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Ausgabe:

September/2013

Spalte:

928–930

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gimello, Robert, Girard, Frédéric, and Imre Hamar [Eds.]

Titel/Untertitel:

Avataṃsaka Buddhism in East Asia. Huayan, Kegon, Flower Ornament Buddhism. Origins and Adaptation of a Visual Cul­-ture.

Verlag:

Wiesbaden: Otto Harrassowitz 2012. XXIII, 412 S. m. 61 Abb. u. 13 Taf. = Asiatische Forschungen 155. Geb. EUR 82,00. ISBN 978-3-447-06678-5.

Rezensent:

Sybille C. Fritsch-Oppermann

In dem hier vorzustellenden Sammelband über den Avataṃsaka-Buddhismus in Ostasien werden die Ergebnisse des zweiten internationalen Huayan-Symposiums dokumentiert. Es fand vom 7. bis zum 10. August 2008 in Paris – Boutigny-sur-Essone (Frankreich) statt. Veranstalter vor Ort war die »École Française d’Extrême-Orient«, Paris. Der Harrassowitz Verlag hat ein sehr feines, vergleichsweise erschwingliches Buch daraus ge­macht – für Liebhaber des fernöstlichen Buddhismus und solche, die den Mut haben, es zu werden.
Gleich vorweg: Man kann durchaus auch ohne Vorkenntnisse von der Lektüre profitieren. Dabei hilft die fürsorgliche und ausführliche Einleitung von Girard, die zur Forschungssituation und Relevanz der Thematik Stellung nimmt, aber eben auch – hier und da erklärend und Zusammenhänge erläuternd – auf die Einzelbeiträge eingeht. Da das Symposium aber durchaus breiter als bisherige Studien zu diesem Themenkreis angelegt war und eine Gelegenheit zur weiteren Diskussion dieser im Westen bisher nicht genügend rezipierten Richtung des Buddhismus bieten sollte, können die 15 Einzelbeiträge, die auf schriftlichen Primärquellen und ikonographischen Quellen basieren, bzw. die größeren thematischen Abschnitte (Ursprünge der Huayan Philosophie, Verbreitung in der chinesischen Kultur sowie ikonographische und dogmatische Adaption in China, Korea und Japan) auch je für sich zur Kenntnis genommen werden.
Im Text werden jeweils Schriftzeichen, Sanskritversionen, chinesische und japanische Termini in Umschrift und Übersetzungen geboten. Wer mag, kann also in entsprechenden Wörterbüchern nachschlagen. Erleichtert wird dies durch einen aus­führlichen Namens- und einen Begriffsindex. Fußnoten und Literaturangaben finden sich am Ende der Einzelbeiträge. Be­sonders schön und informativ sind die Farbreproduktionen im eher ikonographisch ausgerichteten Teil.
In der kurzen Inhaltsangabe, die der Verlag in englischer Sprache auf seiner Internetseite vorlegt, wird darauf hingewiesen, dass die Avataṃsaka Lehren in China besondere Ausdrucksformen und Paradigmen entwickelt haben. Mit ihnen liegt ein sinisierter Bud­dhismus vor, der als eine philosophische Revolution innerhalb des Mahāyāna bezeichnet werden darf: Das Absolute ist hier nicht Ziel philosophischer und soteriologischer Erörterungen, sondern ihr Ausgangspunkt. Die Welt ist nicht nur eine Illusion, die es zu überwinden gilt, sondern eine Manifestation eben dieses Absoluten selbst. Außerdem kann Avataṃsaka als Rückgrat weiterer einflussreicher Schulen, wie etwa des Chan bzw. Zen (besonders bei Dōgen, 1200–1253) oder auch des Tendei, des ritualistischen Bud­dhismus, des Bud-dhismus des Reinen Landes sowie der Song Studien gesehen werden. Die neuerlich in der Religionsgeschichte des Fernen Ostens aufgekommene Diskussion eines Schemas, das philosophische (exoterische) und ritualistische (esoterische) Elemente kombiniert, lässt den Avataṃsaka-Buddhismus Bedeutung als gemeinsamen Nenner von China bis zur Qitan-Region und bis Korea und Japan gewinnen.
Dies bei der Lektüre des Sammelbandes vor Augen zu haben, dürfte helfen, den roten Faden in den 15 komplexen und hochwissenschaftlichen Beiträgen nicht zu verlieren. Über das Nachschlagen einzelner Begriffe in anderen Beiträgen lässt sich außerdem das Buch nahezu selbsterklärend auch für diejenigen Leser benutzen, die sich der Thematik mit Neugier und einem gewissen Grad an Kenntnis buddhistischen und fernöstlichen Gedankenguts erstmalig nähern. Diejenigen, die sich bisher schwerpunktmäßig eher mit Zen, Tendai, Buddhismus des Reinen Landes etc. auseinandergesetzt haben, werden, bei allen Eigenheiten dieser Schulen, doch staunend die Einflüsse aus der Huayan Philosophie zur Kenntnis nehmen.
Längere Zeit wurde der Huayan-Buddhismus als eine Schule über die »Natur der Dinge« (xingzong) im Gegensatz zu den eher phenomenalen und gnoseologischen Schulen (xiangzong) betrachtet. Der Huayan-Buddhismus galt außerdem als dem ursprünglichen Bud­dhismus nahestehend, da er auf einem Sūtra grün­-dete, das die Worte des Buddha wiedergibt und darauf, dass sich dessen Er­leuchtung in abrupter und für gewöhnliche Sterbliche nicht nachvollziehbarer Form ereignete. Alle weiteren Entwick­lungen im Buddhismus wurden als Erklärungen dieses Sūtra, des Avataṃsaka-sūtra, verstanden. In jedem Fall ist eine enge Beziehung zum Mahāyāna und dessen Rezeption in Zentralasien und China auszumachen. Und wie Chan bzw. Zen betont der Huayan-Bud­dhismus die Nähe zum historischen Buddha (und damit eine gewisse Unabhängigkeit von Hinayāna und Mahāyāna).
Ich gebe zur Illustration ein Beispiel aus Peter Gregory, The Three Truths in Huayan Thought (87-108):
Die »Drei Wahrheiten« werden für gewöhnlich als eine aus dem TendaiBuddhismus stammende Lehre gesehen. Umso bedeutender ist es, dass der fünfte Huayan Patriarch Guifeng Zongmi (780–841) diese Lehre explizit als zentrale Lehre der Huayang-Philosophie benennt. Weiterhin benennt er zehn Unterscheidungsmerkmale der Lehren von Mādhyamika und Huayan, zeigt dann aber auch, wie diese Unterschiede sich versöhnen lassen. Während es in früheren Schriften des Huayan-Buddhismus eher um eine Benennung der Unterschiede und gegebenenfalls deren Versöhnung zwischen Huayan und Yogācāra ging, orientiert sich Zongmi an der wachsenden Bedeutung des Chan (Zen) und seines apophatischen Diskurses über die Leere. Yogācāra re­präsentiert nun nach Zongmi die konventionelle Wahrheit, Mādhyamika die letzte (ultimative) Wahrheit, Huayan jedoch die höchste Wahrheit des mittleren Weges.
Ein weiteres Beispiel soll zur Veranschaulichung der Kernfrage der Studie dienen, nämlich Kimura Kiyotaka, What ist the Meaning of Studying Huayan Philosophy in Today’s Global World? (1–14):
Es wird darauf hingewiesen, dass Daisetzu Suzuki (1870–1966), der berühmte japanische Gelehrte, der dem Westen besonders die Lehren des Zen-Buddhismus nahezubringen suchte, das Avataṃsaka-sūtra als »the Inconceivable on the move« beschrieb. In diesem Sūtra spielt das Bodhisattva-Gelübde und der Glaube (shen) als eine dem eigentlichen spirituellen Weg vorangehende Stufe eine große Rolle. Besonders signifikant für die Huayan-Philosophie ist dabei die Lehre von den »three realms being mind-only« (sanjie weixin). Sie werden als Welten verstanden, die nur eine vorläufige Existenz haben und alle vom Geist (mind) geschaffen werden. Die Essenz des Geistes ist darüber hinaus – und dies ist weder in der Huayan-Schule noch in anderen Schulen genügend beachtet worden – der eigentliche Grund des Prozesses in dem wir selber Buddha werden.
Wer sich einmal mit den beiden (auch und besonders im Zen) wichtigen Konzepten von Śūnyāta (Leere/emptiness) und Pratītyasamutpāda (Entstehung in gegenseitiger Bedingtheit/dependent origination) auseinandergesetzt hat, wer darüber hinaus den ZenBuddhisten, aber auch Vertretern der Schulen des Reinen Landes gefolgt ist, die ein »dialektisches« Verhältnis zwischen der Leere und den Dingen in der Welt der Erscheinungen behaupten, wird in der Huayan-Philsophie und ihrer Lehre davon, dass die Welt selbst eine Manifestation des Absoluten ist, einen inspirierenden, wenn auch unbequemen Gesprächspartner haben.
Wer sich einen ersten Einblick über diese bei uns noch weniger bekannte buddhistische Schule verschaffen möchte, wird gleichzeitig viel Grundlegendes über den (Mahāyāna-)Buddhismus er­fahren!