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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

820–821

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Pföstl, Markus Karl von

Titel/Untertitel:

Pueri oblati. Eine historisch-anthropologische Untersuchung des Reifealters. 2 Bde.

Verlag:

Kiel: Solivagus-Verlag 2011. Bd. I: Spätantike und frühes Mittelalter. 335 S. Kart. EUR 47,00. ISBN 978-3-9812101-9-4. Bd. II: Hochmittelalter. 383 S. Kart. EUR 52,00. ISBN 978-3-943025-01-9.

Rezensent:

Hubertus Lutterbach

Das in zwei Bänden vorgelegte Werk ist eine 1994 an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien im Fach Ge­schichte eingereichte Dissertation, deren Autor bereits 1995 verstarb. Warum und auf wessen Initiative hin diese Qualifikationsschrift mehr als 15 Jahre nach ihrer Fertigstellung noch publiziert wurde, wird nirgends erläutert.
Die Studie ist insgesamt chronologisch gegliedert. Kapitel 1 be­zieht sich auf grundlegende Hinweise zur Einschätzung des Alters in der Spätantike (»Das Zugestehen von Kindheit und Jugend in der Spätantike«). Dieses Kapitel bezieht kurze Vergewisserungen in­ner­halb des östlichen Mönchtums ein (z. B. »Die Alterstranszendenz im östlich-asketischen Ideal des Hieronymus«). Überdies referiert P. die Positionen verschiedener Kirchenväter zum »Reifealter«, zur Besonderheit des Kindseins oder zur Bedeutsamkeit der eigenen Entscheidung auch bei Kindern. Kapitel 2 ist überschrieben mit »Das Opfer der Kindheit und Jugend im westlichen Mönchtum«. Hier geht es um das Verständnis des Kindes und die Abgabe von Kindern an die Klöster. P. bezieht sich schwerpunktartig auf Einzelschriftsteller und Klosterregeln der vorbenediktinischen Zeit, auf die Benediktsregel sowie auf die kirchliche Gesetzgebung zwischen dem 6. und dem 9. Jh. Kapitel 3 steht unter der Überschrift »Der neue sozialgeschichtliche Hintergrund der Reifealter im Hochmittelalter«. Es konzentriert sich allerdings nach einer kurzen Hinführung auf das Verständnis und die Handhabung des Reifealters im cluniazensischen Mönchtum, bevor P. dann unter ebendieser Perspektive auch die »neuen Orden« des Hochmittelalters in den Blick nimmt. Er beschließt sein Projekt mit Kapitel 4 »Die Reifealter für die christliche Initiation in der Herausforderung der mittelalterlichen Sekten«. – Ein Anhang, ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein bis 1994 reichendes Quellen- und Literaturverzeichnis beschließen die Dissertation.
Die Qualifikationsschrift hinterlässt wissenschaftlich betrachtet einen schwachen Eindruck, wie anhand von fünf Punkten exemplarisch erläutert sei:
1. Es fällt auf, dass P. fast jede forschungsgeschichtliche Einordnung seines Werkes übergeht – sein entsprechender Überblick umfasst nicht einmal zwei Seiten (14–15). So nennt er mit drei Zeilen zwar die letzte Publikation zu den pueri oblati im Hochmittelalter von Maria Lahaye-Geusen aus dem Jahr 1991; doch die 1986 von der niederländischen Mediävistin Mayke de Jong vorgelegte exzellente Studie zur Kinderoblatio in Spätantike und Frühmittelalter fehlt in seinen kurzen Hinweisen zur bisherigen Forschung völlig. Ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung führt P. dieses Werk lediglich in seinem Literaturverzeichnis auf. So vermitteln seine sporadischen Hinweise zur Forschungsgeschichte den Eindruck, als ob die maßgebliche Studie zur frühmittelalterlichen Kinderoblatio von Joseph R. Riepenhoff aus dem Jahr 1939 noch immer aktuelle Gültigkeit beanspruchen könnte.
2. P. klärt und grenzt seine Fragestellung nicht sorgfältig ab, wie die Verworrenheit der entsprechenden Passage zur Zielperspektive seiner Dissertation verdeutlicht: »Darin liegt die Absicht, aufzuzeigen, inwieweit sich Kloster und Kirche in ihrer Bestimmung des Reifealters für die Lebensentscheidung der Profess den lokalen Gewohnheiten und Gesetzen angepasst und was sie an römisch-rechtlichen Überlegungen in den Stammesverfassungen durchgehalten haben, was das Christentum in der zweiten Epoche angenommen oder verändert hat, welche Veränderungen der allgemeine Aufbruch im ho­hen Mittelalter mit sich brachte, schließlich wie ab dem 12. Jh. in­stitutionelle Einheit und struktureller Zentralismus die kirchliche Pas-toral christlicher Lebenszäsuren durchzusetzen begann.« (16) Ebenso unklar wirkt die Schwerpunktsetzung des Gesamttitels (»Pueri oblati. Eine historisch-anthropologische Untersuchung des Reifealters«), zumal sich im Rahmen der mittelalterlichen Rede von den pueri oblati selten konkrete Altersangaben finden. – Anstatt hier weiter auf die ebenfalls fehlenden methodischen Reflexionen und die vielen terminologischen Unklarheiten einzugehen (die unreflektierte Rede von »Kindheit«, von »Sekten«, von »Reifealter«, von »Mönchsweihe« etc.), sei P. selbst zitiert, der die Schwierigkeiten bei der Findung seiner Fragestellung selber eingesteht, indem er die Mahnungen eines renommierten fachlichen Ratgebers ausdrück­lich benennt: »Prof. Michael Mitterauer hat mich ermuntert, wieder und noch einmal an die Erarbeitung einer vernünftigen Ansatzthese heranzugehen.« (16)
3. Im Kern befasst sich die Studie mit der Frage, in welchen Epochen des Mittelalters die Kinder wie alt waren, als sie an die Klöster geopfert wurden. Diese Fragestellung wird bei Mayke de Jong und Maria Lahaye-Geusen jeweils dezidiert mit behandelt, so dass die vorliegende Dissertation dem bis heute gültigen Forschungsstand auch in diesem Punkt nichts Neues hinzufügt.
4. P. bewertet die Weisungen der spätantiken und mittelalterlichen Klosterregeln in einer Reihe mit den Aussagen der zeitgenössischen Synoden und Konzilien im Sinne normativer Texte. Dieses Verständnis einer Klosterregel war bereits 1994 innerhalb der Mediävistik zugunsten eines Klosterregelverständnisses als Ausdruck einer je orts- und zeitkonkreten (und damit wandelbaren) Auslegung der Heiligen Schrift überwunden.
5. In der gesamten zweibändigen Studie finden sich weder Zwischenfazits noch ein Gesamtergebnis, um die Erkenntnisse der einzelnen Kapitel zu sichern und mit der oben rezitierten Zielperspektive abzugleichen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Studie von geringer Reflexionstiefe ist und für die mittelalterliche Mönchsgeschichte keine neuen Einsichten bietet. Wer sich über die pueri oblati zwischen Spätantike und Spätmittelalter umfassend (inkl. der »Reifealter«-Thematik) informieren will, muss weiterhin auf die religions- und sozialgeschichtlich gründlichen Studien von Mayke de Jong und Maria Lahaye-Geusen zurückgreifen.