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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

944–945

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gillingham, Susan [Ed.]

Titel/Untertitel:

Jewish and Christian Approaches to the Psalms. Conflict and Convergence.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2013. XIX, 271 S. m Abb. Lw. £ 75,00. ISBN 978-0-19-969954-4.

Rezensent:

Beat Weber

Der vorzustellende Band enthält die überarbeiteten Vorträge, die im September 2010 auf einer Konferenz am Worcester College in Oxford gehalten wurden und sich Psalmen und Psalter widmen. Die Studien sind den drei Rubriken »Jewish and Christian Responses to the Psalms« (zehn Beiträge), »Reading the Psalter« (sechs Beiträge) und »Past Contexts and Future Perspectives« (drei Beiträge) zugeordnet und dokumentieren eine breite Zugangsweise zur Thematik. Dabei respondiert öfter ein (kürzeres) Zweitreferat auf ein Hauptreferat. Beigegeben ist eine Einleitung der Herausgeberin und ein »Postscript« von John Barton. Vorwort, Referentenliste, drei Indizes und nicht zuletzt 15 farbige Abbildungen (vor allem alte Psalmmanuskripte sowie Psalmenmotive aus der Malerei) runden den Band ab.
Im Einzelnen enthält der Sammelband die folgenden Beiträge: I: 1. Peter W. Flint: The Dead Sea Psalms Scrolls: Psalms Manuscripts, Editions, and the Oxford Hebrew Bible, 11–34; 2. Geza Vermes: Reflections on the Canon and the Text of the Bible in Response to Peter Flint, 35–37; 3. Adele Berlin: Medieval An­swers to Modern Questions: Medieval Jewish Interpreters of Psalms, 38–55; 4. Corinna Körting: Medieval Psalms Exegesis as a Challenge to Modern Exegesis: A Response to Adele Berlin, 56–63; 5. Susan Gillingham: The Reception of Psalm 137 in Jewish and Christian Traditions, 64–82; 6. Jonathan Magonet: Psalm 137: Unlikely Liturgy or Partisan Poem? A Response to Sue Gillingham, 83–88; 7. Elizabeth Solopova: The Liturgical Psalter in Medieval Europe, 89–104; 8. Aaron Rosen: True Lights: Seeing the Psalms through Chagall’s Church Windows, 105–118; 9. David C. Mitchell: How Can We Sing the Lord’s Song? Deciphering the Masoretic Cantillation, 119–133 (mit Notensätzen zu einzelnen Psalmen); 10. John F. A. Sawyer: The Psalms in Judaism and Christianity: A Reception History Perspective, 134–143 (in diesen Beitrag sind sämtliche Bilder, die freilich zum Teil andere Beiträge illustrieren, eingefügt). II: 11. W. H. Bellinger, Jr.: The Psalter as Theodicy Writ Large, 147–160; 12. Dirk Human: The Psalter and Theodicy: Perspectives Related to a Rhetorical Approach, 161–167; 13. Klaus Seybold †, The Psalter as a Book, 168–181; 14. David M. Howard, Jr.: The Proto-MT Psalter, the King, and Psalms 1 and 2: A Response to Klaus Seybold, 182–189; 15. Nancy L. deClaissé-Walford: On Translating the Poetry of the Psalms, 190–203; 16. Philip S. Johnston: ›Traduttore traditore‹, Beowulf and the Psalms: A Response to Nancy deClaissé-Walford, 204–208. III: 17. John Day: Psalm 104 and Akhenaten’s Hymn to the Sun, 211–228; 18. Erhard Gerstenberger: The Psalms and Sumerian Hymns, 229–239; 19. Frank-Lothar Hossfeld und Till Magnus Steiner: Problems and Prospects in Psalter Studies, 240–258.
