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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

878–880

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klessmann, Michael

Titel/Untertitel:

Das Pfarramt. Einführung in Grundfragen der Pastoraltheologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. 340 S. Geb. EUR 39,00. ISBN 978-3-7887-2587-7.

Rezensent:

Kristin Merle

Michael Klessmann legt mit dieser Monographie aus dem Jahr 2012 ein weiteres Buch vor, dessen Titel durch seine Einfachheit be­sticht: Nach seinen beiden Lehrbüchern Pastoralpsychologie (2004) und Seelsorge (2008) erscheint nun Das Pfarramt. Die Grundständigkeit des Titels täuscht nicht; wer hier jedoch ein weiteres Lehrbuch aus der Feder des ehemaligen Wuppertaler Praktischen Theologen erwartet hat, wird auf den Untertitel verwiesen: Es handelt sich um eine Einführung in Grundfragen der Pastoraltheologie, »die einen Überblick über den gegenwärtigen Stand dieser [pastoral-theo­logischen, K. M.] Diskussionen« (5) bieten und insofern eine »Mo­mentaufnahme« sein will. Ausdrücklich geht es K. nicht da­rum, »der breiten pastoraltheologischen Diskussion einen weiteren Entwurf hinzuzufügen« (ebd.). Wertungsarm und unkonzeptionell ist K.s pastoraltheologische Einführung deshalb noch lange nicht, so dass zwar auch am Ende der Lektüre nicht ›Entwurf‹ auf dem Buchdeckel steht, die Leserin allerdings den Eindruck hat, es mit einem sehr interessanten Beitrag zur gegenwärtigen pastoraltheologischen Diskussion zu tun zu haben.
Ausgangspunkt und in gewisser Weise Horizont der Einführung ist K.s Befund einer »Transformationskrise« (ebd.) der Kirche. Diese Transformationskrise stellt an den Pfarrberuf als »Schlüsselberuf« der Kirche – K. nimmt hier, gleichwohl kritisch gestimmt, das EKD-Impulspapier Kirche der Freiheit auf – besondere Anfragen. In dieser Linie bestimmt K. die Pastoraltheologie als Krisenwissenschaft, die vor allem dann bemüht und vorangetrieben wird, wenn die Situation konfliktuös ist und nach Klärungen drängt. Um zu einer solchen Klärung – im Sinne einer differenzierten Darstellung des Gewordenen – beizutragen, schlägt die Einführung einen weiten Bogen: K. widmet Kapitel der Entstehung und Geschichte des Pfarrberufs (26–55), Begriffs- und Konzeptklärungen zu Amt und Beruf, Verständigungen über Rollenverhalten/-bilder, Reflexionen zum Ordinationsverständnis (188–232), dem evangelischen Pfarrhaus (233–250), Frauen im Pfarramt (250–266). Er ist offensichtlich darum bemüht, keinen Aspekt in der Einführung auszulassen, der gegenwärtig irgendwie Gegenstand pastoraltheologischer Diskurse ist. Der Bezugspunkt scheint allerdings der Begriff der Krise zu sein, verstanden als Situation, deren Bewältigung – psychologisch verstanden – nicht in der Formulierung neuer An­forderungen ›von außen‹ liegen kann. K. kommt auf diesen Aspekt nicht explizit zu sprechen, doch scheint mir die Figur deutlich im Hintergrund zu stehen. Die gegenwärtige Transformationskrise ist nun auszuloten im Kontext verschiedener Trends (61–83): Die Stichworte ›Privatisierung von Religion‹, ›Pluralisierung‹, ›Säkularisierung‹ und ›Traditionsabbruch‹ sowie ›Spiritualisierung‹ be­zeichnen gesamtgesellschaftliche und mittlerweile konventionell schlicht im religionssoziologischen Diskurs zu benennende Transformationsmerkmale von Religion.
Interessant ist nun, dass der Autor diesen Trends innerkirchlich-organisationale anschließt: K. konstatiert, trotz allem, eine »erstaunliche Stabilität der Volkskirche« (68), kommt dann aber einerseits auf die Reformanstrengungen der EKD resp. einzelner Landeskirchen zu sprechen, andererseits auf die Konsequenzen der Umbruchsituation (nicht nur) für die Pfarrer und Pfarrerinnen. Arbeitsverdichtung und das Gefühl von Entwertung und Kränkung angesichts anstehender Kürzungen verbunden mit einer massiven Themenfixierung (Strukturreformen) verhindern, dass Pfarrer und Pfarrerinnen sich auf ihre theologische Arbeit in den unterschiedlichsten