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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

818–820

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Melville, Gert

Titel/Untertitel:

Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen.

Verlag:

München: C. H. Beck 2012. 416 S. m. 22 Abb. u. 1 Kt. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-406-63659-2.

Rezensent:

Barbara Müller

»Dieses Buch handelt von Menschen, die die Vollkommenheit ihrer Seele suchten und bereit waren, sich dafür der irdischen Welt zu entledigen.« (11) So definiert Gert Melville sowohl den Gegenstand seines Buches als auch die Religiösen, deren Lebensweise er verallgemeinernd so beschreibt: »Vita religiosa verstand sich als eine geregelte und gemeinschaftlich geführte Lebensform zur Selbstheiligung des Einzelnen in Begegnung und Verähnlichung mit Gott.« (272) Über Definitorisches könnte man sich mit M. streiten, z. B. über das Konzept der »Selbstheiligung« oder auch die Sicht, wonach im Mittelalter auf dem Boden der beiden ursprünglichen monastischen Lebensformen, Eremitentum und Zönobitentum, eine »Vielfalt« (269) wuchs – als ob nicht bereits das frühe Mönchtum weitaus vielfältiger war, als es die allerdings gängige Ein­tei lung in die erwähnten beiden Typen nahelegt. Solchen und wei-teren Einsprüchen ist, wenn man das Wagnis einer Gesamtdar-stellung unternimmt, nicht zu entgehen. Zu seinem Mut, ein Ge­samtpanorama des mittelalterlichen Mönchtums zu entwerfen, ist M. daher umso mehr zu gratulieren.
Sein Buch ist, ohne allerdings explizit so gegliedert zu sein, in zwei Teilen aufgebaut: Der umfangreiche erste Teil (Kapitel 1–16, 13–270) zeichnet die Geschichte des christlichen Mönchtums chronologisch von den Anfängen bis zur Bildung von Observanten im 15. Jh. nach. Der weitaus kürzere zweite Teil (Kapitel 17, 271–317) bietet einen systematischen Zugang zum Thema.
Gleichsam als Vorlauf zur mittelalterlichen monastischen Ge­schichte geht M. auf die »Anfänge« (Kapitel 1), d. h. wenige frühe östliche monastische Phänomene, ein (ohne allerdings die Frage nach der Entstehung des christlichen Mönchtums anzuschneiden), um von da an seinen Fokus – mit Ausnahme der frühen Karmeliter und diversen Ritterorden – bleibend auf das westliche Mönchtum zu richten, beginnend auch hier mit Pioniergestalten wie Augustin, Martin von Tours, Johannes Cassian etc. M.s Buch ist im Wesentlichen ein Werk über das westliche Mönchtum, Phänomene wie z. B. das Mönchtum auf dem Athos, bleiben außer Acht.
So richtig in Fahrt kommt die Darstellung mit Benedikt von Nursia und der Implementierung von dessen Mönchsregel (Kapi-tel 2 und 3) sowie in den Ausführungen über das cluniazensische Mönchtum. M. bleibt stets bei seinem roten Faden, veranschaulicht seine Darstellung jedoch regelmäßig mit Verweisen auf ähnliche Institutionen und Bewegungen, die er überdies gesamtkirchlich und politisch kontextualisiert. So gelingt es ihm, selbst das im Verlaufe der Geschichte mehrfach und in verschiedener Gestalt aufblühende Eremitentum übersichtlich zu erfassen. Eine eigene Einheit bilden seine Kapitel über die Zisterzienser und deren erfolgreiches Modell (Kapitel 6–8). In der Folge schildert M., ausgehend von der Laienfrömmigkeit und entsprechenden Phänomenen wie z. B. dem Beginentum, die Geschichte der Medikantenorden, beginnend mit Franz von Assisi und dessen Erben, die Rekapitulation diverser Armutsstreitigkeiten mitberücksichtigend. Dezidiert exemplarisch ist sein Zugang zu den Dominikanern, nämlich ausgehend von deren besonderen rechtlichen Organisation. An spä-teren monastischen bzw. quasi-monastischen Phänomenen geht M. spezifisch auf die Devotio moderna (238–241) und Birgitta von Schweden (242–246) ein. Mit der Ordensreform »von oben« von Papst Benedikt XII. und der »Reform von unten«, d. h. Observanzbildungen, schließt die chronologische Darstellung.
Die systematischen Perspektiven des 17. Kapitels sind: »Der Einzelne und die Gemeinschaft« (273–285), »Die Klöster und das Recht« (285–294), »Institutionelle Formen: Entstehung und Erhalt« (294–300), »Eigengeschichten« (300–302), »Kloster und Welt« (303–307), »Temporalia« (307–311), »Auf der Suche nach Gott zum Wissen um die Welt« (311–317). Abschließend werden die mittelalterlichen Klös­ter als »Innovationslabore« bezeichnet (317) – auch hier wieder ein Einspruch: Kann man das so pauschal sagen?
Zu allen Themen, die M. in einem Kapitel präsentiert, könnte man mindestens je ein dickes Buch schreiben. Die Stärke seiner Darstellung liegt weniger in den weitgehend bekannten Details als in den großen Linien. Es schreibt hier jemand, der sowohl die einzelnen monastischen Phänomene als auch die einschlägige Forschungsliteratur bestens kennt. Besonders wertvoll sind in diesem Sinne die diversen Passagen, in denen er Entwicklungen in größere Zusammenhänge einordnet und bewertet (z. B. Kapitel 8 und An­fang von Kapitel 9); dazu gehört insbesondere auch das systematische 17. Kapitel. Das Buch ist somit in höchstem Ausmaß nützlich, um sich die historischen Zusammenhänge zu vergegenwärtigen, was angesichts der relativen Unübersichtlichkeit monastischer Phänomene – M. ist da mit seinem Terminus der »Vielfalt« (s. o.) zwar optimistischer – mitnichten einfach und deshalb umso verdienstvoller ist.
Mit dem erfreulichen Mut und der Fähigkeit M.s, rote Fäden der mittelalterlichen monastischen Geschichte gezielt zu verfolgen, kontrastiert die Unhandlichkeit des Buches. Der Text liest sich zwar gut, um an die Fußnoten heranzukommen, die immerhin durchgehend nummeriert sind, muss man allerdings durchweg ans Buchende blättern, was den Lesekomfort schmälert. Die Entscheidung, Quellen im Literaturverzeichnis nicht unter dem Na­men des betreffenden Autors, geschweige denn in einem geson-derten Quellenverzeichnis aufzuführen, sondern bisweilen unter ihrem Titel (z. B. Dialogorum Libri quattuor …, 375), bisweilen un­ter dem Namen ihres Editors (z. B. Hanslik, Benedicti Regula, 382) ist nicht nachvollziehbar, zumal es sich bei dem vorliegenden Buch um eines derjenigen Werke handelt, die man gerne zum regelmäßigen Gebrauch in Griffnähe hätte, um sie gleichsam als Nachschlagewerk zu konsultieren.
Trotz formaler Schwächen überzeugt das Buch, das allen zu empfehlen ist, die sich sowohl einen kompakten Überblick über einen umfangreichen Gegenstand verschaffen wollen als insbesondere auch interessiert sind an einem abwägenden und urteilenden Blick auf die vielfältigen monastischen Phänomene des Mittelalters.