Blick hat. Das wird durch die Beobachtung bestätigt, dass die drei letzten Zehnergruppen von Predigten zwei Engländern, dem jungen Edward VI. sowie dem einflussreichen Henry Grey gewidmet sind. Es spricht für sich, dass die Titel von späteren landessprachigen Übersetzungen der Dekaden den Terminus »Hausbuch« enthalten. Er verrät, dass Bullingers Werk mit dem Ziel übersetzt wurde, es zur häuslichen Lektüre zu nutzen. Daraus erklärt sich seine große Nachwirkung, worauf Walter Hollweg bereits in seinem 1956 erschienenen Buch über Bullingers Hausbuch hingewiesen hat.
Die Edition nimmt keinen Bezug auf die existierenden handschriftlichen Vorlagen, sondern legt die Druckausgabe des Textes von 1552 zugrunde, indem sie auf Abweichungen von den seit März 1549 erschienenen Teilausgaben aufmerksam macht, allerdings auch anzeigt, wo die Bearbeitung im Einzelfall nicht dem Buchstabenbestand folgen kann. Ob es geraten erscheint, die Großschreibung von Worten in der Editionsvorlage im Sinne der gegenwärtig gültigen Schreibweise zu verändern, wird die Überprüfung im Einzelfall zu zeigen haben. Aus der Einleitung ist zu erfahren, dass Bullinger in Dekade 5 im Zusammenhang des in mehrfacher Hinsicht heiklen Themas der Abendmahlslehre ein von ihm bereits 1545 verfasstes, aber erst 1551 durch Johannes a Lasco in London publi ziertes Traktat eingearbeitet hat. Im Übrigen hinterlässt die im­mense Arbeit von Texterstellung und Kommentierung, die auch die von Bullinger benutzte Literatur bis in die kirchenrechtlichen Quellen hinein berücksichtigt, einen zuverlässigen Eindruck.
Zu bedauern ist die unübersehbare Fehlerquote. Sehr häufig sind bei der Wiedergabe von Marginalien auf den rechten (ungeraden) Druck­seiten des Teilbandes 1 in Richtung auf den Seitenrand Buchstaben ausgefallen (z. B. S. 129 zu Zeile 32/33: dignit[as], S. 135 zu Zeile 14: praece[pti], S. 139 zu Zeile 25: lice[t], S. 141 zu Zeile 23: vind[ex], S. 181 zu Zeile 11: magistrat[us], S. 283 zu Zeile 9: hon[ori]). Bisweilen lassen sich unvollständig gedruckte Buchstaben mühelos ergänzen (z. B. S. 133 zu den Zeile 1–2). Jedoch muss an anderen Stellen die Ergänzung unsicher bleiben.
Durch die Übernahme auch des Bibelstellen- und Sachregisters aus der Druckvorlage und die Ergänzung durch ein weiteres Bibelstellen- und ein Personenregister wird der Text für seine Benutzung erschlossen. In Marginalien der Editionsvorlage nicht enthaltene Bibelstellennachweise werden ergänzt. Die Interpunktion wurde durch den Bearbeiter im Blick auf den Text und seinen »ho­miletisch-kommunikativen Charakter« verändert. Wer eine wei­-tere Benutzungshilfe sucht, findet diese im PDF-Format auf der beigelegten CD-ROM. Ihm steht damit die Suche auch nach einzelnen Begriffen offen.
Es war ein glücklicher Griff, die 3. Abteilung der Werkaus­gabe mit der vorliegenden Edition zu eröffnen. Nachdem eine Übersetzung des Dekaden-Textes in modernes Deutsch bereits 2006 in den Bänden 3 bis 5 der (Auswahl-)Ausgabe »Heinrich Bullinger. Schriften« erschienen war, liegen nun die Dekaden erstmals in einer sorgfältig erarbeiteten kritischen Ausgabe vor.
Der 4. Band der kritischen Ausgabe der Heinrich Bullinger-Werke widmet sich einem in seiner Bedeutung bisher wenig beachteten Buch des Zürcher Antistes. Es verbindet in zwei ge­sonderten, aber fortlaufend foliierten Büchern zwei Themen miteinander – das Thema der Be­deutung und Autorität der Heiligen Schrift und das des Bischofsamtes. Die Heilige Schrift sollte nach (unveröffentlicht gebliebenen) Überlegungen des jungen Bullinger ein Thema sein, das ihn bis in die Spätzeit seiner Tätigkeit in Zürich begleitete.
