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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

808–810

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

García Serrano, Andrés

Titel/Untertitel:

The Presentation in the Temple. The Narrative Function of Lk 2:22–39 in Luke-Acts.

Verlag:

Rom: Pontificio Istituto Biblico (Gregorian & Biblical Press) 2012. 447 S. m. Abb. u. Tab. = Analecta Biblica, 197. Kart. EUR 37,00. ISBN 978-88-7653-197-2.

Rezensent:

Martin Bauspieß

Der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes wird zunehmend als theologischer Erzähler gewürdigt. Insofern nimmt Andrés García Serrano in seiner 2011 am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom angenommenen Dissertation eine für die Lukas-Forschung sehr relevante Fragestellung auf, wenn er die Erzählung von der »Präsentation« Jesu im Tempel und der Begegnung mit Simeon und Hanna (Lk 2,22–39) einer eingehenden Untersuchung unterzieht, die das Ziel hat, die narrative Funktion des Textabschnitts für das luka­-nische Doppelwerk zu beschreiben (vgl. 22 f.). Erkennbar ist das Bemühen des Vf.s, die narrativen Analysemethoden nicht gegen eine historisch-kritische Betrachtungsweise auszuspielen, sondern sie mit historischen und redaktionsgeschichtlichen Überlegungen zu verbinden (23). Inwiefern die Bemerkungen zur Methodik mit bestimmten hermeneutischen und theologischen Grundentscheidungen verbunden sind, deutet der Vf. zwar kurz in einer Anmerkung an (23, Anm. 8), er führt sie aber nicht eigens aus.
Der Vf. beginnt mit einer kurzen Einleitung (21–28), der das erste Kapitel zur »Forschungslage« folgt (29–86). Im zweiten Kapitel zieht er Texte aus dem römisch-hellenistischen und dem jüdischen Umfeld zum Vergleich heran (87–145). Das dritte Kapitel bietet das Hauptstück, die Analyse der Erzählung Lk 2,22–39 (147–210), die im vierten Kapitel (Lk 1–2) auf ihre narrative Funktion in ihrem un­mittelbaren Kontext befragt wird (211–271). Kapitel 5 untersucht dann die narrative Funktion der Erzählung im Makrokontext des Lukasevangeliums (273–358). Abschließend wird der Ertrag der Un­tersuchung zusammengefasst (359–368).
Der Skopus der Untersuchung wird eingangs so umfassend wie unbestimmt formuliert: »[T]his thesis represents the first scientific study to address all significant aspects of Lk 2:22–39« (21). Im Verlauf der Arbeit wird eine Fülle von Einzelbeobachtungen zusammengetragen, ohne dass immer deutlich wäre, was genau diese sachlich austragen. Zunächst referiert der Vf. Antwortversuche aus der Forschung zu der Frage nach den Traditionsträgern für das historische Material der lukanischen Kindheitsgeschichte. Der Vf. hält es für möglich, dass Maria, die Mutter Jesu, als Augenzeugin hinter dem Material stehen könnte, das sich damit einer »Familientradition« aus dem frühen judenchristlichen Kontext verdanke (35). Diese These sei hier eigens herausgegriffen, da sie inzwischen von Joseph Ratzinger im dritten Band seiner »Jesus«-Trilogie aufgenommen und theologisch breit ausgedeutet worden ist. Leider wird die These des Vf.s nicht näher begründet, so dass eine Diskussion ermöglicht würde. Überhaupt fällt an dieser Stelle auf, dass die Thesen aus der Forschung sehr schematisch aneinandergereiht werden, was wohl auch in der Fülle der angesprochenen Auffassungen begründet ist.
Im Anschluss an Raymond E. Brown geht der Vf. davon aus, dass der Verfasser des Lukasevangeliums die Kindheitsgeschichte auf der Grundlage vor-lukanischer Traditionen, vor allem der Hymnen, relativ frei komponiert habe (43). Der auctor ad Theophilum sei demnach der eigentliche Autor der Kindheitsgeschichte und seine redaktionelle Tätigkeit sehr viel höher einzuschätzen als die Bedeutung der zugrunde liegenden Quellen, die sich zudem nur schwer rekonstruieren ließen (57). Der Vf. vertritt in diesem Zu­sammenhang die These, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes die Kindheitsgeschichte erst nach der Abfassung des restlichen Lu­kasevangeliums