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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

804–806

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bieberstein, Sabine, u. Daniel Kosch

Titel/Untertitel:

Paulus und die Anfänge der Kirche. Neues Testament Teil 2.

Verlag:

Zürich: Edition NZN bei Theologischer Verlag Zürich 2012. 380 S. = Studiengang Theologie, II/2. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-290-20081-7.

Rezensent:

Lukas Bormann

Die Reihe »Studiengang Theologie« wendet sich an interessierte Laien sowie »suchende Menschen« und möchte theologische Bildung in »ökumenischer Offenheit« vermitteln (5 f.). Den zu besprechenden Band haben die Professorin für Exegese an der katholischen Universität Eichstädt-Ingolstadt S. Bieberstein und der Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz D. Kosch (Kapitel 3) verfasst. Das Buch richtet sich demnach an Menschen, die nur das eine oder andere ausgewählte Lehrbuch erwerben und darauf angewiesen sind, dass sie in diesen Büchern seriös informiert und bei ihrer eigenen Urteilsbildung unterstützt werden. Diese Aufgabe lösen die Autoren engagiert, verantwortungsbewusst und in einer sprachlich gelungenen Form. Die Kapitelüberschriften kombinieren jeweils eine sachliche Beschreibung mit einer prägnant-motivierenden Aussage, die neugierig macht.
Kapitel 1 »Von Jerusalem nach Antiochia – Die Zeit des Anfangs« (15–42): Ausgehend von der Kreuzigung Jesu wird die nachösterliche Jesusgemeinschaft (26: »christusgläubige Gemeinden«) auf der Basis von 1Kor 15,3b–5 und vor allem der Apostelgeschichte dargestellt. Dem »Fundament« der Zwölf tritt die Gruppe der Apostel, unter ihnen mit Junia auch eine Frau (31), zur Seite. Die »Säulen« Petrus, Jakobus und Johannes übernehmen die Leitung der Jerusalemer Gemeinde, zu der auch »Griechisch sprechende Jüdinnen und Juden« (34) hinzugekommen seien, die »zur Transformation der Christusbotschaft in griechisch geprägtes Denken« beigetragen hätten (37). Die ersten Gemeinden lebten in Gütergemeinschaft. In Antiochia habe man sich »selbstverständlich« in den Synagogen aufgehalten (40) und mit der Taufe den »Menschen nichtjüdischer Herkunft« den Eintritt ins Judentum unter Vermeidung der Be­schneidung ermöglicht (40). Zu dieser Zeit wurde Paulus in Da-mas­kus in den »Glauben an den Messias Jesus eingeführt« (41).
Kapitel 2: »Paulus und die paulinischen Gemeinden – die Botschaft vom Messias Jesus gewinnt an Kontur« (43–138). Dieser Ab­schnitt erörtert zunächst den Quellenwert der neutestamentlichen Schriften (43–54). Die Darstellung selbst orientiert sich an den unumstritten echten Paulusbriefen, die Sichtweise der Apos­tel-geschichte wird in »Exkursen« im Petitdruck nachgestellt (77. 79.80 f. u. ö.). Die weiteren Ausführungen setzen folgende Schwerpunkte: die Kollekte, die Reisetätigkeit, der Tod des Paulus, sein Netzwerk, »markante Frauen« (119).
Kapitel 3: »Der Brief des Paulus an die Gemeinden in Rom – Theo­logie im Dienst der Dynamik des Evangeliums« (139–201). Der Römerbrief wird vor allem in Beziehung zum »Imperium Romanum« interpretiert und auf »Nonkonformismus« (bes. 191–194) und »subversives Potential« (194 f.) untersucht. Die Darstellung konzentriert sich auf zwei Problemkreise: 1. Welches Verhältnis zwischen Juden und »Messiasgläubigen« (157) liegt den Aussagen über Gesetz, Rechtfertigung und Sünde zugrunde? 2. Welche Folgen haben diese Aussagen für die Haltung, die die Gemeinde gegenüber der gesellschaftlichen und politischen Welt einnimmt? Erstens wird wiederholt auf Frank Crüsemanns Formulierung vom Alten Testament/Judentum als dem »Wahrheitsraum« des Evangeliums zu­rückgegriffen. Darüber hinaus wird die An­sicht vertreten, Paulus habe auch innerhalb der Gemeinde »an der Asymmetrie zwischen den Messiasgläubigen aus dem Volk Israel und jenen ›aus den Völkern‹« festgehalten (157). Zweitens werden im Anschluss an Elsa Tamez der paulinische Sündenbegriff als gesellschaftlich wirksame »strukturelle Sünde« und das Gesetz als deren Mittel interpretiert (168.179 u. ö.).
