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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

936–939

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Moon, Joshua N.

Titel/Untertitel:

Jeremiah’s New Covenant. An Augustinian Reading.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2011. IX, 292 S. = Journal of Theological Interpretation, Supplement 3. Kart. US$ 39,95. ISBN 978-1-57506-702-5.

Rezensent:

Andreas Heiser

Joshua Moon wurde mit vorliegender Arbeit von der St. An­drews University promoviert. Er arbeitet heute als Pastor der Good Shep-herd Presbyterian Church in Minnetonka.
Seine exegesegeschichtliche und exegetische Studie verfolgt das auf Augustinus zurückgehende Verständnis von Jer 31,31–34 durch die Geschichte des Christentums. Der »alte« und der »neue« Bund werden als soteriologische, nicht chronologische Gegensätze aufgefasst. Sie bilden die Kategorien der geretteten und nicht-geretteten Menschen zu allen Zeiten. Auf der Grundlage der Auslegungen des Hochmittelalters, der Reformation und besonders der reformierten Orthodoxie des 17. Jh.s plädiert M. in seiner eigenen, in der Tradition des »canonical approach« stehenden Exegese für das augustinische Verständnis der Stelle in der Gegenwart.
Während Hieronymus im »alten« und »neuen« Bund zwei erfolgreiche, zeitlich aufeinander folgende und sich ablösende heilsgeschichtliche »Zeitalter« sah (Substitutionslehre), führt M. vor, wie »alt« und »neu« bei Augustinus als soteriologischer Gegensatz (»salvific contrast« [14–27]) zwischen Buchstabe und Geist, Unglauben und Glauben zu allen Zeiten aufgefasst (21 f.) wurde. Die Beziehung zwischen den zwei Testamenten korrespondierte mit der Differenz zwischen der alten und der neuen Person (23), so dass auch die Heiligen des alten Bundes durch Gnade gerettet worden seien. Die Positionen macht M. mit präzise übersetzten Texten anschaulich und diskutiert sie im Kontext weiterer antiker christlicher Literatur.
In der Zeit des Hochmittelalters (30–57) vertrat Thomas von Aquin eine Spielart dieses soteriologischen Kontrasts, indem er »alt« und »neu« auf zwei erfolgreiche Zeitalter bezog. Er bewahrte das augustinische Verständnis, indem er die vetus lex als Gesetz ohne Geist in jeder Phase der Kirche von der nova lex als Gnade des Geistes zu jeder Zeit verstand. Hugo von St. Victor setzte bei den alttestamentlichen Patriarchen ein. Sie seien in Bezug auf ihren Glauben Glieder des neuen Bundes der Gnade, in Bezug auf die Heilszueignung aber Teilhaber am geschriebenen Gesetz gewesen. Da der Unterschied der Bünde in der mutatio sacramentorum, dem »Wandel der Heilszueignungen«, gesehen wurde, markiert M. das Problem, mit Bezug auf denselben Text gleichzeitig von Erfolg und Nicht-Erfolg der Bünde zu sprechen.
Der quellennahe Durchgang durch die frühe reformierte Tradition (Philipp Melanchthon [!], Heinrich Bullinger, Johannes Oekolampad, Johannes Calvin und Petrus Martyr Vermigli) (58–102) zeigt, dass es keine spezifische reformierte Auslegungsweise von Jer 31,31–34 gab. Konstant sei der Erlösungsakt in Christus für Glaubende aller Zeiten als erreichbar angesehen worden. Alle Grundlinien dieser Auslegungen findet M. in der reformierten Orthodoxie des 17. Jh.s wieder (103–139). Bei Oekolampad hatte M. beobachtet, dass dem Zeitalter, in dem der ewige Gnadenbund und das mosaische Gesetz koexistiert hätten, die Zeit, in der die Gnade allein verkündigt worden sei, gefolgt sei. Diese Komplexitätsreduzierung zeichnet er bei John Cameron, Samuel Bolton, Robert Rollock und Herman Witsius nach. Der bei Bullinger entfaltete (nur) akzidentielle Kontrast zwischen altem und neuem Bund sei von Macconius und Wilhelm von Brakel aufgenommen worden. Calvins Ansicht, aus Jer 31 die Gnadensubstanz des einen Bundes zu allen Zeiten abzuleiten und den Kontrast mit dessen accidentia zu beschreiben, führten Caspar Olevianus und John Ball aus.
Indem M. bei der Frage nach dem Kontrast zwischen beiden Bünden eine Weiterführung des augustinischen Verständnisses von Jer 31 in unterschiedlichen Spielarten sieht, zeigt sich ein Problem der gesamten Arbeit. Die Wirkungsgeschichte ist nur phänomenologisch konstruiert. Im 17. Jh. und vollends im 20. Jh. findet keine nachweisbare, materiale Auseinandersetzung der Exegeten mit Augustinus’ Auslegung statt (anders noch Thomas, 50–52). Diese Konstruktion entlarvt sich durch die Sprache. M. spricht beispielsweise nur von »similar to Augustine« (138) oder »what I have labled an ›Augustinian‹ reading« (1; vgl. 29.246 u. ö.).
