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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

875–876

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Braune-Krickau, Tobias, u. Stephan Ellinger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Diakonische Jugendarbeit.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. XV, 671 S. m. Abb. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-7887-2450-4.

Rezensent:

Gottfried Adam

Bei dem »Handbuch Diakonische Jugendarbeit« geht es nicht darum, dass Jugendliche diakonische Projekte durchführen oder dass diakonisch-soziales Lernen im Bereich von Schule und Ausbildung stattfindet, sondern »Diakonische Jugendarbeit« ist, wie die Herausgeber eingangs unterstreichen, »eng mit a) den geschichtlichen Entwicklungsprozessen und b) den gesetzlichen Regelungen der Jugendhilfe verwoben« (3). In den weiteren Ausführungen zur Begrifflichkeit und zu den Handlungsfeldern »Diakonischer Jugendarbeit« wird diese dann auch im Gesamtfeld der Jugendhilfe verortet. Dabei soll sie vor allem hinsichtlich ihrer sozialpädagogischen Dimension akzentuiert werden.
Damit geht es letztlich um »Diakonische Jugendhilfe«. Nach einem Blick in die Anfänge von Fürsorgeerziehung und Jugendfürsorge sowie in die Geschichte der Jugendhilfe (6–11) werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Tätigkeitsfelder heutiger Jugendhilfe expliziert (11–20). Die Herausgeber verweisen selbst auf die Schwierigkeiten für eine Definition des Begriffes »Diako­nische Jugendarbeit«. Es ist jedenfalls kein offizieller Begriff der deutschen Sozialgesetzgebung (21).
Die nähere Füllung des Begriffs möchten die Herausgeber einer­seits in Bezug auf den Terminus Jugendhilfe und andererseits in Verbindung mit einem Alltagsverständnis von Jugendarbeit vornehmen. »Diakonische Jugendarbeit« wird darum nicht als Be­schreibung eines institutionellen, organisatorischen Zusam­menhanges, sondern als Bezeichnung für eine spezifische Praxisform interpretiert. Dabei wird das Spezifische dieser Praxisform nicht auf der Ebene der tatsächlich vollzogenen Handlungen gesehen, sondern »auf der Ebene der Deutung von Seiten der Akteure« (22) angesiedelt. Dementsprechend wird definiert: »Diakonische Ju­gendarbeit ist eine Bezeichnung für all jene Praxisformen, bei denen sich die Akteure selbst als der christlichen Religion zuge­-hörig verstehen und die auf einen ›Ausgleich sozialer Benachteiligungen‹ oder die ›Überwindung individueller Beeinträchtigungen‹ (§ 13 SGB VIII) von Jugendlichen zielen und ›Familien in ihrem Bemühen unterstützen, junge Menschen zur Selbstbestimmung zu befähigen, zu gesellschaftlicher Mitverantwortung zu führen und zu sozialem Engagement anzuregen‹ (§ 11 SGB VIII)« (22).
Jugendarbeit als pädagogische, begleitende, unterstützende ›Ar­beit‹ mit und für Jugendliche soll alle diakonischen Praxisformen mit und für Jugendliche umfassen (23). Dabei sind prinzipiell zwar alle Felder der Jugendarbeit im Blick, de facto wird sich Diakonische Jugendarbeit aber »am häufigsten im Bereich der ›familienunterstützenden Hilfsangebote‹« finden.
Als Adressaten des Handbuches werden zum einen die »Praktiker« diakonischer Jugendarbeit und zum anderen die in Ausbildung befindlichen Personen bestimmt (IX). Für die erste Gruppe ist vor allem der fachliche Input über neuere Einsichten zu Phänomenen wie Gewalt, ADHS, Rechtsextremismus, Sucht usw. als Hilfe für die praktische Arbeit gedacht. Für die zweite Gruppe sollen verlässliche Informationen und Anregungen zur selbständigen Wei­terarbeit geboten werden mit dem Ziel, dass diese Personen einen eigenständigen Zugang zu den Themengebieten und Handlungsfeldern finden und sich ein tragfähiges Selbstverständnis erarbeiten können.