und der Apostelgeschichte komponiert habe (61; vgl. 359). Damit trägt er der Beobachtung Rechnung, dass in Lk 1–2 zentrale theologische Themen des Doppelwerkes bereits angesprochen werden. Inwiefern der im zweiten Kapitel durchgeführte Vergleich mit »Kindheitsgeschichten« aus dem hellenistisch-römischen und dem jüdischen Bereich zielführend ist, bleibt zunächst unklar (vgl. 138). Der Vf. arbeitet einige Gemeinsamkeiten und Differenzen der behandelten Texte mit der lukanischen Kindheitsgeschichte heraus (139–142). Deutlich wird, dass sich der Verfasser des L ukasevangeliums einer durchaus gängigen Erzähltradition be­dient, die die Funktion unterstreicht, die die Erzählung Lk 2,22–39 für das gesamte Doppelwerk hat. An den Vergleichstexten werde deutlich, dass die Kindheitsgeschichten je­weils eine proleptische Funktion haben (135). Die Beobachtungen legen für den Vf. nahe, dass auch die »Präsentation Jesu im Tempel« eine »proleptic sig-nificance« hat (145).
Diese Erwartung wird durch die Einzelanalyse von Lk 2,22–39 bestätigt, in der der Vf. den Textabschnitt als die programmatische »Präsentation« Jesu herausarbeitet (147), die innerhalb der Erzählung gegenüber Gott geschehe, extradiegetisch aber auf den Leser ziele (169, vgl. 360). Simeon präsentiere Jesus vorab als den erwarteten Messias, der Ablehnung erfahren wird (209). Damit zeige sich, dass Lk 2,22–39 ganz wesentlich die Funktion der Offenbarung Jesu habe (205). Der Vf. zeigt auf, wie die Themen, die hier angesprochen werden, im weiteren Verlauf von Lk 1–2 aufgenommen werden, wobei sich die Präsentation Jesu im Tempel dadurch auszeichne, dass hier nicht nur erzählt werde, »who Jesus is but also […] what he will do« (238). Lk 1–2 lasse sich dabei als ein zusammenhängender Erzählverlauf (plot) verstehen, innerhalb dessen »an upward dynamic in the reader’s knowledge of Jesus« zu beobachten sei, die ihren Höhepunkt in der Präsentation Jesu im Tempel erreiche (361). Innerhalb des gesamten Doppelwerkes beobachtet der Vf. eine parallele »Präsentation« der jeweiligen Protagonisten, Jesu, der Jünger und des Paulus (274 f.). Die Themen der universalen Sendung Jesu und der durch ihn provozierten »Scheidung« verfolgt der Vf. an zahlreichen Einzeltexten des lukanischen Werkes. Lukasevangelium und Apostelgeschichte werden so als eine zusammenhängende Erzählung beschrieben, in der der Verfasser konsequente theologische Linien verfolge, die er seinen Leserinnen und Lesern zu vermitteln versuche. Damit erweise er sich als Theologe und die »Präsentation Jesu« als wesentlich durch ihre theologische Funktion bestimmt (367). Angesprochen seien mit der lukanischen Er­zählung die in Theophilus repräsentierten (christlichen) Leserinnen und Leser (Lk 1,3 f.). Textpragmatisch ziele die Gesamterzählung des lukanischen Doppelwerkes darauf, die Leserinnen und Leser (auch heute noch) zum Zeugnis der universalen Sendung Jesu aufzufordern (368).
Indem der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes als theologischer Erzähler ernst genommen wird, ergeben sich zahlreiche interessante Einzelbeobachtungen, die hier nicht im Detail diskutiert werden können. Die Untersuchung zeigt einmal mehr, wie reflektiert der Verfasser des Doppelwerkes seine Theologie ent-wickelt und dabei mit zahlreichen narrativen Verweisbezügen arbeitet. Die schematische Art und Weise, in der der Vf. methodisch vorgeht, macht die Lektüre des Buches allerdings etwas mühsam. Auch der Bezug auf die Diskussionen der Forschung hätte durch eine systematischere Bündelung und Auseinandersetzung besser durchschaubar gemacht werden können, etwa im Blick auf die Frage, wie genau die Einheit des lukanischen Doppelwerkes gerade auch unter erzähltheoretischen Gesichtspunkten bestimmt werden kann. Deutlich wird aber, dass der Erzählung von der »Präsentation Jesu im Tempel« eine wichtige Bedeutung für das Gesamtwerk zukommt, die dem Thema der Offenbarung eine zentrale Stellung innerhalb der lukanischen Theologie zuweist.