Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

30–32

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Michaels, Axel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade.

Verlag:

München: Beck 1997. 427 S. gr. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-406-42813-4.

Rezensent:

Horst Bürkle

Der Herausgeber nennt einleitend zwei Problemkreise, die für die Edition des Bandes und für die Auswahl der behandelten Autoren bestimmend waren: zum einen die Frage, wer denn zu den "Klassikern" der Religionswissenschaft zu zählen ist, zum anderen die Feststellung, daß das Fach "noch immer in den Fakultäten um Anerkennung ringt". Die erste Frage hat er mit der vorgenommenen Auswahl von insgesamt 23 hervorragenden Vertretern des Faches selber überzeugend beantwortet. Daß die Religionswissenschaft jedoch bis heute um ihre wissenschaftliche Akzeptanz im Spektrum universitärer Disziplinen zu "ringen" hätte, trifft so nicht zu, es sei denn, man verbindet mit dieser Aussage die negative Feststellung - wie der Herausgeber es tut - daß "noch heute Religionswisssenschaft an deutschsprachigen Universitäten mitunter in theologischen Fakultäten angesiedelt" ist. Eben dieses jedoch war der Fall bei einer ganzen Reihe der in dem vorliegeden Band als "Klassiker" behandelten hervorragenden Vertretern des Faches einschließlich einer nicht geringen Anzahl der an der Abfassung dieses Bandes beteiligten Autoren. Der Band belegt vielmehr - und das ist an ihm zu würdigen - daß die Religionswissenschaft in ausgezeichneter Weise immer schon in fächerübergreifender Weise im Verbund mit anderen Wissenschaften verstanden wurde und in dieser Hinsicht ihre Nähe zur Theologie eine besondere Rolle spielte.

Zum Inhalt: Die einzelnen Beiträge sind in chronologischer Reihenfolge angelegt, beginnend mit dem von B. Gladigow verfaßten Aufsatz zu F. Schleiermacher (1768-1834). Sie sind jeweils in drei Abschnitte gegliedert zu Leben, Werk und Wirkungsgeschichte der behandelten Wissenschaftler. Von ihnen wurde jedem Beitrag ein Porträt beigefügt. Unter den behandelten "Klassikern" begegnen Namen, die man nicht von vorneherein unter die "Religionswissenschaftler" rechnen würde, die aber ihren Einfluß in der Geschichte des noch jungen Faches hinterlassen haben und darum mit Recht hier vorgestellt werden. Dies gilt insbesondere für Männer wie Sigmund Freud, Max Weber und Carl Gustav Jung. Die Beiträge im einzelnen hier vorzustellen, würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Sie beschränkt sich darum darauf, an einzelnen Beispielen den Rang und die Brauchbarkeit dieses Sammelbandes als eines Lehrbuches zu belegen. Die durch ihre eigenen wissenschaftlichen Leistungen im Fach ausgewiesenen Verfasser sind mit wenigen Ausnahmen bemüht, die von ihnen behandelten Wissenschaftler je aus ihrer forschungsgeschichtlichen Situation heraus, unter den Bedingungen ihrer Zeit und in ihrer Wirkung, z. T. auch in ihren gegenseitigen Widersprüchen, zu würdigen und ihren Ertrag für die Entwicklung der religionswissenschaftlichen Forschung herauszuarbeiten.

Hans G. Kippenberg zeigt am Beispiel von William Robert Smith (1867-1894) und seiner religionsgeschichtlichen Beiträge, wie die politischen Erfahrungen einer Religionsgemeinschaft ihre Wirkungen auf den Gang der Religionsgeschichte hatten. Hier wurde bereits in den Anfängen der Forschung die Brücke zur späteren Religionssoziologie geschlagen. Religionen sollten auch unter dem Gesichtspunkt ihres kultischen Elementes als Teil eines größeren Ganzen einer sozialen Gemeinschaft verstanden werden. "Für uns Moderne ist die Religion in erster Linie eine Angelegenheit der persönlichen Überzeugung und eines durchdachten Glaubens; den Alten aber war sie ein Stück des öffentlichen, bürgerlichen Lebens" (73). Vom selben Autor stammt der Beitrag über Emile Durkheim (1858-1917). Im kritischen Durchgang durch seine Schriften werden bleibend Gültiges herausgestellt und zugleich Mißverständnisse korrigiert, so daß Th. W. Adornos, der Durkheims moralische Bewertung des Staates in nationalistischem Sinne mißdeutete. Die in Bezug auf Durckheim getroffene Feststellung erweist sich als Maxime in der Behandlung auch der anderen Beiträge des Bandes: "Es ist das Merkmal eines Klassikers, daß sein Werk trotz Fehler, überholter Voraussetzungen und Einsichten eine Quelle von Anregungen bleibt" (118).

