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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

829–830

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Wallmann, Johannes

Titel/Untertitel:

Pietismus und Orthodoxie. Gesammelte Aufsätze III.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIV, 472 S. Lw. EUR 134,00. ISBN 978-3-16-150259-0.

Rezensent:

Ernst Koch

Mit dieser Sammlung von Einzelstudien liegt der dritte Band der Gesammelten Aufsätze Johannes Wallmanns vor. Wandte sich der zweite dieser Bände dem Pietismus zu (vgl. ThLZ 135 [2010], 67–68), so folgt der nun vorliegende inhaltlich eher dem ersten Band, der sich unter dem Titel »Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock« Orthodoxie und Pietismus in gleichem Maße widmete.
Der Aufsatzband umfasst 16 in den Jahren zwischen 1972 und 2010 veröffentlichte Beiträge, erstmals die deutschsprachige Fassung zweier Aufsätze, von denen einer in englischer, einer in niederländischer Sprache erschienen ist, eine Veröffentlichung, deren Erscheinen bereits in Aussicht stand, sowie eine Erstveröffentlichung, die sich mit der Auseinandersetzung des Wittenberger Theologen Johann Georg Neumann mit Philipp Jakob Spener beschäftigt. W. geht es darum, (nochmals) Arbeiten vorzulegen, die sich quellenorientiert mit Themen befassen, die in der Forschung kaum oder gar nicht wahrgenommen worden sind.
Dazu gehören beispielsweise die schlesische Erbauungsliteratur des 17. Jh.s, vertreten durch den Liegnitzischen Landeshauptmann David von Schweinitz, die Zeit Johann Sebastian Bachs in Mühlhausen, die Auseinandersetzung Speners mit dem Sozinianisten György Enyedi und die Stellung des Alten Testaments im Pietis­mus. Dass auch darüber hinaus W. eine ganze Reihe seiner Themen Philipp Jakob Spener widmet, wird nicht verwundern.
Der lutherischen Orthodoxie gelten Beiträge zum Verhältnis des Luthertums zu den Juden in der Leibnizzeit, zum Widerstand Abraham Calovs gegen die Religionspolitik des Großen Kurfürsten, ein Aufsatz: »Prolegomena zur Erforschung der Predigt im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie« sowie die bereits erwähnten Ausführungen zu Johann Georg Neumann.
Dem Leser wird sich alsbald erschließen, dass es W. auch in diesem Band nochmals um sein forschungsgeschichtliches Ceterum censeo geht, den Inhalt des Pietismus-Begriffs. Bereits das Vorwort weist auf dieses Anliegen hin. So wird der Band eröffnet mit der 1972 erstmals erschienenen Druckfassung eines Vortrags in Gestalt eines Forschungsberichts, dessen Wiederabdruck – eben als Forschungsbericht – auch für W. nicht selbstverständlich ist, aber mit diesem von ihm über nahezu vier Jahrzehnte hin eingeschärften Ceterum censeo begründet wird. Bei ihm geht es um die Korrektur der »Ausdehnung des Pietismusbegriffs ins Zeit- und Konturenlose«. So geht es um die Alternative: »Pietismus – ein Epochenbegriff oder ein typlogischer Begriff?« (Vorwort, VI). Aus diesem Grund ist auch die seinerzeit großes Aufsehen erregende Grundsatzkritik an der Konzeption der inzwischen vier Bände umfassenden »Ge­schichte des Pietismus« (»Fehlstart. Zur Konzeption von Band 1 der neuen ›Geschichte des Pietismus‹«), erschienen im Jahre 1994, er­neut in diesen Band der Gesammelten Aufsätze aufgenommen worden.
Allerdings: Der Inhalt des Bandes erschöpft sich nicht in dieser immer wieder nachdrücklichen Erinnerung. Man wird sich gern die Hoffnung W.s anschließen, »durch den Rückgang auf die Quellen mehr als durch terminologische Debatten die Sachfragen weiter zu bringen« (VI). Und dazu legt die große Zahl der vorgelegten Beiträge soliden Grund. Geht es W. doch um zwei Ziele: die deutsche Pietismusforschung vor der nationalen Engführung ihres Programms zu warnen und zur Interdisziplinarität kirchengeschichtlicher Forschung zu ermutigen, ohne die Eigenart der Disziplinen zu verwischen.
Diesen Zielen ist die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte bereits deutlich näher gekommen, was sich beispielsweise an der Arbeit der inzwischen stattgefundenen Internationalen Kongresse für Pietismusforschung zeigt. W. hat daran einen eigenen Anteil gehabt, der in den wichtigen, äußerst anregenden und die Nachdenklichkeit fördernden Beiträgen dieses Bandes zum Ausdruck kommt. Darin besteht der eigentliche Gewinn des dritten Bandes der Gesammelten Aufsätze, kann historische Forschung auch für aktuelle Debatten Bedeutung gewinnen. W. macht darauf aufmerksam, dass das Verhältnis der lutherischen Orthodoxie des 17. Jh.s zu den Juden »nicht so sehr von Feindschaft, sondern eher von Mitleid mit dem von Gott verstoßenen Volk« bestimmt gewesen sei, und hebt den Unterschied zu reformierten Ansätzen des Antisemitismus hervor (324 f.).
Benutzerfreundlich ist der Band dadurch gestaltet, dass das In­haltsverzeichnis detaillierte Angaben zum Sachgehalt der Einzelbeiträge enthält. Druckfehler finden sich gehäuft auf den Seiten 321–332.