Für die Inhalte muss auf die einzelnen Essays selbst verwiesen werden, da hier nur eine subjektive Auswahl kurz kommentiert werden kann: Flint gibt nicht nur einen kurzen Überblick über die Psalmenhandschriften am Toten Meer und die durch die Funde ausgelöste Debatte über die Psalterentstehung, sondern auch über laufende und geplante Editionsprojekte (Biblia Qumranica und Oxford Hebrew Bible als kritische Edition des Alten Testaments in Ergänzung zu den bisherigen Ausgaben, die eine Handschrift im Haupttext anführen). Berlin bringt in einer fiktiven Gesprächsrunde vier namhafte mittelalterliche jüdische Psalmenausleger (Saadia Gaon, Raschi, Ibn Esra, Qimchi) untereinander in einen Dialog und arbeitet dabei Gemeinsamkeiten wie Unterschiede von deren Auslegungsgrundsätzen heraus. Mitchell bricht eine Lanze für den Versuch von Haïk-Vantoura, masoretische Notationen in Psalmenmelodien zu überführen. Seine Kenntnisse aus der Psalmenforschung zu Hilfe nehmend plädiert er für ein modifiziertes Melodiesystem und zeigt dies beispielhaft an einigen Psalmen auf (u. a. Ps 23; 95; 122). Seybold sammelt Evidenzen und bietet eine Skizze einer (möglichen) gestaffelten Entstehung des Psalmenbuchs. Dazu gehören: David-Psalter als Vorstufe (Ps 3–41; 51–72), Tempel-Bibliothek zur Zeit Nehemias in Jerusalem (2Makk 2,13–15), 4QPsa (ca. Mitte 2. Jh. v. Chr.) als erste greifbare Psalteredition, 11QPsa (anfangs 1. Jh. n. Chr.) mit seinem Selbstverständnis als davidisch-prophetisches Buch, 4QPsb als Ausdruck poetischen Bewusstseins (stichome­trische Anordnung), Kenntnis und prophetisches Verständnis des Psalters mit autoritativem Status im Neuen Testament (Lk 20,42; 24,44) und die masoretischen Psalterhandschriften. Day geht von einer Abhängigkeit von Ps 104 von Echnatons Sonnenhymnus (großer Aton-Hymnus) für die Verse 20–30 aus. Die Vermittlung geschieht in der Amarna-Zeit selbst in Kanaan. Die Annahme einer Vermittlung durch spätere Amun-Hymnen (so Köckert, Knigge und Krüger) wird als nicht überzeugend verworfen. Hossfeld und Steiner benennen Grundannahmen ihres Projekts einer Theologie des Psalters und untersuchen als Fallstudie die von ihnen als vorexilisch eingestuften Psalmen 46 und 48. Sie bilden innerhalb der lectio continua die ersten Repräsentanten einer Zionstheologie.
Die Beiträge in diesem Band sind thematisch und methodisch breit gefächert. Damit ist ein großes Spektrum geöffnet, allerdings zugleich eine geringe Fokussierung in einem an sich schon breiten Arbeitsfeld in Kauf genommen. Das stärkste Gewicht innerhalb des Bandes hat die Rezeptionsgeschichte. Da die Epizentren der neuesten Psalmen- und Psalterforschung im deutschen Sprachraum und in den USA liegen (vgl. dazu auch die Forschungs­skizze im Beitrag von Bellinger, wenngleich er die deutschsprachige Forschung etwas engführt), darf der Band vielleicht als Ausdruck dafür gelten, dass sich im United Kingdom ein Arbeitsgebiet neu profiliert. Angestoßen durch Sawyer treibt Gillingham eine Re-zeptionsgeschichte von Psalmen und Psalter voran. Mit diesem Sammelband ist ein weiterer Schritt getan. Für die künftige Erar beitung einer Sichtweise auf die Psalmen im Spiegel von Text, Liturgie, Bild und Musik aus unterschiedlichen Zeiten, Glaubensrichtungen und Kulturen ist Sue Gillingham und anderen gutes Gelingen zu wünschen. Die Psalterforschung insgesamt wird von dieser Bereicherung nur profitieren können.