Kapitel 4: »Die Briefe an die Gemeinde von Korinth: Theologie, Lebensfragen und Gemeindeleben im Kontext einer antiken Grossstadt« (203–251). Recht ausführlich werden die Situation der Stadt Korinth und die spannungsreiche soziale und religiös-ethnische Zusammensetzung der Gemeinde geschildert (204–219). Die Kreuzestheologie in 1Kor 1–4 setze »die Wertmassstäbe der Welt ausser Kraft« (221). Die Konflikte um »Lebensformen« löse Paulus eher pragmatisch. Die Spannungen, die mit der Teilnahme an kultischen Mahlfeiern, dem Verzehr von Götzenopferfleisch und dem Herrenmahl verbunden sind, verweisen darauf, dass für Paulus das Miteinander von »gelebter Solidarität und Gerechtigkeit« geprägt sein solle (236). Die Ansichten, die Paulus zur Unterordnung der Frau unter den Mann in 1Kor 11,2–16 vorbringt, folgen wiederum den »herrschenden Normen« (241). 1Kor 12–14 wird nur selektiv behandelt, der Schwerpunkt liegt auf dem Schweigegebot an die Frau in 1Kor 14,33b–35, das »nachpaulinisch« sei (244). Eindringlich wird demgegenüber die Sinnhaftigkeit der leiblichen Auferstehung nach 1Kor 15 unterstrichen, die gerade die »gezeichneten und versehrten Körper« der Glaubenden betreffe (250).
Kapitel 5: »Die weiteren Briefe des Paulus – Dialoge zwischen Zorn und Enttäuschung, Freude und Hoffnung, Ermutigung und Trost« (253–293). Auch im Falle von Galater, Philipper, 1. Thessalonicher und Philemon finden Einleitungsfragen eine aufmerksame Behandlung. Der Philipperhymnus (271: »Ein Lied über den Weg des Messias Jesus«) wird vor allem unter dem Gesichtspunkt seines Missbrauchs zur Legitimation bestehender »Herrschaftsverhältnisse« diskutiert (273). Die antijüdischen Ausführungen in 1Thess 2,15 f. seien paulinisch, aber »masslos«. Der Philemonbrief ziele auf die »Statusveränderung« des Sklaven Onesimus, nicht aber auf seine Freilassung (292).
Kapitel 6: »Gemeinden in der Tradition des Paulus – Die pseud-epigrafischen Paulusbriefe« (295–324). In diese Schriftengruppe wird verständig und vergleichsweise zurückhaltend eingeführt. Kolossae gilt der Autorin als durch das Erdbeben des Jahres 60/61 n. Chr. zerstört (300), anders jüngst Cadwallader. Die Bedeutung von Ephesus wird weit weniger ausführlich erörtert als die Verhältnisse in Korinth oder Philippi. Die zahlreichen Texte, die die Stellung der Frau in der Gemeinde als Witwe, Jungfrau, Diakonin, Presbyterin und Lehrerin, aber auch als Haus- und Ehefrau the-matisieren, werden erwähnt, aber eher zögerlich im Rahmen einer feministischen Hermeneutik »gegen den Strich gelesen« (322).
Kapitel 7: »Der Hebräerbrief und die katholischen Briefe: Andere Kontexte – andere Traditionen« (325–350). Der Inhalt der Schriften wird kommentierend referiert und zu den Nöten der Gemeinde in Beziehung gesetzt, etwa zu den »schmerzhaften(n) Konflikten in den johanneischen Gemeinden« (339).
Kapitel 8: »Die Offenbarung des Johannes: Widerstand gegen die Verführungen der Macht« (341–350). Die Johannesoffenbarung wird in die Zeit Domitians (81–96 n. Chr.) datiert (344). Die Sendschreiben seien »an sieben Gemeinden an der Westküste Kleinasiens« gerichtet (343), was etwas großzügig formuliert ist, da tatsächlich von den sieben Städten nur Ephesus und Smyrna an der Küste liegen. Vom Imperium Romanum seien Gewalt und Faszination ausgegangen und hätten die Gemeinden vor Zerreißproben gestellt (346).
Die Autoren wählen einen Zugang zu den Texten, der von der Gemeindesituation ausgeht. Demgegenüber tritt die individuelle Dimension vor allem des paulinischen Evangeliums, etwa seine Fähigkeit, den Einzelnen zu einem durch die Christusbeziehung (πίστις) zur Freiheit berufenen Subjekt zu formen, zurück. Gerade interessierte Laien werden sich auch fragen, wie sich ihr eigenes christliches Bekenntnis zum Evangelium des Paulus verhält, wenn ohne nähere Erläuterung festgehalten wird, dass »Paulus die neue Identität der Glaubenden als eine jüdische Identität denkt und aufweist« (260). Die neutestamentlichen Texte erscheinen vor allem als durch soziale Konflikte provoziert, und ihre Antworten stellen sich als Teil eines Diskurses dar, in dem auch die »Widersprechenden« und die »Konkurrenten« zu beachten sind (116). Die durch »die Geistkraft« gesammelte Gemeinde steht im Mittelpunkt (137), und insofern ist der vorgelegte Band in einem guten Sinn katholisch, d. h. auf die Kirche als Volk Gottes bezogen.