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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

812–814

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hood, Jason B.

Titel/Untertitel:

The Messiah, His Brothers, and the Nations (Matthew 1,1–17).

Verlag:

London u. a.: T & T Clark International (Bloomsbury) 2011. XII, 193 S. = Library of New Testament Studies, 441. Geb. £ 60,00. ISBN 978-0-567-43228-5.

Rezensent:

Matthias Konradt

Bei dieser Monographie handelt es sich um die überarbeitete Version der 2009 an der Universität Aberdeen eingereichten Dissertation Jason B. Hoods. Die Untersuchung ist mit 164 Textseiten im Vergleich zu dem, was sich im deutschsprachigen Raum bei Dissertationen eingebürgert hat, eher kurz gehalten; angesichts dessen, dass der Gegenstand der Monographie von H. nur wenige Wörter umfasst, nämlich auf zwei Gruppen von Zusätzen in der Ge-nealogie Jesu in Mt 1,2–17 beschränkt ist, ist die Studie allerdings erstaunlich umfangreich: H. widmet sich zum einen der Hinzufügung von »und seine Brüder« bei Juda und Jechonia in Mt 1,2.11, zum anderen der Nennung von Tamar, Rahab, Rut und »der des Uria« in Mt 1,3–6.
Bevor sich H. diesen Zusätzen zuwendet, erörtert er nach der knapp gehaltenen Einleitung, in der Fragestellung und Methoden dargelegt werden (1–8), mit den »biblischen Genealogien« und den »Summaries of Israel’s Story« zunächst zwei für das Gesamtverständnis von Mt 1,1–17 relevante »kompositionelle Kategorien« (Ka­pitel 2–3, 9–34.35–62). Gegenüber der in der Forschung mitunter anzutreffenden Konzentration auf die (z. B. legitimatorischen) Funktionen von Genealogien betont er deren narrative Dimension, womit zugleich die Hinzufügungen zum genealogischen Schema ins Zentrum rücken; die etablierte Unterscheidung von »linear« und »segmented genealogies« wird durch die Kategorie der »annotated genealogies« ergänzt (30). Zugleich wird die in Mt 1 vorliegende annotierte Genealogie in die gattungsübergreifende kompositionelle Kategorie der »Summaries of Israel’s Story« eingeordnet.
Die Kapitel 4–6 sind dann den genannten Hinzufügungen ge­widmet. Für beide Gruppen sucht H. jeweils einen gemeinsamen Nenner. Die Anfügung von »und seine Brüder« bei Juda sei nicht einfach ein Verweis auf das Zwölfstämmevolk, sondern nimmt Judas Rolle gegenüber seinen Brüdern in den Blick: Juda mache eine grundlegende Veränderung durch: Nach seinem fragwür-digen Verhalten gegenüber Joseph (Gen 37,26 f.), bei seiner Heirat einer Kanaanäerin und gegenüber Tamar (Gen 38) trete er später als Bürge für Benjamin auf (Gen 43,8–10; 44,14–34). In seiner königlichen Rolle als Herrscher über seine Brüder (Gen 49,8–12; 1Chr 5,1 f.; Ps 78,67–71 und öfter) sei er bereit, sich selbst zu opfern. Zu Jechonia verweist H. auf die positive Deutung seiner Kapitulation angesichts der babylonischen Belagerung Jerusalems (2Kön 24,11 f.) bei Josephus, Bell 6,103–105, wo Jechonia, dem in 2Kön 24,9 ein negatives Verhaltenszeugnis ausgestellt wird, als Beispiel der Umkehr dient und ihm zugeschrieben wird, freiwillig die Gefangenschaft auf sich genommen zu haben, um den Tempel vor der Zerstörung zu bewahren. Als gemeinsamer Nenner, der ein Licht auf die Rolle Jesu wirft, ergibt sich damit: »these two characters in the royal line both exhibit a willingness to sacrifice themselves for their ›broth­ ers‹ in order to remove or mitigate the threat of danger to their brothers« (86, vgl. 82). Allerdings liegen hier zwei unterschiedliche Deutungen der »Brüder« zugrunde, denn anders als bei Juda wären bei Jechonia nicht nur die leiblichen Brüder im Blick. Im Schlusskapitel (139–156), in dem H. Anfang und Ende des MtEv miteinander zu verbinden sucht, wird die Deutung der Hinzufügung der Brüder in 1,2 dergestalt aufgenommen, dass er die elf Jünger in 28,17 mit den elf Brüdern Judas in Mt 1,2 in Beziehung setzt und darüber das Moment der davidischen Messianität Jesu in 28,16–20 zur Geltung bringt (153–155): Nachdem der Judasohn Jesus sein Leben hingegeben hat, fallen die Jünger vor dem Auferstandenen nieder, wie dies in Gen 49,8 vorhergesagt ist. Abgesehen davon, dass die Deutung die genannte Interpretation von 1,2 zur Voraussetzung hat, fällt allerdings auf, dass Matthäus in 28,17 explizit von elf Jüngern spricht, während die Zahl in 1,2 fehlt. Hätte Matthäus die postulierte Querverbindung intendiert, hätte er dies durch die explizite Rede von elf Brüdern anzeigen können.
Zur zweiten oben genannten Gruppe der Hinzufügungen sichtet H. in Kapitel 5 (88–118) zunächst die wichtigsten bisherigen Deutungsvorschläge (die vier Frauen a. als Sünderinnen, b. als Heidinnen oder c. als Personen, mit denen verschiedene Irregularitäten verbunden sind), die seines Erachtens allesamt nicht überzeugen können, weil der postulierte gemeinsame Nenner nie für alle vier Frauen zutrifft. Den Ausweg sucht er in Kapitel 6 nicht – wie einige neuere Ausleger – darin, die Suche nach einem gemeinsamen Nenner überhaupt aufzugeben (in »Summaries of Israel’s Story« seien divergierende Interpretamente nicht zu erwarten, 117), sondern in einer Modifikation der These, es handle sich um vier Heidinnen. Diese These scheitert nach H. daran, dass Bathseba über ihren Vater Eliam (2Sam 11,3) bzw. Amiel (1Chr 3,5) als Jüdin ausgewiesen werde (107 f.), doch ginge es Matthäus in der auffallenden Wendung »aus der des Uria« gar nicht um Bathseba, sondern um Uria selbst, und dieser sei bekanntermaßen nicht-jüdischer Herkunft. Nicht vier heidnische Frauen, sondern vier heidnische Menschen werden also von Matthäus genannt, um auf die universale Dimension des Heils hinzuweisen.
H. hat die Forschung zum matthäischen Stammbaum damit um eine zumindest bedenkenwerte Deutungsoption bereichert. Die Darlegung der beiden Interpretationsvorschläge hätte sich allerdings ohne Weiteres zu einem Aufsatz verdichten lassen. Über weite Strecken werden die Seiten durch Forschungsreferate (zu Genealogien, zu Summarien der Geschichte Israels und zu den beiden untersuchten Gruppen von Hinzufügungen in Mt 1,1–17) gefüllt. Störend ist zudem die Frequenz, in der H. wiederholt, dass seine Auslegungen neu und die von ihm geltend gemachten Text befunde bisher (weithin) übersehen worden seien. Dass H. im Schlusskapitel (157–164) nach der eigentlichen Zusammenfassung (157–162) noch einmal eigens seine »Contributions« zur Matthäusforschung resümiert (162 f.), fügt sich darin nahtlos ein.