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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

888–889

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Suzuki, Shozo

Titel/Untertitel:

Evangelium – Wirklichkeit – Verantwortung. Dietrich Bonhoeffers Theologie in Auseinandersetzungen mit japanischer Theologie und Tennonismus bei Kitamori und Takizawa.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT Verlag 2011. 239 S. m. Abb. = Ökumenische Studien, 38. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-643-90084-5.

Rezensent:

Theo Sundermeier

Shozo Suzuki (er promovierte bei H.-E. Tödt in Heidelberg) ist Leiter des Tomisaka-Zentrums in Tokio und leitet dort seit Jahren einen Gesprächskreis zur Theologie Bonhoeffers. In dem vorliegenden Band hat er verschiedene seiner Vortragstexte zusammengestellt, die eine Antwort geben auf die Frage, in welcher Weise die Theologie Bonhoeffers für die Verantwortung der Christen in Japan angesichts des verstärkt aufkommenden Nationalismus hilfreich ist. Im Zentrum des Buches steht die Auseinandersetzung mit dem Tennoismus, eine Auseinandersetzung, die in der Vorkriegszeit absolut verboten war. Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten werden vorgeführt (56 ff.): die ultranationalistische, die heute wieder an Akzeptanz gewinnt, die symbolische, der sich gern Kirchenmänner anschlossen, die soziologische und die demokratische, die von den Amerikanern nach dem Krieg anvisiert wurde, sich aber angesichts der wachsenden religiösen Überhöhung des Tennosys­tems nicht durchhalten konnte.
Mit dem Sinologen Fukunaga meint Suzuki den Shintoismus auf den chinesischen Taoismus zurückführen zu können (70 ff.). Das scheint mir überzogen zu sein, denn die aufgeführten Ge­meinsamkeiten – diesseitiger Utilitarismus, Glaube an die Unsterblichkeit, Neigung zum Synkretismus (in diesem Fall ist es kaum mehr als die Übernahme von chinesischen Begriffen), rituelle Wa­schungen u. a. – sind Phänomene, die der Shintoismus mit allen primären Religionen, den Stammesreligionen, gemeinsam hat. Beide, Taoismus und Shintoismus, sind im ursprünglichen Sinn »Stammesreligionen«, die auf ihre Weise dem Leben dienen wollen und um der Effizienzsteigerung willen gern Anleihen bei anderen Stammesreligionen machen. – Doch abgesehen von dieser Anfrage sind Suzukis Analysen überzeugend und ebnen den Weg, mit Bonhoeffer den notwendigen Perspektivenwechsel einzuüben: Der Tennoismus erzwingt die Perspektive von oben – die der herrschenden Oberschicht. Mit Bonhoeffer aber muss die Perspektive von unten gelernt werden. Dann erst wird man gewahr, wie der Tennoismus sich immer schon diskriminierend und rassistisch zu den Unterschichten verhalten hat. Selbst heute erleben das die Koreaner, die in der Kolonialzeit erzwungenermaßen nach Japan einwanderten und hier geblieben sind (77 ff.).
Es ist Bonhoeffers Auslegung des ersten Gebotes, die dazu auffordert und Mut macht, sich nicht der religiösen Überhöhung des Tennosystems zu beugen. Das wird an dem Kampf gegen die Wiederverstaatlichung des Yasukini-Schreins, der der Verehrung der Helden des 2. Weltkrieges dient, verdeutlicht (125 ff.). Unter Berufung auf die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit hatte die Christin Nakaya verlangt, dass ihr im Wehrdienst verstorbener Mann nach christlichem Ritus beerdigt wird und nicht nach shintoistischem Brauch, ein Wunsch, dem die Verteidigungsstreitkräfte nicht nachgaben. Das Oberste Gericht wies die Klage nicht nur ab, sondern verurteilte die Klägerin in einem bizarren Urteil: Sie, die Klägerin, sei intolerant, weil sie das (ungesetzliche, wie ein Bezirksgericht zuvor festgestellt hatte) Vorgehen der anderen nicht toleriere (127 f.).
In zwei ausgewogenen Kapiteln wird die Theologie Kitamoris (15–37) und Takizawas (112 ff.) mit Hilfe von Bonhoeffers Theologie hinterfragt. Auch wenn es um beide in der deutschen theologischen Diskussion heute still geworden ist – die, wenn auch kritische Erinnerung an diese beiden japanischen Gesprächspartner ist wichtig und lohnend. Dass das Verhältnis Takizawas zum Tennoismus bei uns nicht diskutiert wurde, liegt an der im Deutschen mangelhaften Quellenlage. Umso verdienstvoller ist es, dass dieses Defizit nun korrigiert wurde.
Eine einfühlsame Auslegung des Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter, die im Unterschied zu Barth und Bultmann u. a. den Blick vor allem auf die Herkunft und die Person des Samariters lenkt (157–170), schließt den in jeder Hinsicht lesenswerten und für das ökumenische und interkulturelle theologische Gespräch wichtigen Band.