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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

847–848

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Perszyk, Ken [Ed.]

Titel/Untertitel:

Molinism. The Contemporary Debate.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2011. VII, 320 S. Lw. £ 42,00. ISBN 978-0-19-959062-9.

Rezensent:

Alexander Aichele

Mit Alvin Plantingas Theodizée der Willensfreiheit vor beinahe 40 Jahren setzte in der englischsprachigen philosophischen Theologie eine intensive Debatte ein, die zu einer Wiederbelebung der Religionsphilosophie insgesamt führte. Plantingas Arbeiten (The Na­ture of Necessity/God, Freedom, and Evil, beide 1974) sorgten zugleich für die Wiederentdeckung eines bis dahin trotz seiner zentralen Rolle im bis heute unentschiedenen Gnadenstreit des 16./17. Jh.s weitgehend vergessenen Denkers der Gegenreformation, des spanischen Jesuiten Luis de Molina. Molina entwickelte in seinem Hauptwerk, der Concordia (EA 1588), auf der Basis eines radikal in­deterministischen Freiheitsbegriffs, wonach der menschliche Wille weder durch äußere noch durch innere Bedingungen, also auch nicht durch Gott selbst, zu einer bestimmten Entscheidung determiniert werden kann, eine Theorie des göttlichen Wissens, welche die Vollständigkeit der Vorsehung ohne jede Einschränkung der Willensfreiheit sichern soll. Diese scientia media besteht darin, dass Gott weiß, was jedes mögliche freie Geschöpf in jeder möglichen Situation in freier Weise tun würde. Gott kann daher das Weltgeschehen kontrollieren, indem er bestimmte mögliche Weltzustände aktualisiert, ohne damit die Freiheit der menschlichen Entscheidung zu eliminieren. Gott muss folglich über wahre Konditionale verfügen, die im Konjunktiv stehen und kontingente zukünftige Ereignisse betreffen, ohne deren Wahrheitswert selbst festlegen zu können. Genau die sowohl logische als auch metaphysische Frage nach der Möglichkeit der Wahrheit und des Wissens solcher Konditionale wird vom gegenwärtigen Molinis­mus bejaht.
Dementsprechend konzentriert sich auch der vorliegende Band auf sie, ohne jedoch dabei das Problem des Bösen zu vernachlässigen, das die drei letzten der insgesamt 17 Beiträge behandeln. Allein auf deren Auswahl bezieht sich auch der einzige Vorwurf, den man dem insgesamt außerordentlich gelungenen Band machen kann: Keiner der Autoren vertritt hier eine molinistische Position, sondern vielmehr eine thomistische (McCann), eine deterministische (Pereboom) und eine offen-theistische (Hasker). Dies lässt sich zwar durchaus, wie dies der Herausgeber tut (17), mit der Absicht rechtfertigen, konkurrierende Modelle vorzustellen. Allerdings setzt dies freilich genaue Kenntnis der Position Plantingas voraus, so dass es nicht nur leserfreundlicher, sondern wohl auch fairer ge­wesen wäre, jenen antimolinistischen Beiträgen eine dezidiert mo­linistische Verteidigung auf gleichem Niveau gegenüberzustellen.
Indes gelingt dies im ganzen Rest des Bandes auf vorbildliche Weise. Nun ist es freilich hier nicht möglich, auch nur einigermaßen detailliert auf die durchweg ausgezeichneten und ebenso transparent wie subtil argumentierenden Beiträge im Einzelnen einzugehen, die – dies gehört zu den besonderen Vorzügen des Bandes – die zum Teil jahrzehntelange Beschäftigung des Autors mit dem Thema resümieren (Craig, Flint, Hasker). Schon um die ar­­-gumentative Offenheit und das diskursive Niveau des Bandes zu illus­trieren, sei aber doch die sich über insgesamt vier Beiträge er­stre­ckende Diskussion zwischen Trenton Merricks, William Has­ker und Dean Zimmerman hervorgehoben: Merricks versucht in seinem ersten Beitrag (»Truth and Molinism«) zu zeigen, dass Haskers Molinismus-Kritik sowohl zur Eliminierung der Willensfreiheit (61 f.) als auch zu einer unhaltbaren metaphysischen Be­schreibung der Welt führt (70 f.). Nun bekommen aber nicht nur Hasker und Zimmerman Gelegenheit zur Erwiderung, sondern auch Merricks. Diese leider nurmehr wenig verbreitete Form, echten fachlichen Austausch zu pflegen, vermittelt dem Leser einen trefflichen Eindruck von der Lebendigkeit eines Streits, der sich auf den allerersten, oberflächlichen Blick um abseitig wirkende logische Probleme zu drehen scheint, die jedoch auf den zweiten Blick umfassende Bedeutung gewinnen. Diese Offenheit gilt ebenfalls für den Aufsatz, den Ken Perszyk zusammen mit Edwin Ma­res verfasst hat: Ohne selbst eine molinistische Position zu vertreten, weisen sie minutiös nach, dass diese zumindest auf einem soliden semantischen Fundament ruht, d. h. in formaler Hinsicht sinnvoll behauptet werden kann (115). Daraus folgt nicht nur, dass die inhaltliche Analyse jener Position gerechtfertigt werden kann, sondern dass eine solche sogar nötig ist.
Es dürfte deutlich geworden sein, dass dieser Sammelband ein echter Glücksfall ist: Er ist strikt auf ein zentrales Thema der gegenwärtigen philosophisch-theologischen Forschung fokussiert und außerordentlich kenntnisreich zusammengestellt, er versammelt die meisten der derzeit wichtigsten einschlägigen Autoren, die Beiträge sind durchaus unterhaltsam geschrieben und lassen sich – dies sei besonders betont – trotz des komplexen Themas auch mit bloß elementaren Kenntnissen der Logik gut lesen. Da man zwar ignorieren oder verdrängen, aber kaum leugnen kann, dass der Protestantismus seit Luther und Calvin erhebliche argumentative Schwierigkeiten mit dem Freiheitsbegriff hat, ist die Lektüre von Perszyks Band jedem zu empfehlen, der sich für die Vereinbarkeit von Freiheit und Vorsehung interessiert. Besonders bei diesem Thema hatten schon im 17. und 18. Jh. protestantische Autoren wie Leibniz, Pufendorf und A. G. Baumgarten keinerlei Berührungsängste, was das Studium anderskonfessioneller Texte, gar solcher aus jesuitischer Feder, anging.