Der Grund für die Verbindung mit der Bi­schofsproblematik liegt darin, dass das Buch von 1538 König Heinrich VIII. von England gewidmet war. Mit ihm meldete sich Bullinger in einer Situation zu Wort, die im Blick auf die Durchführung der englischen Reformation für die Aufnahme Zürcher Im­pulse offen zu sein schien. Damit gehört das Buch zu den mehrfachen Versuchen Zürichs, Einfluss auf die Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse Englands zu gewinnen, hatte doch Hein­rich VIII. bereits wenige Jahre zuvor Interesse an Kontakten mit den Mächten des Schmalkaldischen Bundes zu erkennen gegeben, und knapp drei Monate nach der Veröffentlichung von Bullingers Buch von 1538 erschien nach Absprache mit dem Kö­nigshaus eine Delegation der Schmalkaldener in London. Bullingers Abhandlung geriet in eine aufgeladene politische Atmo­sphäre. Bereits aus diesem Grunde ist ihre nunmehr in der Reihe der ausgewählten Werke Bullingers veröffentlichte kritische und kommentierte Ausgabe zu begrüßen.
In seinem Tagebuch nannte der Verfasser das Werk ein Buch »gegen den Aberglauben des römischen Bischofs« (IX, Anm. 2 der vorliegenden Ausgabe). Damit war sein Ziel klar bezeichnet. Bullinger untermauerte es durch eine mit humanistischer Gelehrsamkeit gesättigte ausführliche Explikation des Prinzips der primären Autorität der Heiligen Schrift, um danach auf die Absicht Heinrichs VIII. einzugehen, an der bischöflichen Verfassung der Kirche im spätantik-mittelalterlichen Sinne festzuhalten. Hier zeigte sich die diplomatische Kunst des Zürcher Autors, die königliche Ab­sicht zu stützen, indem er für sie ein Gewand anbot, das nach den Ansätzen der Zürcher Reformation gearbeitet war. Dies enthielt die Betonung des Konkordanz-Musters zwischen Ob­rigkeit und Kirche, wie es in Zürich gelebt wurde und das formal den Wünschen des englischen Königs entgegenkam, gleichzeitig je­doch unter Aufbietung der dem Autor zur Verfügung stehenden huma nistisch-historischen Gelehrsamkeit die römische Fassung des Problems scharf attackierte. Die Peroratio des 2. Buches (260–262) an Heinrich VIII. kann als Meisterwerk rhetorisch-diploma­-tischer Kunst gelten.
Für die Edition sind die gleichen Grundsätze vorausgesetzt, die für Abt. 3, Bd. 3 in Anwendung gekommen waren. Da Bullingers Buch 1544 in einer zweiten, neu gesetzten und veränderten Auflage erschien, die den inzwischen erfolgten Angriff durch Johann Cochläus parieren sollte, sind die Unterschiede jeweils vermerkt. Zu begrüßen ist es, dass auch Besonderheiten wie der Buchschmuck in Gestalt von Druckermarken, verzierte Initialen und besondere Textanordnungen Berücksichtigung gefunden haben. Der rheto­rischen Struktur des Textes ist Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. 102.105 und 16). Auch diesem wie dem vorausgehenden Band der Edition ist eine CD-ROM beigegeben, die eine detaillierte Benutzung erleichtert.
Die kommentierte Aufbereitung des Editionstextes forderte bei dessen Bearbeitung einen großen Aufwand für die Aufspürung der Quellen. Dieses Ziel hat die Edition weitgehend erreicht, auch wenn an einzelnen Stellen auf einen entsprechenden Nachweis verzichtet wird, so z. B. bei der differierenden Auslegung von Tit 1,5 (141, 26–17, vgl. 144,33–145,1). Bei S. 135, Anm. 139 sollte nicht von einer »Formulierung« gesprochen werden, ein Ausdruck, der an ein Zitat denken lässt, sondern eher von einer Umschreibung. Auf einige wenige Druckversehen ist aufmerksam zu machen. S. 146, 26 ist ein überflüssiger Buchstabe in eine Abkürzungsauflösung geraten. S. 178, 1 ist »corpore« zu lesen. Zwei Marginalientexte sind zu korrigieren: S. 29 zu Zeile 10/11 und S. 94 zu Zeile 27/28.
Den Bearbeitern des Bandes gebührt großer Dank. Dem Fortgang der Edition ist gutes Gelingen zu wünschen.