Das Gesamtwerk Friedrich Max Müllers (1823-1900) hat in Hans-Joachim Klimkeits Beitrag das ihm gebührende Echo und in Bezug auf seine inaugurale Leistung für die Religionswissenschaft und deren vergleichende Methode eine kompetente Würdigung erfahren. Die Feststellung Goethes "Wer nur eine Religion kennt, kennt keine", wurde von ihm konsequent auf das Studium der Religionen angewendet. Vergleichen heißt aber nicht bewerten. Es soll Tiefenschärfe vermitteln für das Wesen einer Religion, das sich erst dann erschließt, wenn es zu den Inhalten und Ausdrucksformen anderer Religonen in Beziehung gesetzt wird. Das gilt auch für das ’Wesen des Christentums’. "Ich will gar kein Geheimnis daraus machen, daß mir persönlich das wahre Christentum, worunter ich die Religion Jesu verstehe, eine desto höhere Stellung einzunehmen scheint, je mehr wir den Schatz von Wahrheit, der in den verachteten Religionen der Heiden vergraben liegen, kennen und würdigen lernen" (36). Klimkeit gelingt es, den inneren Zusammenhang zwischen dieser Festellung Max Müllers und seiner Forderung nach religionswissenschaftlichen Vergleichen aufzuzeigen: Die geforderte historisch-vergleichende Methode setzt für Müller eine "vergleichende Theologie" voraus, die auf dem Boden des Christentums allein entstehen konnte.

Die Beiträge von Eric J. Sharpe über Nathan Söderblom (1866-1931) und von Hans Waldenfels über Wilhelm Schmidt (1868-1954) zeigen auf ihre Weise noch einmal den inneren Zusammenhang zwischen der Erforschung von Religionen und dem sie begleitenden theologischen Verstehenshorizont. Bei aller Kritik, die sie an diesen beiden "Klassikern" in Bezug auf ihre konzeptionellen Grundthesen zu üben bereit sind, sind sie beide doch deutliche Widerlegungen gegen die eingangs vom Herausgeber erhobene Forderung nach einem endgültigen Abschied der Religionswissenschaft aus ihrem theologischen Bezugsfeld.

Wie sehr in anderer Hinsicht die Religionswissenschaft positiv oder negativ den Forschungen anderer Disziplinen im Blick auf die Religion(en) Anstöße, Korrekturen und Ergänzungen verdankt, wird in den Beiträgen von Hartmut Zinser zu Sigmund Freud, von Günter Kehrer zu Max Weber und von Christoph Morgenthaler zu Carl Gustav Jung deutlich. Sie sind in ihrer Weise beachtenswerte Hinweise auf Beschäftigungen mit Religion und Religionen, die in ihren eigenen Verstehenshorizont einbezogen bleiben und ihr spezifisches Interesse an ihnen geltend machen.

Mit Gerardus van der Leeuw, Friedrich Heiler, Joachim Wach, Edward E. Evans-Pritchard, Victor Turner und Mircea Eliade haben die namhaften Verteter des Faches in unserer Zeit ihre Würdigung erfahren. Die Autoren (Jacques Waardenburg, Michael Pye, Rainer Flasche, Peter L. Bräunlein, Ulrich Berner) sind - sei es noch als deren Schüler oder auf Grund bereits vorliegender eigener Veröffentlichungen - kompetente ’Portraitisten’. Gründliche Kenntnis des Werkes und faire Beurteilung im Blick auf Gültiges und Bleibendes dieser Meister ihres Faches machen diese wie auch die übrigen Beiträge des Sammelbandes zu einer empfehlenswerten Lektüre. Wer sich über das Fach von seinen Anfängen an bis heute informieren will, erhält hier einen Leitfaden. Der Student wird ihn benötigen - nicht zuletzt wegen der nützlichen Gesamtübersicht über die Werke der behandelten Autoren und die jeweils wichtigste Sekundärliteratur.