Der moderne Diskurs über den neuen Bund (140–179) wird an­hand der Auslegungen von Bernhard Duhm, Gerhard von Rad, aber auch Christoph Levin, Norbert Lohfink und Erich Zenger dargestellt. Gemeinsam ist allen, für den neuen Bund eine neue Form der Innerlichkeit festzustellen, die mit Israels religiöser Entwicklung begründet wird. Augustinus’ Ausgangsfrage (auch Melanchthons, Calvins und Vermiglis und Balls) nach der Bedeutung der Minderwertigkeit des »alten« Bundes habe die Moderne nicht mehr dogmatisch, sondern historisch zu lösen versucht. Diesen Verlust möchte M. kompensieren. Da die Diversität moderner Auslegungsergebnisse aus den jeweils unterlegten historischen Hin­tergründen entstanden sei, favorisiert M. eine Leseweise in augustinischer Tradition (234.180–244) auf der Grundlage der »edited form of the book of Jeremiah« (180) und kommunikationstheoretischer Ansätze (H. van Dyke Prunak, 1994). Im Ergebnis wurde der Bund nicht deswegen erneuert, weil er »alt« gewesen sei, sondern weil er »gebrochen« wurde. M. stellt sich erneut die Frage, was dann am neuen Bund neu sei. Mit Holmgren kehrt er die Frage um: neu für wen? Der Bund sei durch Unglaube/Untreue auf Seiten des Volkes gebrochen worden. Das daraus resultierende Gericht sieht M. im neuen Bund in seinen Gründen und Wirkungen durch JHWH überwunden. Die Dinge seien nun so hergestellt worden, wie sie immer sein sollten ( restitutio ad integ­rum, 244).
Die Zusammenfassung (225–260) führt die Bezüge von Jer 31,31–34 zur neutestamentlichen Rezeption vor. M. stellt eine mutatio sacramentorum fest, wenn in Lk 22,14–20 und anderen Texten das Vertrauen in Gottes neuen Bund an das Opfer Jesu Christi, den Höhepunkt des einen Bundes, gebunden wird. Der Versuch, die Folgen der Favorisierung des einen Gnadenbundes zu allen Zeiten für das Verhältnis von Judentum und Christentum zu reflektieren, mündet in dem Vorschlag für Christen, Gott mit den Vätern anzubeten und die in der Auferstehung Christi antizipierte volle Erfüllung des neuen Bundes, in dem alle Dinge sein werden, wie sie (schon) immer sein sollten, zu erwarten.
Gern hätte man als Leser neben den ordentlichen Bibelstellen-, Autoren- und Sachregistern (285–292), gerade wegen der ausführlich zitierten Texte aus Mittelalter und früher Neuzeit, ein Register der Schriften zur Hand.
Problematisch bleibt in dem anregenden Entwurf viererlei: a) der Traditionsbegriff: Die materiale Auseinandersetzung der un­tersuchten Exegeten mit Augustinustexten endet in der Reformationszeit. Wie kann für spätere Zeiten begründet von »Augustinian Reading« geredet werden? b) M.s Analyse des Endtexts vernachlässigt, dass auch diese letzte Form des Jeremiabuchs (»edited book« [4 u. ö.]) eine bestimmte historische Entstehung hat. Indem die vorliegende Textebene den Bezugsrahmen der Auslegung konstituiert, vernachlässigt M. historische Bezüge: Warum wird Gericht angedroht? Worin besteht Untreue außer im Nicht-Hören und Nicht-danach-Handeln? Andere konkrete historische Angaben werden ausgeblendet (wie z. B. 31,15: Rama, Rahel usw.). Gerade die Darstellung des Gerichts, das sich im Verlust des Landes mani­-festiert, entbehrt der historischen Motivation. c) Sodann fehlt die Begründung, worin die Bezugspunkte der Analyse des Endtexts zur Exegese Augustinus’ liegen. Wenn sich in der konkreten Arbeit am Text Parallelen zwischen der Arbeitsweise Augustinus’ und M.s aufzeigen ließen, wäre über den fragwürdigen Hiat zwischen dogmatischer Exegese bei Augustinus und historischer Exegese in der Moderne hinaus eine ernsthaftere Begründung für die Aktua­lisierung des »Augustinian Reading« gewonnen. d) Das Plädoyer für diese Leseweise bleibt farblos, denn die eigentliche Antwort bleibt M. schuldig: Was bedeutet sie für eine Religion, die den Höhepunkt des Bundes eben nicht als solchen ansieht? Nur »Vertrauen – nicht Vertrauen« bzw. »Heil – nicht Heil« auf Seiten des Menschen gegenüber einer der Bundessetzung entsprechenden Treue JHWHs festzustellen, übersieht Ostern als Heilsereignis sine qua non.
Für die Exegesegeschichte von Jer 31,31–34 bietet M. eine inspirierende Darstellung, die in der Andeutung der Konsequenzen ihres Ertrags jedoch zaghaft bleibt.