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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

843–845

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Figl, Johann

Titel/Untertitel:

Philosophie der Religionen. Pluralismus und Religionskritik im Kontext europäischen Denkens.

Verlag:

Paderborn u. a.: F. Schöningh 2012. 308 S. Kart. EUR 36,90. ISBN 978-3-506-72448-9.

Rezensent:

Christian Danz

Nachdem in den 1980er Jahren die Theologie den Pluralismus der Religionen wiederentdeckt hat, findet er nun auch (wieder) das Interesse der Religionsphilosophie. Das hier anzuzeigende Buch des an der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät lehrenden Religionswissenschaftlers Johann Figl wendet sich jedenfalls dem genannten Problemkontext explizit zu. F. möchte in seinem Buch nicht nur die Geschichte der Religionsphilosophie seit der Antike bis zu den gegenwärtigen Herausforderungen nachzeichnen. Vielmehr geht es ihm um eine doppelte Fragestellung. Er erkundet, »inwiefern die Religionsphilosophie in ihrer eigenen Disziplingeschichte sich diesem Problem der religiösen Pluralität und der Religionskritik bzw. des Atheismus gestellt hat« (13).
Das von F. aufgeworfene Anliegen ist – wie das Buch zu zeigen unternimmt – nicht neu. Die sich in Folge der Kantischen Kritik an der überlieferten theologia naturalis als eine eigenständige akademische Disziplin etablierende Religionsphilosophie bemühte sich von Anfang an um eine geltungstheoretische Begründung der Religion, die mit einer partiellen Kritik des religiösen Bewusstseins einherging. Den inneren Zusammenhang von Begründung und Kritik im Aufbau einer Religionsphilosophie hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s vor allem Falk Wagner aufgenommen und ihm im Entdeckungszusammenhang seines theologischen Systems einen prominenten Ort gegeben. In der Studie von F. findet die Religionsphilosophie Wagners allerdings nur in einer Fußnote Erwähnung (244, Anm. 34). F.s Intention ist freilich auch eine andere als die Wagners. Dem Wiener Religionswissenschaftler geht bei seiner kritischen Evaluierung der Geschichte der Philosophie der Reli-gionen von der Antike bis zur Gegenwart um deren gedankliches Potential für eine Begegnung höchst unterschiedlicher religiöser Traditionen und Kulturen.
»In diesem weiten, sowohl antike Religiosität und deren Kritik als auch neuzeitliche Religionskritik miteinbeziehenden Ansatz ist eine besser geeignete Basis gegeben, um von ihm aus außereuropäische Traditionen zu thematisieren, als wenn man sich z. B. nur auf eine einzelne Tradition neuzeitlicher Religionsphilosophie bezieht.« (15, vgl. 267–284)
Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert. Die Einleitung (13–26) informiert über den Begriff der Religionsphilosophie, deren Entstehungsbedingungen sowie ihr Verhältnis zur Religionswissenschaft. Als eine eigene Disziplin ist die Religionsphilosophie erst in der Aufklärung entstanden – der Begriff stammt von dem Wiener Jesuiten Sigismund von Storchenau (16) – und setzt einen Begriff von Religion voraus, der nicht mehr wie in der Antike bestimmte kultische Handlungen oder die Verpflichtung gegenüber den Göttern meint. Nun wird Religion als ein Allgemeinbegriff konstruiert, der zur conditio humana gehört und mehrere Dimensionen, wie die individuelle Frömmigkeit sowie die institutionalisierten Formen, umfasst. Seine eigentliche Bedeutung gewinnt die Religionsphilosophie erst als Resultat der Kantischen Philosophie. Durch die kritische Transzendentalphilosophie tritt das Gottesbewusstsein in seinen unterschiedlichen Bestimmungen an die Position der vormaligen natürlichen Theologie und ihres Gottesbegriffs. Um die philosophische Behandlung der Religion sowie deren Kritik seit der Antike zu untersuchen, muss F. deshalb mit einem weiteren Begriff von Religionsphilosophie operieren.
Der erste Teil der Studie – Die Frage nach dem Wesen des Göttlichen und Religionskritik im polytheistischen Kontext (27–84) – thematisiert die philosophischen Konzeptionen der Antike mit Bezug auf die religiöse Pluralität und deren Kritik. F. wendet sich zu­nächst der vorsokratischen Philosophie im Spannungsfeld von Mythos und Logos zu und diskutiert den Gottesbegriff von Anaximander (37–39), das Verhältnis von Weisheit und Religion bei Pythagoras (42–44) und schließlich die Religionskritik von Xenophanes (44–46). Das zweite Kapitel (47–59) stellt die kontroversen Diskussionen über den Atheismusvorwurf in der Antike dar, geht dann über zu Protagoras und Kritias und skizziert die philosophischen Theologien von Sokrates, Platon und Aristoteles. Das dritte Kapitel (61–84), in dem die hellenistische Zeit vorgestellt wird, be­handelt nach Ausführungen zum Hellenismus die Stoa, Epikur, den Skeptizismus und schließlich Plotin und den Neuplatonismus.
