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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

955–957

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Myers, Susan E. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Portraits of Jesus. Studies in Christology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XX, 460 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 321. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-151795-2.

Rezensent:

Petr Pokorný

Es handelt sich hier um eine Festschrift für Harold W. Attridge zum Abschied von seinem Amt als Dekan der Yale Divinity School. Die Beiträge, die zumeist von seinen Schülern stammen, beziehen sich alle auf Einzelfragen der Christologie bzw. der frühchristlichen Frömmigkeitsgeschichte. Nach der Einleitung der Herausgeberin folgen vier Teile mit insgesamt 19 Beiträgen:
Der erste Teil enthält sechs Beiträge zu den Jesusbildern in den Evangelien: G. L. Parsons untersucht im Lichte der Rhetorik von Quintilian, wie Maximen im Johannesevangelium paradox das Geheimnis der Fleischwerdung ausdrücken. – J. E. Burns demonstriert, wie das vierte Evangelium mit Hilfe des jüdischen Humors das Handeln Jesu verteidigt, das sogar den Zehn Geboten zu widersprechen scheint. Die Heilung am Sabbat rechtfertigt Jesus in Joh 5 ironisch nach der Maxime »Wie der Vater, so der Sohn« mit dem Wort: »Mein Vater arbeitet bis auf diesen Tag, und ich wirke auch«.– P. Ahearne Kroll beschreibt, auf welche Weise das Markusevangelium die Rolle Jesu als Mittler zwischen Himmel und Erde (Gottessohn) mit Hilfe der Schrift darstellt. – J. F. Hultin behauptet, dass das Motiv des Nicht-Einhaltens des Schweigegebots Jesu (ein Teil des Messiasgeheimnisses) apologetisch sein kann und bezeugen sollte, dass Jesus keine politische Unruhe hervorrufen möchte. Mir scheint es, dass in diesem Fall die Absicht des Evangelisten, die Heilsbedeutung Jesu auf seine Passion und auf Ostern zu konzentrieren, die entscheidende Rolle spielte. – T. Luckritz Marquis demonstriert mit Hilfe der römischen Literatur, wie die Kreuzigung Jesu, die mit seiner spöttischen Krönung verbunden war, politisch subversiv als Umstrukturierung der traditionellen Werte wirken musste. – S. J. Davis untersucht den Hintergrund des Mo­tivs der mirakulösen Erschaffung der Sperlinge aus Lehm (Kindheitsevangelium des Thomas 2). Auf den Gräbern hat man Kinder oft mit Vögeln dargestellt. Der Vogel war u. a. Verkörperung der Seele, und aufgrund des Flugs der Vögel hat man Orakel formuliert. Die Geschichte von den Sperlingen präfiguriert die künftige Vollmacht Jesu.
Vier Beiträge sind dem Jesusbild des Paulus gewidmet: S. G. E. Sterling untersucht die biblische Vorstellung, wonach der Mensch ein Bild Gottes ist (Gen 1,26 f.), wie sie bei Philo, bei Paulus und in den ältesten christlichen Hymnen vorkommt. Philo versteht die biblische Aussage u. a. so, dass das Bild Gottes, d. h. der himmlische Logos bzw. die Weisheit Gottes, Vorbild bei der Erschaffung des Menschen war. Die alten Hymnen, welche Jesus mit dem Bild Gottes identifizieren, betonen dadurch seine Rolle als Mittler zwischen Gott und den Menschen (Kol 1,15; Phil 2,6; Hebr 1,3), die Paulus weiter entfaltet. Die johanneische Spur (Joh 1,1 ff.) verfolgt er nicht. – J. M. Gundry deutet die Geschichte von der mehrfachen Witwe aus Lk 20,33–36 im Lichte von 1Kor 7,40a – einem Spruch, der die apokalyptische Erwartung der Jesustradition widerspiegelt. Diejenigen, die keine Nachkommen haben (wie übrigens Jesus selbst), sind nicht mehr benachteiligt, weil Gott auch die Toten erweckt. – E. Wasserman untersucht die Aussage, dass es keinen Gott gibt als den einen (1Kor 8,4), im Lichte der biblischen Polemik gegen die Verehrung der Götzen und ihrer Analogien in der An­-tike. – T. H. Tobin versteht mit einem Teil der exegetischen Tradition Röm 3,21–26 als eine ältere Glaubensformel, die Paulus um die Worte von Glauben, Gnade und Gerechtigkeit bereicherte. Auf diese Weise versuchte er, sich den Adressaten zu nähern und ihnen gleichzeitig die zentrale Rolle des Glaubens vor Augen zu stellen.
