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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

855–856

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hering, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Priestertum in der evangelischen Kirche.

Verlag:

Neuendettelsau: Freimund Verlag 2009. 325 S. Kart. EUR 21,80. ISBN 978-3-86540-058-1.

Rezensent:

Wolfgang Thönissen

Angelpunkt gegenwärtiger Debatten innerhalb der evangelischen Kirchen sind zweifelsohne Fragen um Pfarramt und Priestertum in der Kirche. Neben einem eher problematischen Umgang mit dem Begriff des Priestertums tritt vor allem die Bestreitung eines besonderen Priestertums gerade in der Öffentlichkeit hervor. Es gibt zwar weithin Verständnis für ein Priestertum aller Getauften, aber ein besonderes Priestertum sucht man in der evangelischen Kirche vergeblich. Oft fällt schon in der sorgsamen Wahl der Begriffe jeder Hinweis auf ein priesterliches Amt auf. So werden das allgemeine Priestertum und das durch ordnungsgemäße Berufung übertragene Amt der öffentlichen Verkündigung gegenübergestellt. Begründet wird diese Überzeugung mit dem Hinweis auf ein Fehlen des Be­griffs vom Priesteramt im Neuen Testament. Der neutestamentliche Befund führe nicht zu einer bestimmten, allgemein verbindlichen Ämterstruktur, heißt es etwa in der Empfehlung der VELKD »Ordnungsgemäß berufen«. In einer ersten Klarstellung geht es daher dem Vf. des vorliegenden Buch auch nicht um die Begründung einer am Priestertum orientierten Ämterstruktur, sondern um den priesterlichen Dienst selbst, der von allen Gläubigen ausgeübt wird, der aber eben auch ein spezielles Priestersein in der Kirche kennt, auf den es bezogen ist. Weil zu einem Schlagwort verkommen, gibt das heute verwendete Verständnis vom allgemeinen Priestertum oft nur noch eine Karikatur ab, beklagt der Vf. mehr als einmal.
Die Einwände gegen das Priestertum in der evangelischen Kirche sind nur zu gut bekannt. Auf kurze Schlagworte gebracht sind es die mit dem Priestertum verbundene Versuchung einer klerikalen Machtausübung, die allgemeine Forderung nach demokratischer Gleichheit in der Kirche und die Ablehnung des sog. Opferpriestertums. Solche und andere Argumente weisen dem Vf. nach auf einen unangemessenen Umgang mit der Frage nach dem Priestertum hin. In drei Kapiteln geht er den verschiedenen Aspekten des Priestertums nach, im Alten Testament, im Neuen Testament, in der Kirche. Hierbei greift er auf bekanntes Material zurück, beansprucht keine Originalität, sondern bietet eine Zusammenfassung gängiger Erkenntnisse auf solider wissenschaftlicher Grundlage. Er greift auf die klassische Literatur zurück, meist älteren Da­tums. Neuigkeiten treten nicht hervor, sie sind wohl auch nicht intendiert. Das Ergebnis kann knapp so zusammengefasst werden: Priestertum ist von seinem Wesen her das Amt der Vermittlung. Es geht aus der Berufung durch Gott hervor, findet seinen Dienst im Opferkult, formiert sich in der Belehrung, in Segen und Gebet. Im Neuen Testament steht Christus als der priesterliche Mittler Gottes im Zentrum, Christus sendet und beruft in ein apostolisches Priestertum. Die Kirche stärkt dann in ihrer Geschichte das Pries­ tertum in Sendung, Berufung und Salbung, dazu gehören die Sündenvergebung, die Feier des Abendmahls, Predigt, Gebet und Segen, Krankensalbung und Dienst am Nächsten.
Das vierte Kapitel bietet ein weiteres Anliegen des Vf.s. Er stellt die Frage nach dem Priestertum aller Gläubigen. So wird sichtbar, dass die Suche nach dem Priestertum in der Kirche nicht auf Kosten des allgemeinen Priestertums zu betreiben ist, sondern nur in enger Tuchfühlung und Korrespondenz. Allerdings will er dem »Dogma von der gleichmachenden Taufe« nicht das Wort reden, nach dem alle Differenzierungen nur zu einer unzulässigen Hierarchisierung in Dienst und Amt führen können. Umgekehrt er­schließt sich so erst ein neues Verständnis für die Wiederentde-ckung des Priestertums des gerechtfertigten Sünders, desjenigen, der seine priesterliche Sendung ernst nimmt. Das Priestertum entspringt einer Berufung Christi. Diese Berufung gilt allen, die den Namen Christi tragen. Dieses Priestertum der Glaubenden äußert sich in einer Vielzahl priesterlicher Verhaltensweisen, im Segnen, in der Vergebung, im Glaubenszeugnis, in Opfer und Hingabe im Alltag, im Mitwirken bei der Feier des Gottesdienstes, in Charismen, im stellvertretenden Handeln der Eltern bei der Taufe ihrer Kinder, bei der Weitergabe des Glaubens an sie. Hier eröffnet sich ein großes Feld für die Berufung zum allgemeinen Priestertum. Solches Pries­tertum schließt eine Differenzierung nicht aus, sondern ein. Die Berufung in ein besonderes Priestertum, das seine ganze Vollmacht aus der Berufung Gottes zieht, bedarf der sorgfältigen theolo­gischen Begründung. Sie sieht der Vf. in der umfassenden Berufung in die apostolische Sendung, die sich an alle richtet, nicht in einer mit der Ordination verbundenen priesterlichen Heiligkeit gegründet. Der Pastor ist Hirte in dreifacher Hinsicht, in königlichem, priesterlichem und prophetischem Dienst. Berufung in die Nähe Christi heißt dann, sich für die anderen mühen. So führt die Berufung in die Beauftragung zum Dienst an Wort und Sakrament, in die Verkündigung des Wortes, in die Sakramentenverwaltung, in die Leitung der Gemeinde. Unter diesen drei Aspekten kommt die Berufung öffentlich zum Ausdruck. Priesterliche Berufung ist Berufung in die Pro-Existenz für andere. Der Priester ist der von Christus berufene Vermittler. Noch einmal: Diese Berufung richtet sich an alle, aber eben auch an Einzelne, die ihre Berufung als Beruf leben. Die Professionalisierung des Amtes behindert nicht das allgemeine Priestertum in seiner Entfaltung, sondern befördert es. So wird das Gegenüber in einem Miteinander lebbar. Abgeschlossen werden diese Darlegungen mit einigen knappen Erfahrungsberichten aus der priesterlichen Tätigkeit eines evangelischen Pfarrers.
Insgesamt ist aus den Darlegungen kein wissenschaftliches Buch geworden und auch keine akademische Auseinandersetzung mit den Argumenten pro und contra, sondern eines, das Argumente sammelt, sichtet, zusammenfasst und für eine bestimmte Sicht ausbreitet. Es ist keine Kampfschrift gegen etwas entstanden, sondern ein Plädoyer für etwas. Ein sympathisches, auch für den katholischen Theologen hilfreiches Buch, das die Augen für weit mehr öffnet als den besonderen priesterlichen Dienst in der Kirche. Wie reich der priesterliche Dienst des ganzen Gottesvolkes sein kann, kann man in diesem Buch lesen. Ein in bestem Sinne ökumenisches Buch mit Anregungen in beiden Richtungen. Wie ein allgemeines Priestertum in der katholischen Kirche aussehen könnte, hier kann man es in aller Frische und unbelastet von kontroverstheologischen Auseinandersetzungen nachlesen. Es ist aber auch eine Schrift gegen die Angst geworden, mit dem Thema Pries­tertum in der Kirche könne man nur jeden Gutgläubigen und Dienstwilligen verschrecken. Es ist ein Buch gegen die Ideologie einer falsch verstandenen Gleichheit, oder sagen wir noch etwas schärfer, einer falschen Gleichmacherei. Hier helfen nur Einsicht und Weiterdenken. Dazu regt der Vf. in einer angemessenen Weise an. Man könnte mit Kant jedem Gläubigen sagen: Habe Mut, dich deines dir von Christus gegebenen Priestertums zu bedienen.