Im zweiten Hauptteil geht es um Religiöse Pluralität und Gottesfrage im (Mono-)Theistischen Kontext (85–137). Thematisiert wird hier der Umgang mit der religiösen Pluralität durch die christlichen Autoren der Antike bis hin ins konfessionelle Zeitalter und die europäische Aufklärung. Das vierte Kapitel (Christlicher Monotheis­mus angesichts des Atheismusvorwurfs und des Po-lytheis­mus in der Antike, 87–104) legt die Philosophie der Kirchenväter bis hin zu Augustin dar. Die Auseinandersetzung von Abaelard, Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin mit den nichtchristlichen Religionen, dem – zumindest – hypothetischen Athe­ismus in Anselms Proslogion (114–117) diskutiert das fünfte Kapitel (Dialog und Apologetik der abrahamitischen Religionen und die Frage des [hypothetischen] Atheismus, 103–121). Für die Entstehung der spezifisch modernen Religionsphilosophie sind die frühe Neuzeit sowie die Aufklärung schlechthin konstitutiv. Insbesondere die Konfessionskriege des 17. Jh.s warfen die Frage nach einer Appellationsinstanz auf, welche den im Streit liegenden christlichen Religionsparteien enthoben ist. F. geht diesen Zusam­menhängen im sechsten Kapitel seines Buches nach (Universal-theistische Interpretationen der Religionsvielfalt und Theismuskritik [Frühe Neuzeit und Aufklärung], 121–137). Behandelt werden Nikolaus von Cusa, Raimund von Sabunde, der einen Entwurf von natürlicher Theologie ausarbeitete, der in Gegensatz zur Offenbarungstheologie tritt (129), sowie die Konzeption einer natürlichen Religion bei Herbert von Cherbury und Spinoza. David Humes Kritik sowie der Atheismusstreit, der bereits in die Kontroversen um die Ethikotheologie Kants gehört, beschließen dieses Kapitel. Lessings Stellung zu Christentum und Religionsgeschichte wird von F. leider nicht berücksichtigt. Dabei entwirft Lessing nicht nur für die weitere religionsphilosophische Debatte mit seiner Geschichtsphilosophie ein äußerst einflussreiches Modell, sondern auch einen für die Folgezeit höchst wirksamen Toleranzgedanken. An diese Motive der Aufklärung, die auf eine »Zivilisierung« der religiösen Differenzen hinauslaufen, knüpft F. im letzten Ab­schnitt seines Buches selbst an.
Der dritte Teil der Untersuchung – Deutung der Religionen im systematisch-philosophischen Kontext (Ende 18. bis Ende 19. Jahrhundert) (139–179) – erörtert die Religionsphilosophien im engeren Sinne. F. gibt im siebten Kapitel (141–159) einen Überblick über die Religionsphilosophie von Kant, Schleiermacher und Hegel, die in ihren Grundzügen unter Einbeziehung ihrer Sicht der nichtchristlichen Religionen sowie der Religionskritik besprochen werden, um dann im achten Kapitel die an Hegel anknüpfende klassische neuzeitliche Religionskritik vorzustellen (161–179). Am umfassendsten wird in diesem Zusammenhang die Religionskritik von Friedrich Nietzsche behandelt (168–179), während die Ausführungen zu David Friedrich Strauß und Bruno Bauer (161 f.), aber auch zu Schopenhauer, Ludwig Feuerbach und Karl Marx sich auf das Notwendigste beschränken.
Der abschließende vierte Teil präsentiert die Religionsphilosophie im Pluralistischen und säkular(istisch)en Kontext (181–284), also die Debatten vom Ende des 19. Jh.s bis zur Gegenwart. Einsetzend im neunten Kapitel (183–215) mit den klassischen Autoren der Religionswissenschaft und Theologie – Max Müller, Otto Pfleiderer, Ernst Troeltsch, Rudolf Otto und Max Scheler – werden in den folgenden Kapiteln Formen der neueren Religionskritik (217–236) und Konzeptionen der Religionsphilosophie (237–265), wie etwa die interkulturelle Philosophie oder feministische Ansätze der Religionsphilosophie, behandelt. Das zwölfte Kapitel – Phi­losophie der Religionen angesichts religiöser und areligiöser Tendenzen (267–284)– nimmt zentrale Einsichten der vorgestellten Geschichte der Philosophie der Religionen auf und wendet sie auf die gegenwärtigen Herausforderungen in einem interkulturellen Kontext an. Eine Bibliographie (285–301) sowie ein Personenregister (303–308) be­schließen den Band.
Das Buch des Wiener Gelehrten bietet einen informativen Überblick über die Geschichte der Philosophie der Religionen. Aufgrund der Spannbreite der Autoren, die vorgestellt werden, bleibt notgedrungen vieles von ihren Positionen im Vagen. Bedauerlich ist, dass F. sich zum Beispiel bei der Diskussion von Troeltschs Religionsphilosophie ausschließlich auf dessen – höchst dunkle – Konzeption eines religiösen Apriori beschränkt und nicht dessen Ge­samtkonzeption einer modernegemäßen Philosophie der Religionen berück­sichtigt, die Religionspsychologie, Erkenntnistheorie, Geschichtsphilosophie und Metaphysik der Religion umfasst. Die von F. selbst am Ende seines Buches skizzierten Aufgaben einer Philosophie der Religionen im interkulturellen Kontext, die auf eine angewandte Religionswissenschaft hinauslaufen, operieren mit einer Troeltsch vergleichbaren Ausdifferenzierung der Religionswissenschaft.