Handlungsfeldern konzentrieren können. Deutlich kritisiert K. eine kirchenleitende Haltung, die – statt ressourcenorientiert und mit Blick auf faktisch zu Bewältigendes vor Ort – die Parole des »Wachsen[s] gegen den Trend« ausgibt (78). Die Art und Weise, wie in der Darstellung die gesamtgesellschaftlichen wie kircheninternen Trends einander zugeordnet sind, legt für die Interpretation nahe, dass die Transformationskrise zwar in erster Linie auf gesamtgesellschaftlichen Trends ruht, dass das Aus maß des Krisenempfindens – vielleicht sogar der Krise zu einem gewissen Teil – aber auch im Zusammenhang steht mit kirchenleiten­dem Handeln, das sich mit einer bestimmten reformistischen Grundhaltung verbindet.
K. wird nicht müde, die Pfarrerzentrierung in der Wahrnehmung der Volkskirche zu problematisieren (vgl. z. B. 58 f.76; be­sonders »Pfarramt und andere [nichttheologische] Mitarbeitende«: 267–285). Im gemeinsamen pastoralen Amt sieht er »einen ersten ernstzunehmenden Ansatz, die Pastorenzentriertheit der Volkskirche aufzulockern« (285). Entsprechend hat die Pastoraltheologie »das Verhältnis von Pfarramt und Gemeinde […], von Pfarramt und anderen haupt- und nebenamtlichen Mitarbeitenden im Kontext gegenwärtiger Kirche, gegenwärtiger Gesellschaft und ihrer pluralen Religionsformen« (140) zu reflektieren. In diesem Beziehungsgeflecht bedenkt sie »Verständnis, Begründung und Aufgaben des Pfarramtes, die Pflichten und Rechte von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie die Frage nach der Bedeutung von Amt und Person […]« (139). Die Person ist es auch, die die jeweiligen beruflichen Fertigkeiten und Rollenanforderungen integrieren und aus sich heraus reflexiv gestalten muss (vgl. 103.180). K. leistet – in Aufnahme seines 2001 erschienenen kleinen Büchleins Pfarrerbilder im Wandel – eine exemplarische Übersicht über pastoraltheologische Konzeptionen und Leitbilder im 20. und 21. Jh. (149–177).
Vor diesem Hintergrund und eben als Integrativum macht er den Begriff der »personalen Kompetenz« (180 ff.) stark: Diese um­fasst eine für den Pfarrberuf unabdingbar sich zu erarbeitende Beziehungsfähigkeit, die ihre Konkretisierung wiederum in den unterschiedlichsten professionell zu gestaltenden Bezügen findet. Unter Rekurs auf die Rede vom »persönlichkeitsspezifischen Credo« (Klaus Winkler) stellt K. die Notwendigkeit für Pfarrer und Pfarrerinnen heraus, sich ein »persönlichkeitsspezifisches Berufsbild« (183) zu erarbeiten – unter Einbezug biblisch-christlicher Traditionen, der Situation und Erwartungen des Arbeitsfeldes/der Öf­fentlichkeit, pastoraltheologischer Leitbilder, der jeweiligen persönlichen Lebenserfahrungen und theologisch-spirituellen Schwerpunkten. Es verwundert nicht, dass der Pastoralpsychologe und (Lehr-)Supervisor explizit auf die Chancen der Begleitung dieser Arbeit durch Supervision und Coaching, geistliche Begleitung und Seelsorge an Seelsorgern hinweist (329–335).
Vieles in K.s Einführung, die kein Entwurf sein möchte, ist nicht neu. Ungewohnt und insofern in gewisser Weise neu sind allerdings die Problematisierung der pfarramtlichen Generalistenrolle sowie die Fürsprache für eine notwendig (zuallererst) intrinsisch motivierte Ausgestaltung des Pfarramts. Gerade der Aspekt der Ressourcenorientierung in Zeiten der diagnostizierten Krise ist nicht oft genug zu thematisieren angesichts einer gegenwärtig zu beobachtenden Außenlenkung der Bestimmung dessen, was Voraussetzungen für und Anforderungen an den Pfarrberuf sind. Der Lektüre anempfehlen möchte man zudem einerseits K.s Plädoyer für eine bleibende Bezogenheit von theologischer Wissenschaft und Praxis (304–329) wie auch die Warnung, auf die Krise nicht mit einem Rückzug aus der Gesellschaft und den pluriformen Lebenswelten zu reagieren. Pluralismusfähigkeit erweist sich hier als Kernkompetenz, nicht zuletzt für die Pfarrer (vgl. u. a. 62 ff.174.336). Das Pfarramt: eine lohnende Lektüre nicht nur zur Einführung in Grundfragen der Pastoraltheologie.