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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

806–808

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cockerill, Gareth Lee

Titel/Untertitel:

The Epistle to the Hebrews.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. XLIX, 742 S. = The New International Commentary on the New Testament. Lw. US$ 60,00. ISBN 978-0-8028-2492-9.

Rezensent:

Georg Gäbel

Gareth Lee Cockerills Hebräer-Kommentar ersetzt die Auslegung von Bruce in der Reihe NICNT, die sich dem evangelikalen Spektrum zuordnet und auf aktuellem Stand eine Brücke von der Wissenschaft zur Praxis schlagen will. Zielgruppe sind »the proverbial ›busy pastor‹« und Studierende (XII). C., Professor am Wesley Biblical Seminary in Jackson, Mississippi, bietet eine dichte, eigenständige Kommentierung und setzt markante Akzente. Literatur ist in reichem Maß verarbeitet. C. nimmt Hebr im Rahmen des 1. Jh.s n. Chr. wahr, ordnet das jedoch einer Kommentierung aus dezidiert theologischer Perspektive ein: Er will moderne Leser befähigen, »to enter the Christian [!] world of Hebrews and allow that world to reshape their hearts and minds« (XIII). So bewegt er sich in den Bahnen einer Schriftauslegung in seelsorglicher Absicht, wie er sie auch dem programmatisch als »pastor« verstandenen auctor ad Hebraeos zuschreibt.
Großen Wert legt C. auf die Strukturanalyse (XIV, 1, 60–81). Er findet, wie andere, drei Hauptteile 1,1–4,13; 4,14–10,18; 10,19–12,29, ohne die peroratio 13,1–17. Eine Verbindung zur Gattungsbestimmung (s. u.) stellt er dabei nicht her.
Wie treffend die Titel des ersten bzw. dritten Teils, »A Very Short History of the Disobedient People of God« und »A History of the Faithful People of God from Creation to Consummation«, sind, mag dahinstehen. Anregend ist der Vergleich von 8,1–10,18 mit einer Symphonie in drei Sätzen (345–349).
Die Einzelheiten der Gliederung werden sich in der Exegese bewähren müssen. Fraglos profitiert jedoch die Kommentierung von der Einzeichnung größerer Abschnitte in Kontext und Argumentationsgang, die der Auslegung jeweils voransteht.
Grundentscheidungen der Kommentierung ergeben sich aus Einsichten in die rhetorische Prägung (aus denen die Gattungsbestimmung erwächst) und in den Schriftgebrauch des Hebr.
1. Trotz durchgehender rhetorischer Formung lasse sich Hebr keinem der genera der klassischen Rhetorik überzeugend zuordnen. Es gelte jedoch, auf den oralen Charakter des Hebr zu achten. Das führt C. zum Verständnis des Hebr als Synagogenhomilie (11–16). Durchgehend spricht er von »sermon«, »preacher« und »pastor«. Dementsprechend sieht er das Grundanliegen in Mahnung und Ermutigung zum Festhalten am Glauben; was Hebr an theologischer Argumentation aufbietet, kommt unter dieser Maßgabe in den Blick.
Die Kult- und Hohepriestertheologie steht nicht im Mittelpunkt des Interesses, wie u. a. das Fehlen einschlägiger Arbeiten zeigt (Kraus, Gäbel, Mason, Moffitt; auch Beiträge von Milgrom, Klawans und Eberhart zu Opfer, Reinheit und Sühne).
Der briefartige Schluss 13,22–25 bzw. 13,18–25 (C. nennt beide Abgrenzungen: 15.76.81.710–722) sei ein vom ›Pastor‹ angefügter Zusatz. Ab S. 710 spricht C. dann von einem »sermon sent as a letter«. – Hier wünschte man sich eine Erörterung der Fragen, was Verschriftlichung und Versendung für die Gattung des Hebr bedeuten mögen und ob die Möglichkeit literarischer Stilisierung dabei nicht stärker zu gewichten wäre, als C. es tut (zumal die Rück­frage nach Synagogenhomilien des 1. Jh.s n. Chr. nicht frei von Komplikationen ist).
2. In der Schriftexegese sieht C. »the ›bone and marrow‹« des Hebr (41; 41–59). Grundlegende Überzeugung des Hebr sei, dass alle frühere Offenbarung in der Selbstoffenbarung Gottes im Sohn erfüllt sei (43 f.87 u. ö.), die ihrerseits in der Schrift Bestätigung finde. Grundlegend sei ferner die bleibende Selbigkeit des redenden Gottes und des hörenden Gottesvolkes, das durch die Zeiten im gläubigen Hören konstituiert sei. Hier liegt der Dreh- und Angelpunkt von C.s eigener Exegese. Sein Festhalten an einer hohen Christologie (personale Präexistenz Christi: 98–100) ergibt sich ebenso daraus wie die Betonung der Differenzen insbesondere zu frührabbinischen Kontexten (56 f.). Da Gottes Reden im Sohn von letztgültiger Verbindlichkeit sei, sei auch Apostasie (»repudiation of Christ and surrender of one’s confession«, 274) irreparabel (275 f.). Daher die Dringlichkeit der Mahnung.
