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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

832–833

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Baur, Jörg

Titel/Untertitel:

Lutherische Gestalten – heterodoxe Orthodoxien. Historisch-systematische Studien. Hrsg. v. Th. Kaufmann.

Verlag:

Tü­bingen: Mohr Siebeck 2010. X, 379 S. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-150384-9.

Rezensent:

Ernst Koch

Die 16 hier versammelten Einzelstudien Jörg Baurs sind bis auf eine zwischen 1988 und 2003 bereits an anderen Orten veröffentlicht worden. Erstmals erscheint ein Beitrag über »›Orthodox‹ – im Sprachgebrauch der ›altprotestantischen Orthodoxie‹«. Einzelnen Personen gelten Untersuchungen: zu Johannes Brenz, Catharina Regina von Greiffenbergs Jesusfrömmigkeit und Christologie, Joachim Justus Breithaupts ›subjektivitätstheoretischer« Bestimmung von »Orthodoxie«, Immanuel Kants Umgang mit dem Topos »Or­thodoxie«, Johann Gottfried Herder und seiner »problema­tischen Entgegensetzung von Religion und Dogmatik« sowie zu Carl Daubs Studie »Orthodoxie und Heterodoxie«. Zwei Beiträge widmen sich Valentin Ernst Löscher. Goethe wird nach seinem Ur­teil über Martin Luther befragt. Eine spezielle Untersuchung gilt der Genese des synkretistischen Streites im 17. Jh., eine weitere den Anfängen der Theologie an der evangelischen Universität Göttingen. Modern-subjektivitätsorientierte Denkmuster werden mit »Platos Vorwort in Sachen ›rechte Lehre‹« konfrontiert. Befragt wird die These vom aristotelischen Ursprung christlicher Orthodoxie. Ein Beitrag untersucht das Thema »›Orthodoxie‹ und ›Häresie‹ im öffentlichen Diskurs des vorrevolutionären Frankreich«. Ein »vorläufiges Fazit« zieht der Beitrag »Der reformatorisch-lutherische Rechtfertigungsglaube angesichts der Herausforderung durch das neuzeitliche Selbstbewusstsein«.
Dieses Fazit gibt zu erkennen, wie B. als systematischer Theologe die Kernfrage einer kritischen Theologie in der Neuzeit formuliert. Kennzeichnend für ihn war und ist die konzentrierte historische Nachfrage nach den Bedingungen und Entfaltungen vormoderner Theologie im Gefolge der Wittenberger Reformation, um von dort aus nach den Traditionen und Wandlungen der Moderne zu fragen. Wenn es derzeit schwieriger als vorzeiten geworden ist, unbekümmert und sorglos eine Brücke zu bauen, deren einer Brückenkopf bei Luther liegt und der andere bei Schleiermacher, so ist dies zu einem großen Teil den Arbeiten von B. zu danken, die nun in einem weite ren Band gesammelt vorliegen. »[N]iemand unter seinen systema­tischen Kollegen steigt mit so großer Geduld und im Bewusstsein tiefster theologischer Gegenwartsverantwortung in das Schattenreich der historischen Überlieferung der lutherischen Orthodoxie hinab wie B.«; »niemand hat das Projekt der Orthodoxie auch an seinen heterodoxen Rändern ähnlich konsequent weiterverfolgt, wie er es tut«, schreibt der Herausgeber im Vorwort.
Auch die Kirchen- und Theologiegeschichte der Neuzeit findet bei B. Gesprächspartner und kann von ihm beispielsweise die Präzision und die Öffnung von Fragestellungen erwarten. Das ließe sich etwa auch an dem erstmals veröffentlichten Beitrag über das Verständnis von »orthodox« im 16. und 17. Jh. zeigen, in dem B. darauf hinweist, dass sich die Wittenberger Theologie deutlich weniger tra­ditionalistisch verstand als ihre konfessionellen Ge­sprächspartner.
Das Erscheinen dieses Sammelbandes ist dankbar zu würdigen. Er erleichtert nicht zuletzt über die differenzierten Register den Zugang zum Lebenswerk von B. und weckt den Wunsch nach breiter Rezeption.