Die Rolle des Jesusbildes in Gebet und Liturgie wird in weiteren drei Beiträgen behandelt: P. F. Bradshaw verfolgt, wie sich die christlichen Gebete der ersten drei Jahrhunderte an Gott, an Gott durch Jesus und auch direkt an Jesus wenden. Wenn auch Origenes die Meinung vertrat, dass sich die Gebete an Gott Vater wenden sollen, belegt er selbst, dass Gebete zu Christus üblich waren. Bradshaw erwähnt nicht, dass das Maranatha eigentlich auch ein Gebetsruf zu Christus war. – Susan E. Myers, die Herausgeberin, analysiert die Gebete in den apokryphen Thomasakten, die auch an Jesus, Jesus und Gott oder den Geist gerichtet sind und auch die sakramentalen Elemente (Brot des Lebens, 133; das heilige Öl, 121) als Mittler anreden. Man hat die Präsenz Gottes in der sakramentalen Handlung erwartet. – B. D. Spinks belegt, dass die Taufriten der Maroniten einige Bilder und Vorstellungen der alten Tradition der syrischen Kirche aufbewahrt haben.
Den vierten Teil bilden sechs Beiträge über das Bild Jesu in der üblichen frühchristlichen Literatur: J.D.Garroway hält den He­-bräerbrief für eine neue Deutung des Römerbriefes des Paulus. Das Wort vom ἱλαστήριον aus Röm 3,25 wird im Hebräerbrief durch das Bild Jesu als des Hohenpriesters ersetzt. »An die Hebräer« kann diese Schrift genannt werden, weil durch das Opfer Christi alle Christen zu den Nachkommen Abrahams gehören. – Dem chiastisch gestalteten Prolog des Hebräerbriefs (1,1–4) ist der Beitrag von C. R. Moss gewidmet. Nach ihrer Meinung hat ihn der Verfasser der ganzen Schrift verfasst, weil dort stichwortartig die später be­handelten Themen angekündigt werden. – D. C. Harlow be­schäftigt sich mit der jüdischen Polemik gegen die Messianität Jesu, die die Lehre von der Jungfrauengeburt Jesu voraussetzt und Jesus als uneheliches Kind betrachtet. Sie ist bei Celsus, in den Pilatusakten oder im Talmud belegt. Celsus beruft sich dabei auf Joh 8,41b. Allerdings, da das Johannesevangelium die Lehre von der Jungfrauengeburt nicht kennt, kann Joh 8,41 nicht als indirekter Beweis für seine Abstammung aus der Jungfrau dienen. – R. I. Pervo zeigt, welche Rolle im Paulusbild der Paulusakten die Analogien zwischen Paulus und dem Jesus der Evangelien spielen. Paulus wird dadurch als der wahre Jünger Jesu präsentiert. Doch bezeugen die zahlreichen christologischen Äußerungen, dass Paulus nicht die Rolle Jesu usurpiert. – Das umfassende Thema der Inkarnationen Christi außer in Jesus von Nazareth, von denen die ju­denchristlichen und sethianischen Quellen sprechen, hat D. M. Burns bearbeitet. Es handelt sich um eine Vorstellung, die nicht aus der Gnosis stammt, wie man oft annimmt, und nicht mit der Reinkarnationslehre der Pythagoräer verbunden werden kann. – M. Pappard untersucht das Bild Jesu als des Lehrlings seines Vaters, das von Joh 5,16–20a abgeleitet wird, und das unorthodoxe Bild Christi bei Athanasius, der Jesus u. a. mit der Statue eines Imperators vergleicht, die dessen παράδειγμα ist und seine Präsenz vertritt. Der gemeinsame Nenner der beiden Bilder ist ihre Funktion als μίμησις, die von dem Lehrling und von der Statue zu dem Nachgeahmten führen soll. Da die Gegenseitigkeit der Beziehung in den Hintergrund tritt, konnten sich diese Bilder im trinita­rischen Denken nicht durchsetzen.
Nicht alle Beiträge sind gleich bedeutend und überzeugend, aber als Ganzes stellt der Band einen wichtigen Beitrag dar und bezeugt, welch ein inspirierender Lehrer Harold W. Attridge ist.