Was den Aufbau des Handbuches betrifft, so ist es in zwei Teile gegliedert. Teil I »Reflexion: Horizonte Diakonischer Jugendarbeit« (3–25) behandelt in einem Dreierschritt erstens Diakonische Jugendarbeit (Begriffe, Themengebiete., Handlungsfelder), zweitens Chris­tentum und Gesellschaft (biblische Grundlagen, Ge­schich­te, subjekttheoretische Vergewisserungen, Motive christlichen Helfens, Spiritualität, soziale Ungleichheit sowie Arbeit und Anerkennung) und drittens Institutionen (Familie, Gemeinde, Ju­gendarbeit in kirchlichen Verbänden und in Kooperation mit der Schule, Pädagogik im Strafvollzug).
Teil II ist mit »Qualifikation: Wahrnehmungs- und Handlungskompetenzen für die Diakonische Jugendarbeit« überschrieben. Am Beginn steht ein Kapitel »Theoretische Perspektiven« (269–351). Dabei geht es zunächst um die Klärung der eigenen theoretischen Perspektive für das berufliche Handeln. Dafür werden eine tiefenpsychologische, eine lerntheoretische, eine kognitionstheore­tische, eine systemische, eine lösungsorientierte und eine interaktionspädagogische Perspektive angeboten. Es schließen sich Ausführungen zu Methoden und Verfahren mit dem Schwerpunkt auf pädagogischer und systemisch-lösungsorientierter Beratung an.
Den umfänglichsten Teil des Handbuches bilden die 16 Beiträgen des Kapitels »Diakonische Jugendarbeit in ausgewählten Phänomenkreisen« (355–657). Dabei geht es um Fragen von eigener Psychohygiene, Teams und Gruppen, Milieuunterschiede und -konflikte, Jugendliche Geschlechterinszenierungen, Migration und kulturelle Differenzen, Inklusive Jugendarbeit, Umgang mit Gewalt und Konflikten, die Frage der Beziehungsfähigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Sucht, Hyperaktive Kinder, jugendlichen Rechtsextremismus, Schuleschwänzen und Suizid. Die Beiträge liefern jeweils gute fachliche Informationen. Dazu kommt jeweils eine Reflexion auf den Beitrag des christlichen Zugangs zur Lösung der Probleme: Darin liegt eine deutliche Stärke aller Artikel.
Es ist durchaus legitim, einen neuen Begriff (Diakonische Jugendarbeit) in die Diskussion einzuführen. Ob er sich durchsetzt, wird sich zeigen. Der Rezensent ist hier eher skeptisch. Hätte nicht ein Titel »Handbuch Diakonische Jugendhilfe« oder »Jugendhilfe in christlich-diakonischer Perspektive« deutlicher signalisiert, worum es geht? Vor allem: Würden dadurch nicht die Adressaten, für die das Handbuch geschrieben wurde, eher auf das Handbuch aufmerksam?
Die zentrale Intention des Handbuches ist es, zur Profilierung eines Hilfehandelns beizutragen, das aus einem christlich-religiösen Selbstverständnis heraus erfolgt. Dabei wird der neuzeitlichen Verfassung des Christentums, dass es verschiedene Auffassungen dessen gibt, was das »Wesen des Christentums« ausmacht und welche Formen gelebte Religion annimmt, durchaus durch eine ökumenische Offenheit Rechnung getragen. Hinsichtlich dieser leitenden Intention kann man feststellen, dass die Um­setzung in den einzelnen Beiträgen weitgehend gelungen ist. Der Rezensent war immer wieder überrascht, dass und wie es den einzelnen Verfassern gelungen ist, klar und verständlich die Dimension des christlich-religiösen Selbst­verständnisses zu formulieren und die Konsequenzen für das Handeln beim jeweiligen Phänomen sichtbar zu machen.
Auch der Absicht, sowohl die Praxis diakonischer Jugendarbeit als auch die (Aus-)bildung an Hochschulen und in Ausbildungsstätten für soziale Berufe zu beleuchten, ist das Handbuch durch die Art seiner Durchführung gerecht geworden. Es wird auf Jahre hinaus ein Standardwerk für die Praxisfelder der Jugendhilfe in christlich-diakonischer Perspektive sein.