Die Kontinuität im Reden Gottes versteht C. als Kontinuität durch Erfüllung. Die Abrogation des alttestamentlichen Kults sei als Ausweis der bleibenden Geltung des Gesetzes zu beanspruchen, ziele doch das Gesetz über sich hinaus auf die Verwirklichung des schattenhaft vorabgebildeten Heils in Christus, aus dem sich das Ende des Kults ergebe (53.325 f.). Die Typologie wird zur bevorzugten hermeneutischen Figur (52–54).
Eine Substitutionstheologie (»supersessionism«) will C. vermeiden. Hebr vergleiche nie Judentum und »Christianity« (23); er kenne kein Gegenüber von altem und neuem Gottesvolk (148, Anm. 115 zu 2,16). Doch entscheide sich die Zugehörigkeit zum »faith con-tinuum« nach Hebr an der Anerkennung Christi (23, Anm. 92 f., vgl. 20, Anm. 80). Die Adressaten meinten freilich »Jewish associations or practices« zu benötigen (20; vgl. 21 f.40.702 f.). Dadurch kommt, trotz der Betonung der Kontinuität, die Möglichkeit eines Bruchs in den Blick: Die Aufforderung zum Hinausgehen aus dem ›Lager‹ 10,13 bezieht C. auf die Trennung »from the worship of the community that lives by the Old Covenant as if Christ had not come« (702 f.), »from the synagogue« (703).
Nach C. wäre dies freilich analogielos im Hebr (23); es müsse in das Gegenüber zu einer »unbelieving society in general« eingeordnet werden (703, vgl. 22 f.). Ist das Eine dem Anderen wirklich subsumierbar? Zwar habe aus einer christologischen Orientierung wie der des Hebr eine Trennung von Judentum und entstehendem Chris­tentum erwachsen können (23, Anm. 92). Dennoch scheint C. die Positionierung des Hebr im Blick auf solche Trennungsprozesse in der Schwebe halten zu wollen. Das führt uns zu den Einleitungsfragen: In welche Situation ist die Mahnrede (13,22) gesprochen?
Der ›Pastor‹ (Apollos?, 9 f.) bleibe letztlich unbekannt wie die Adressaten (eine Hauskirche [16] in Rom?, 40 f.) und Ort und Zeit der Abfassung (zwischen 50 und 90 n. Chr., 40 f.). Prägend sei das Streben nach Ehre bzw. das Vermeiden von Schande (17 f.) angesichts des Drucks einer ›ungläubigen‹ Gesellschaft (22.703). Die Adressaten seien jüdisch-religiös geprägt, doch erlaube das keinen Rückschluss auf Ethnizität (20). Die Bedrängnisse von 10,32–34, obgleich konkrete Vorfälle, seien nicht historisch zuzuordnen (500 f., Anm. 19). So bleibt die historische Situation unbestimmt (vgl. XIV).
Die Eschatologie des Hebr sei apokalyptisch beeinflusst (25–27), doch fällt auf, welch geringe Rolle dann z. B. die Ankündigung des ›Kommenden‹ 10,37 für C.s Verständnis der Mahnung spielt (506–509, anders als etwa bei Mackie). Hinweise auf die Auferstehung (6,2; 11,19.35; 13,20) erhalten hohes Gewicht (etwa 557 f.; vgl. 668, Anm. 34); hier vermisst man die Auseinandersetzung mit Moffitt (Atonement and the Logic of the Resurrection in Hebr). Die Annahme platonisierenden Einflusses lehnt C. ab (z. B. 353 f.360–362). Dabei irritiert jedoch seine Rede vom »neo-platonism« (28–34), beziehen sich doch einschlägige Forschungen auf den Mittelplatonismus (wie bei Eisele, mit dem sich C. auseinandersetzt). Auch gegenüber frühjüdischen Kontexten (so zur Melchisedek-Gestalt) bleibt C. reserviert, privilegierter Verstehenshorizont ist die Schrift. Die Textgeschichte der Schriftzitate wird diskutiert (Arbeiten von Karrer und Steyn fehlen); einzelne Varianten im Hebr-Text werden erörtert, so 135, Anm. 47 zu 2,9b.
Trotz einzelner Unschärfen und Einseitigkeiten kann C.s grund­solider Kommentar sich unter ambitionierten Vertretern seiner Gattung sehen lassen. Manche Positionierung mag zum Widerspruch reizen. Vor allem aber reizt dieses Buch zu intensiver Be­schäftigung mit dem Hebr selbst.