Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

858–860

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kehl, Medard

Titel/Untertitel:

Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung. Unter Mitwirkung v. H.-D. Mutschler u. M. Sievernich. 2., durchges. u. korr. Aufl.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2008. 432 S. Geb. EUR 24,90. ISBN 978-3-451-29273-6.

Rezensent:

Friedrich Lohmann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Kehl, Medard: »Et Dieu vit que cela était bon«. Une théologie de la création. Avec la collaboration de H.-D. Mutschler et M. Sievernich. Traduction de J. Hoffmann. Paris: Cerf 2008. 573 S. = Cogitatio Fidei, 264. Kart. EUR 53,00. ISBN 978-2-204-08579-3.


Die Schöpfungslehre ist seit dem letzten Drittel des 20. Jh.s nach einem längeren Schattendasein wieder neu ins Interesse der christlichen Theologie gerückt, und so verwundert es nicht, dass Medard Kehl SJ, der seit einigen Jahren emeritierte Dogmatiker an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen, in seiner Reihe wissenschaftlicher und zugleich allgemein verständlicher Einführungen in Themen der Dogmatik sich nach Monographien zur Ekklesiologie und zur Eschatologie im anzuzeigenden Werk der Theologie der Schöpfung zuwendet.
Das Buch ist als »Lehrbuch« für Studierende und eine interessierte Öffentlichkeit konzipiert (vgl. 20.52.332), unterscheidet sich aber darin wohltuend von anderen Exemplaren dieses Genres, dass es den Lehrbestand und seine historische Entwicklung nicht einfach nur reproduzierend zusammenfasst, sondern dezidiert zu einem selbständigen Verstehen anregen will. »Es geht darum, die theologische Tradition in umsichtiger Unterscheidung so zu Ge­hör zu bringen, dass wir ihren unverzichtbaren Beitrag zur Wahrung der Identität des Glaubens erkennen, ihn für unsere Zeit neu durchdenken und ihn so an kommende Generationen weitergeben« (52). Dieser Ansatz impliziert ausdrücklich auch kritische Einschätzungen im Blick auf die Lehrtradition der Kirche, im gegebenen Fall etwa an »einer anthropologischen Engführung im Schöpfungs- und Weltbegriff« des Zweiten Vatikanischen Konzils (82) oder an manchen »denn doch sehr zeitbedingt[en]« Reflexionen des Thomas von Aquin (199).
Es handelt sich um den Ansatz des »fides quaerens intellectum« im besten Sinn (vgl. 70), und dem entspricht, dass K. nach einer ausführlichen Einleitung (23–56) beginnt mit einer »Phänomenologie« (49) des Schöpfungsglaubens in der Gegenwart, wie er sich in Liturgie, Credo und Alltagsglauben äußert (57–99). Es folgt ein Blick in die biblische Überlieferung als »maßgebendem Ursprung« des christlichen Schöpfungsglaubens (101–154; zu ihrem ausdrücklich »normativen« Status vgl. 51). Die theologiegeschichtliche Vertiefung geht exemplarisch vor und behandelt entscheidende Weichenstellungen der Schöpfungstheologie bei Irenäus von Lyon, Augustinus, Thomas von Aquin und Romano Guardini (155–236). Entscheidend dabei ist für K. vor allem die von diesen Theologen vollzogene philosophische Durchdringung des Schöpfungsglaubens. In K.s Sicht ist der Glaube auf eine solche metaphysische Durcharbeitung angewiesen, nicht im Sinne eines die eigentlichen Gedanken des Glaubens verfremdenden Vorverständnisses, wohl aber als Ort der Suche nach »Kriterien kategorial-begrifflicher Art« (210); denn ohne sie »könnte der Glaube leicht auf das Niveau eines allzu anthropomorphen, in der bloßen Funktion für menschliche Sinn- und Heilsbedürfnisse aufgehenden Gottesbegriffs zurückfallen« (211).
