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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

945–947

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hertog, Cornelis den

Titel/Untertitel:

The Other Face of God. ›I Am That I Am‹ Reconsidered.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Phoenix Press 2012. XX, 344 S. = Hebrew Bible Monographs, 32. Geb. £ 75,00. ISBN 978-1-907534-17-1.

Rezensent:

Rainer Albertz

Auch wenn das Buch in einer Monographienreihe erschienen ist, handelt es sich eher um eine Aufsatzsammlung, was sich schon daran zeigt, dass ein Gesamtverzeichnis der verwendeten Literatur fehlt und eine Zusammenfassung nicht am Ende, sondern im Vorwort erfolgt. Fünf der sechs Kapitel des Buches sind überarbeitete Aufsätze, die Cornelis den Hertog zwischen 1999 und 2002 teils in niederländischer und teils in englischer Sprache veröffentlicht hat. Diese gehen wiederum auf die Dissertation »Het zonderlinge karakter van de godsnaam. Literaire, psychoanalytische en theologische aspecten van het roepingverhaal van Mozes (Exodus 2,23–4,17)« zurück, die der Vf. bei Karel A. Deurloo an der Freien Universität Amsterdam angefertigt hatte und die 1996 im Selbstverlag veröffentlicht worden war. Nur das fünfte Kapitel ist völlig neu.
Unter der Überschrift »The Sign of Sinai: Exodus 3.12B as Part of a Call Narrative and Beyond« arbeitet der Vf. im ersten Kapitel (1–27) die Problematik des Zeichens heraus, das Mose in Ex 3,12aβb im Zuge seiner Berufung gegeben wird, da sich dessen Eintreffen, die Verehrung Gottes »auf diesem Berge«, erst nach der Erfüllung seiner Mission ereignen wird. Richtig erkennt der Vf., dass sich das Zeichen gar nicht mehr auf die Befreiungsaktion bezieht (16), wie man nach der Beistandszusage in V.12aα meinen könnte, sondern auf die Klärung der Identität Gottes, die in V.13–15 ins Zentrum der Erzählung rückt. Dennoch meint er, dass diese Zeichengabe perfekt in die Berufungserzählung passe: »It serves to underline the reintroduction of Yhwh as the one, who is really engaged with Moses’ mission and to reorientate Moses in this respect.« (21) Die Möglichkeit einer diachronen Erklärung, die Peter Weimar und Jan Christian Gertz an dieser Stelle angeboten hatten, wird von dem Eleven der Amsterdamer Schule nicht einmal erwähnt.
Im langen zweiten Kapitel (28–131) wendet sich der Vf. unter der Überschrift »The Prophetic Core of the Divine Name: On Exodus 3.14A, Its Context and Syntax« ausführlich der Einführung des JHWH-Namens in Ex 3,13–15 zu. In einer genauen Untersuchung der idem-per-idem-Formulierungen, die sich abgesehen von Ex 3, 14a noch in Ex 33,19; 4,13; Ez 12,25; Hos 9,14 finden, kommt er zu dem Ergebnis, dass die göttliche Selbstvorstellung nicht – wie in der Forschung teilweise vertreten – auf eine Abwehr der Frage oder auf eine Zusage göttlicher Präsenz, sondern auf eine bewusste Unbestimmtheit des göttlichen Wesens abzielt (vgl. 320: »I may be who I may be«). Gott handelt frei und unerwartet. Dies bringt der Vf. mit Moses neuartiger Sendung zu einem anderen Volk in Verbindung, die vom Gott der Väter nicht zu erwarten gewesen wäre (121). Ex 3,14 sichert nach dem Vf. darum so etwas wie ein Freiheitspoten­tial der prophetischen Gottessicht. Der Vers beinhaltet allerdings nur eine vorläufige Antwort; die endgültige wird erst in V. 15 gegeben. Dass diese auf eine geradezu feierliche Weise JHWH mit den Göttern der Väter identifiziert, wird vom Vf. leider nicht ausreichend reflektiert.
Im kurzen dritten Kapitel (132–154) weist der Vf. mit Recht die zuweilen geäußerte Ansicht ab, Hos 1,9bβ sei als bewusster Rück-bezug auf Ex 3,14 zu verstehen. Der Satz, den der Vf. mit »as for me, I will no longer be yours« übersetzt, drücke vielmehr JHWHs scharfe Distanzierung von Israel aus. Im vierten Kapitel bietet der Vf. eine ausführliche Untersuchung der Septuaginta-Übersetzung von Ex 3,14 unter der Fragestellung: »›I Am the One Being‹ – A Metaphysical Statement?« (155–224). Sein Ergebnis ist negativ. Im Unterschied zur philosophischen Auslegung Philos, »nothing in the translation of Exodus favours the idea of God as the true Being behind the stage of this world« (219). Die partizipiale Übersetzung » ho ōn in Ex 3.14 refers only in general terms to the effective presence of God« (ebd.). Sie wurde nach Meinung des Vf.s von den Übersetzern gewählt, um von V. 14 syntaktisch glatt zum Kyrios-Titel in V. 15 überleiten zu können.
Das neu geschriebene fünfte Kapitel (225–293) bietet einen breiten Überblick über die Übersetzung von Ex 3,14 von der Antike bis in die frühe Neuzeit. Angefangen von den Tochterübersetzungen der Septuaginta (äthiopische, sahidische, bohairische Version, die Syro-Hexaplaris, Vetus Latina, armenische, arabische und kirchenslawische Version) über die Vulgata und deren Tochterübersetzungen aus dem Mittelalter bis hin zu den Übersetzungen des Europas der frühen Neuzeit, die wieder auf den Hebräischen Text zurückgehen, schreitet der Vf. den weiten Bogen der Bibelhandschriften ab und erläutert – offenbar mit Kenntnissen in all diesen Sprachen – die jeweiligen Übersetzungen auf dem dazugehörigen kulturellen Hintergrund. Dabei zeigt sich, dass so gut wie alle Verständnismöglichkeiten der Selbstvorstellungsformel, die in der modernen Exegese diskutiert werden, schon in den alten Übersetzungen vorabgebildet sind, so etwa das Verständnis als modale idem-per-idem-Formel, das der Vf. bevorzugt, in der armenischen Übersetzung (235: »I am whatever I may be«) oder das Verständnis als Aussage über einen Wesenszug Gottes in der arabischen Übersetzung (246: »I [am] the Eternal [One], who does not cease [to be]«). In den protestantischen Übersetzungen des 16. und frühen 17. Jh.s n. Chr. herrschte in Deutschland und den Niederlanden die präsentische Übersetzung vor, während in den französisch und englisch sprechenden Gebieten die futurische beherrschend wurde (285). Auf die damit verbundenen vielfältigen theologischen Facetten kann hier nicht eingegangen werden.
Das sechste Kapitel überrascht im Duktus des Buches; es erklärt sich daraus, dass es schon in der Dissertation am Ende stand. Der Vf. hat sich offenbar intensiv mit den teilweise noch unveröffentlichten Schriften des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan beschäftigt und möchte im Gespräch mit ihm einige wichtige Aspekte der Berufungserzählung des Mose entfalten, insbesondere den Erzählzug, dass Gott selber seinen Namen in der ersten Person einführt. »The introduction of the divine name involves a change in the nature of the Real or at least the relationship to it, which in the end undermines the position of someone like Pharao« (321). Gleichzeitig opponiert sie implizit gegen das, was über Gott bis dahin gesagt und gedacht wurde (320). Der Vf. sieht an dieser Stelle Berührungspunkte mit seinen eigenen exegetischen Einsichten, obgleich er sich der Spannung zwischen einem psychoanalytischen und einem theolo­gischen Verständnis des Textes bewusst ist.
Das Buch bietet vor allem für die weitverzweigte Wirkungsgeschichte von Ex 3,14 eine Fundgrube; seine stärksten Abschnitte sind nach meiner Einschätzung die Kapitel 4 und 5. Weniger klar und stringent sind meiner Ansicht nach die exegetischen Teile. Die Auslegung von Ex 3,14–15 im Rahmen der Berufungserzählung des Mose (3,1–4,18!) wäre m. E. deutlich profilierter ausgefallen, wenn sich der Vf. auf eine diachrone Sicht eingelassen hätte. Denn erst, wenn man erkennt, dass die beiden idem-per-idem-Formulie­run­gen in Ex 3,14 und 33,19 derselben Redaktionsschicht angehören und damit eng aufeinander zu beziehen sind, wird man ge­wahr, auf welch tiefsinnige Weise hier ein biblischer Autor über die Diskontinuität und Kontinuität göttlicher Offenbarungen und die Freiheit und Selbstbindung Gottes nachgedacht hat.