Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/1996

Spalte:

404–406

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Winkler, Eberhard

Titel/Untertitel:

Tore zum Leben. Taufe –­ Konfirmation –­ Trauung –­ Bestattung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1995. 224 S. 8o. DM 34,­. ISBN 3-7887-1523-5.

Rezensent:

Rolf Schäfer

"In drei Jahrzehnten enger Verbindung von akademischer Theologie und Gemeindepraxis wurden mir die sogenannten Amtshandlungen immer wichtiger". Gleich der erste Satz des Buches nennt den Erfahrungs- und Reflexionshorizont, aus dem heraus es geschrieben ist: das universitäre Fach der Praktischen Theologie und die Praxis der Gemeindearbeit des Pfarrers. Meist sind die Ämter getrennt, was zu einem Auseinanderdriften der Interessen führt. Während für die Praktische Theologie der sonntägliche Gottesdienst nach wie vor das wichtigste homiletische und liturgische Paradigma darstellt, bleibt die viel umfangreichere Aufgabe der Kasualien ­ von Ausnahmen abgesehen ­ am Rande.

Hier ist dies anders. Das Miteinander von praktischem Vollzug des Pfarramts und theologischer Reflexion erzeugt ein Verständnis für die Kasualien, das zur Sache selbst vordringt und nicht nur das Tatsächliche beschreibt, sondern darüberhinaus normative Linien sichtbar werden läßt.

Das Buch hat folgenden Aufbau: Teil I umreißt die "Voraussetzungen für die Kasualien insgesamt", erhebt die empirischen Befunde (z. B. aus Umfragen), klärt die biblischen und kirchengeschichtlichen Grundlagen, zieht die Linien aus für die kirchlichen Ordnungen und diskutiert Anregungen. Die Disposition dieses allgemeinen Teils wird dann auf die vier Amtshandlungen hin spezialisiert, die im Untertitel genannt sind: Taufe (Teil II), Konfirmation (III), Trauung (IV) und Bestattung (V). Ein ausführliches Literaturverzeichnis (209-215) und je ein Register für Personen (216-218), Stichwörter (219-222) und Bibelstellen (223 f.) runden das Buch ab und dienen seiner Erschließung.

Den eigenen Standort bestimmt W. auf dem Hintergrund der Praktischen Theologie seit Carl Immanel Nitzsch, der die "Amtshandlungen" nach dem Inhalt in Initiations- und Benediktionshandlungen einteilte und in ihnen Gelegenheit zum Kontakt mit Gemeindegliedern sah. Diese im 19. Jh. vorherrschende Linie brach im 20. Jh. ab, indem man in Kasualpredigt und -liturgie die natürliche Theologie zu bekämpfen sucht. Die siebziger Jahre brachten dann wieder eine Wendung zur Empirie, bei der die sog. Humanwissenschaften gerade bei den Kasualien erfolgreich angewandt wurden und der Praktischen Theologie neue Anregungen gaben.

Wo sieht W. seinen eigenen Standpunkt? ­ Seine theologische Deutung geht von einer doppelten "Zuwendung" aus. Bei Kasualien wenden Menschen sich einander zu (Begleitung, Einfühlung, Geschenke usw.). Während nichtkirchliche Ersatzbildungen es dabei belassen, gehört zu einer kirchlichen Handlung, daß der Mensch sich Gott zuwendet, weil Gott sich ihm zugewandt hat. Der Mensch übergibt sein Leben dankbar vertrauend an Gott. W. schließt dabei den Dank an den Schöpfer für das Natürliche ein. Der Titel des Buches ­ "Tore zum Leben" ­ unterstreicht sogar ausdrücklich, daß es legitim ist, Kasualien als Passageriten zu verstehen. Freilich ist es eine theologische, ja sogar trinitarische Kasualtheorie, die sich daraus ergibt: Der Mensch erscheint in ihr als Geschöpf des Vaters, durch Christus erlöst und vom Geist belebt.

Besonderes Interesse wird dem Verhältnis der Kasualien zum "Gemeindeaufbau" zugewandt ­ einem Programm, das nach üblicher Auffassung von der diffusen, kasualorientierten Volkskirche eher zur Bekenntniskirche hinlenkt. Da nun aber nicht alle Kirchenmitglieder in der engen familiären Gemeinschaft leben wollen, die den Gemeindeaufbaukonzepten vorschwebt, muß es in der Kirche auch weiterhin die Partizipationsform der "Halbdistanz" geben. Freilich darf man sich auch nicht einfach dabei beruhigen. W. führt die DDR-Erfahrung an, daß Kasualien auf die Dauer eine Entfremdung von der Kirche nicht verhindern.

Doch können gerade Kasualien auch zur Annäherung führen. "Wer dann und wann diesen Schritt aus der Halbdistanz zur punktuellen Nähe hin tut, ist in der Kirche willkommen und soll das spüren." Die Kasualien wirken einladend und dienen dem Gemeindeaufbau.

Immer wieder muß W. zwischen den westdeutschen Landeskirchen und der "säkularen Diaspora" in den neuen Bundesländern unterscheiden. Dies gilt besonders für die Konfirmation. Sie "hat ihren Grund und Sinn in der Taufe und dem ihr geschenkten Leben". Gleichzeitig aber ist sie auch ein Passageritus, nämlich "ein Markierungs- und Höhepunkt auf dem Weg zum mündigen Christsein". W. hält es rückblickend für einen Fehler, daß man in der DDR ­ "um die Konfrontation mit der Jugendweihe zu entschärfen" ­ den Konfirmationsgottesdienst zeitweise in das "konfirmierende Handeln" hinein einebnen wollte und damit dem Leben der Konfirmanden und ihrer Familien den mit der Kirche verbindenden feierlichen Höhepunkt strich.

Freilich enthält sich W. jeder Prophetie, inwieweit sich die Konfirmation als Sitte wiedergewinnen ließe. Er referiert bei den empirischen Daten u. a. den auffälligen Tatbestand, daß im Osten 80% aller Befragten (!) die Konfirmation für den "feierlichen Abschluß der Kindheit und Beginn eines neuen Lebensabschnitts" halten. Die Konfirmation ist also in ihrer Funktion als Passageritus unbestritten. Die weitere Entwicklung wird ­ und dies nicht nur im östlichen Deutschland! ­ davon abhängen, ob Kirche, Theologie, Liturgie und Verkündigung damit etwas anzufangen wissen.

Bei allen Kasualien greift W. die gegenwärtig verhandelten Streitfragen auf. Er referiert präzise die verschiedenen Auffassungen, begründet von den Quellen her seine eigene Lösung und scheut sich dabei nicht, die bewahrende Linie etwas stärker zu zeichnen. So hält er nichts von einer Trauung homosexueller Paare, kann sich aber sehr wohl die Bestattung nicht zur Kirche gehörender Verstorbener denken.

Dies alles ist in einem Buch von nur 224 Seiten informativ, knapp, kurzweilig, manchmal auch persönlich erzählend dargestellt. Nicht nur Lernende werden es mit Gewinn lesen ­ auch erfahrene Praktiker, die ihre Berufswirklichkeit reflektieren wollen, finden reichlich Anregung dazu. Man könnte sich auch denken, daß Vertreter der Systematischen Theologie sich darüber informieren wollen, wozu die von ihnen gelehrten Grundgedanken von ihren Hörern und Hörerinnen später einmal eingesetzt werden müssen. Denn die Kasualien bestimmen nachhaltig den Beruf, für den Theologen ausgebildet werden.