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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

866–868

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hack, Tobias

Titel/Untertitel:

Der Streit um die Beseelung des Menschen. Eine historisch-systematische Studie.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Freiburg u. a.: Verlag Herder 2011. 451 S. = Studien zur Theologischen Ethik, 131. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-7278-1689-5 (Academic Press Fribourg); ISBN 978-3-451-34126-7 (Verlag Herder).

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Mit dieser umfangreichen Arbeit, die 2010 von der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen worden und nun geringfügig überarbeitet erschienen ist, greift Tobias Hack in die moraltheologische, speziell bioethische Debatte über den »Status des Embryos« (11) ein. Aufgrund einer umsichtigen und sorgfältigen Rekonstruktion des Werdegangs dieser Debatte im Rahmen römisch-katholischer Theo­logiegeschichte und Dogmatik sowie unter Abwägung der jeweils vorgetragenen Argumente will H. einen Beitrag zur Beantwortung der ebenso aktuellen wie brisanten Frage leisten, »ob bereits der frühe Embryo als menschliches Individuum zu gelten hat und ihm deshalb dasselbe Lebensrecht wie einem geborenen Menschen zu­gebilligt werden muss« (11). Diese Frage zielt auf die Begründung und die Reichweite der Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens vor allem angesichts des ethischen Problems der Abtreibung, aber auch der Möglichkeiten und Grenzen gentechnischer Forschung und ihrer komplexen diagnostischen wie therapeutischen Konsequenzen.
Dabei geht H. von der nicht eigens problematisierten, aber durchaus klärungsbedürftigen anthropologischen Voraussetzung aus, dass Menschwerdung und Menschsein in einem Akt der »Beseelung« zustande kommt. Strittig ist dann nur noch, zu welchem Zeitpunkt dieser Akt vollzogen wird: ob »mit der abgeschlossenen Befruchtungskaskade« (11), also von Anfang an, oder erst zu einem dann unterschiedlich festlegbaren späteren Zeitpunkt der embryonalen Entwicklung. Dieser Alternative lassen sich zwei unterschiedliche Theorien zuordnen, nämlich die einer »Simultanbeseelung« sowie die »Sukzessionstheorie« (13), die sich in einem rivalisierenden Gegensatz zueinander befinden. Beide Theorien mit ihren unterschiedlichen ethischen Konsequenzen hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Embryos (absolut oder gestuft im Sinne einer Fristenlösung) sind in der römisch-katholischen Kirche miteinander unausgeglichen vertreten worden, wobei seit dem 16. Jh. und hauptsächlich seit dem Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 eine deutliche »Abkehr von der Sukzessionstheorie und die Hinwendung zur Simultanbeseelung« (13) festgestellt werden kann.
Vor dem Hintergrund der sich stets weiterentwickelnden »Basis humanbiologischer Fakten« (13), die für H.s kritische Überlegungen immer eine entscheidende Rolle spielen (424), ist es sein Anliegen zu prüfen, ob und ggf. inwieweit die eine oder andere metaphysische Bestimmung des Menschen verbindlich vertreten werden kann, um zum einen an einer unbedingten Schutzwürdigkeit des Embryos festzuhalten (18), aber andererseits auch moralisch legitime Spielräume humanmedizinischer Forschung innerhalb einer frühen Entwicklungsphase zuzulassen. Allerdings fehlt letztlich bei aller spürbaren Präferenz eines historisch zwar überholten, aber heute doch wieder sachlich relevanten, weil differenzierte Optionen ermöglichenden Sukzessionsmodells, wie es paradigmatisch schon Thomas von Aquin vertreten hat (18), eine systematisch profilierte Begründung. Dieser Mangel ergibt sich zunächst einmal daraus, dass der leitende (sprachlich unschöne und sachlich irreführende, weil räumliche Assoziationen eines schöpferischen Eingriffs Gottes gleichsam »von außen« weckende) Begriff »Beseelung« nicht eigens definiert und kritisch erläutert, sondern einfach den Diskussionsverläufen folgend übernommen wird. Aber hauptsächlich liegt die systematische Schwäche des Buches darin, unbefragt und grundsätzlich an einer problematischen, dualisierenden Anthropologie festzuhalten, die das Menschsein nach Kategorien einer gegenständlich hergeleiteten Substanz-Metaphysik als eine res composita aus Leib und Seele, Materie und Form versteht, an­statt es als ein relationales Gefüge eines Selbst-, Welt- und Gottesverhältnisses oder im Anschluss an Karl Rahners zwar referiertes, aber nicht zur Geltung gebrachtes alternatives und bedenkenswertes Konzept der Selbsttranszendenz (17.187 ff.) zu betrachten. In einer so erweiterten Perspektive könnten dann auch differenziertere ethische Beurteilungen etwa der Abtreibungsproblematik oder der Embryonenforschung auch unter angemessener Einbeziehung der Belange betroffener Eltern oder auch gesellschaftlicher Interessen begründet vorbereitet werden. So aber bleibt H.s um­ fangreiche, aber auch redundante Studie meist in historischen Rekonstruktionen stecken, ohne sich systematisch klar zu positionieren, obwohl er das dazu erforderliche Argumentationsmaterial z. B. im Blick auf einen traditionell fragwürdigen Umgang mit Bibelstellen (Ex 21,22 f.) sowie auf naturalistisch aufgefasste und darum widersprüchlich zugunsten der Simultantheorie in An­schlag gebrachte christologische wie mariologische Dogmen (275 ff.284 ff.) durchaus bereit gestellt hat. Das Ergebnis, dass »das Faktum der konstanten Verurteilung der Abtreibung von der theoretisch-spekulativen Dis­kussion um den Lebensbeginn unterschieden werden« müsse (56) und eine Klärung der »Beseelung für die ethische Bewertung der Abtreibung unerheblich« sei (435), bleibt somit noch vage, unspezifisch und macht den »Streit« um die Be­seelung letztlich obsolet. In der Sache ist es unabhängig von den vorausgesetzten anthropologischen Annahmen problematisch, wenn hier eine ethische Entscheidung auch im Blick auf kirchenrechtliche Implikationen von dem notwenig mit ihr verbundenen Menschenbild abgekoppelt werden soll.
So bleibt am Ende dieser durchaus informativen und lehrreichen historischen Studie doch eine systematische Ratlosigkeit, wie denn nun angesichts der komplexen Problemlagen und Herausforderungen biomedizinischer Möglichkeiten sowie angesichts un­terschiedlicher theologisch-anthropologischer Sichtweisen nicht nur bisherige kirchliche Positionen kritisch revidiert, sondern überzeugende und gesellschaftlich kommunizierbare ethische Orientierungen begründet eröffnet werden können. Vielleicht ist der von Hans Jonas empfohlene und von H. wenigstens im Zitat angesprochene »Tutiorismus« (436) auch in diesem Fall bis auf Weiteres die klügste Option.