Es folgt eine Reflexion auf die interne Rationalität des christlichen Schöpfungsglaubens durch den Aufweis seiner »systematischen Kohärenz« (237–300). K. sieht das systematische Zentrum in der »Differenzformel« (193): »nämlich dass man von Gott nur so angemessen sprechen kann, das[s] dabei der einzigartige Unterschied zwischen Gott und Welt zugleich mit der einzigartigen Beziehung zwischen beiden gedacht wird« (32). Damit ist zugleich bereits der »springende Punkt« (238) genannt, an dem auch die folgende Darstellung der externen Rationalität des christlichen Schöpfungsglaubens (301–357) ansetzt. Dieser wird gegenwärtig vor allem von zwei gegensätzlichen Seiten aus herausgefordert, in­dem als konkurrierende Weltanschauungen entweder »eine naturreli­giöse Spiritualisierung der Materie« oder »die atheistische Ma­terialisierung alles Geistigen« angezielt werden (28). Beide – vulgo: New-Age-Spiritualität oder pseudo-naturwissenschaftlicher Evolutionismus – greifen zu kurz, ebenso wie der muslimische Schöp­fungsglaube, dem K. aus Sicht der christlichen Theologie zwar viele gemeinsame Intentionen attestiert, letztlich aber vorwirft, den Beziehungsaspekt zwischen Gott und Mensch und da­mit verbunden die autonome Mitverantwortung des Menschen für die Schöpfung nicht ausreichend zu würdigen (346–357).
K.s Buch läuft auf die zuletzt genannten, apologetisch zu verstehenden Ausführungen zur externen Rationalität zu, hat aber in ihnen – anders als es die vielen Fragen des Klappentextes der deutschen Ausgabe missverständlich vermuten lassen – nicht sein Zentrum. Gottes- und Naturverständnis, Beziehungsaspekt und Mitverantwortung kommen zusammen in dem einen Gedanken der Liebe, der das heimliche Herz von K.s Schöpfungstheologie bildet. Die Akzente auf der Güte der Schöpfung (siehe den Buchtitel), auf ihrer »relativen« Eigenständigkeit (39: »Der Schöpfer liebt in seiner Schöpfung nicht sich selbst, sondern das Andere seiner selbst; nur so bekommt das Wort ›Liebe‹ seinen vollen Sinn.«) und auf ihrer mitverantwortlichen Gestaltbarkeit durch den hoffenden Menschen (110: Gegen einen Rückbezug auf den Ursprung »ist theologisch solange nichts einzuwenden, als diese Orientierung am Ursprung nicht die Offenheit des Glaubens für das gegenwärtige bzw. die Hoffnung auf das zukünftige Handeln Gottes in der Ge­schichte verstellt und damit die geschichtsgestaltende Phantasie der Liebe lähmt.«) sind kohärente Bestandteile einer Theologie, die im »Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11–32) auch heute noch die ansprechendste und von Jesus selbst verbürgte Auslegung Gottes als des Vaters seiner Schöpfung und jedes einzelnen seiner Geschöpfe« sieht (76). Der Schöpfungsglaube ist vom Wesen Gottes als Liebe und damit letztlich von der Soteriologie her auszulegen. Umgekehrt liefert er aber auch wichtige Bewährungsfelder, an de­nen das christliche Verständnis der Liebe Gottes wichtige und unverzichtbare Akzentuierungen erfährt. Gottes-, Selbst- und Weltverständnis gehören aus christlicher Sicht untrennbar zusammen. Indem es dies deutlich macht, wird K.s Buch weit über den Charakter eines Lehrbuches hinaus zu einer Anfrage an eine Theologie, die das Christentum einseitig entweder als Heilslehre oder als Ethik versteht und meint, Fragen des Weltbilds ausklammern zu können.
Man merkt dem Buch an, dass es auf langjähriger Vorlesungstätigkeit beruht. Konzentration aufs Wesentliche und anschauliche Sprache machen es zu einer angenehmen und informativen Lektüre, die auch für die viel beschworene »gebildete Öffentlichkeit« verständlich sein sollte. Dem Buch ist weite Verbreitung zu wünschen. Neben der oben angegebenen französischen liegen inzwischen auch italienische, spanische und polnische Übersetzungen vor. Auch auf die Kurzfassung (Medard Kehl, Schöpfung. Warum es uns gibt, Freiburg 2010) sei an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen.