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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

801–802

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Paul, Shalom M.

Titel/Untertitel:

Isaiah 40–66. Translation and Commentary.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. XIII, 714 S. = Eerdmans Critical Commentary. Kart. US$ 68,00. ISBN 978-0-8028-2603-9.

Rezensent:

Ulrich Berges

Dieser Kommentarband von Shalom M. Paul in der Reihe »Eerdmans Critical Commentary« stellt das Ergebnis einer sehr langen Beschäftigung mit diesen Kapiteln des Jesajabuches dar, und so widmet der Vf. das Opus magnum seiner Ehefrau zum 50. Hochzeitstag. Die Leserinnen und Leser dürfen sich mit diesem Geschenk mitfreuen und gespannt die Lektüre beginnen. Es wird bereits auf den ersten Seiten klar, dass sich dieser Kommentar besonders durch seine philologisch-literarische Detailfreudigkeit auszeichnet, wobei Grundkenntnisse des Hebräischen auf Seiten der Leserschaft eigentlich vorausgesetzt werden. Das Buch dient somit nicht zur Einstiegslektüre in die poetische Welt dieser Kapitel, sondern setzt eine gewisse Kenntnis des Textes bereits voraus. Der Vf. erhellt auf wohltuend unprätentiöse Weise deren philologische, historische, ideengeschichtliche und theologische Hintergründe, wobei Sekundärliteratur nur sehr sporadisch herangezogen wird. Am Schluss findet sich eine recht ausgedehnte, vom Vf. ausgewählte Bibliographie (633–655); Indizes beschließen das Werk.
Diskussionen mit unterschiedlichen Positionen in der Forschungslandschaft unterbleiben fast völlig. Dieses Schweigen sagt vielleicht mehr als viele Worte! Demgegenüber präsentiert der Vf. auch Auslegungen mittelalterlicher jüdischer Exegeten zu Jes 40–66, die einer großen Vielzahl von interessierten Lesern sonst verschlossen bleiben würden. In der ausführlichen Einleitung (1–72) stellt der Vf. in 21 Abschnitten die Eckpunkte der zu kommentierenden Kapitel vor: Sie behandeln u. a. das Problem der Zugehörigkeit von Jes 34–35 zu Jes 40 ff., die Frage nach Trito-Jesaja als eigenständiger Schrift, bieten einen Abriss der historischen Lage, stellen die Gottesknechtslieder kurz vor (nur eine knappe Seite!), die Polemiken gegen die Fremdgötterkulte etc. Die Entscheidungen be­wegen sich allesamt im konservativen Bereich, so sei die Zugehörigkeit von Jes 34 zu Deutero-Jesaja unsicher, die von Jes 35 dagegen eher zu bejahen. Für Jes 40–48 nimmt der Vf. ein babylonisches Setting an. Der Prophet sei nach Exilsende mit seinen Landsleuten nach Jerusalem gezogen und habe dort weitergeschrieben (6 f.).
Jes 56–66 charakterisiere ein deutliches Schisma unter den Heimkehrern. Die Trennung zwischen Jes 55 und Jes 56 sei rein künstlich, denn es gäbe starke Vernetzungen zwischen beiden Kapiteln. Außerdem sei nicht von Trito-Jesaja als prophetischem Autor auszugehen, sondern Deutero-Jesaja habe kurz nach der Rückkehr diese Kapitel in der Heimat, wohl Jerusalem, verfasst. Eigentlich müss­te die Trennlinie zwischen Jes 40–48 als babylonische Kapitel und Jes 49–66 als Jerusalemer Kapitel verlaufen: »one coherent opus composed by a single prophet« (12). Die Abfassung auch der letzten Kapitel habe nicht in der Mitte des 5. Jh.s stattgefunden, wie heutzutage mehrheitlich angenommen, sondern bereits kurz nach der Rückkehr. Interessant und nirgends sonst so zu finden sind die langen Listen von hebräischen Wörtern, die in Jes 40 ff. oft zur Emphase verdoppelt sind (z. B. »tröstet, tröstet« 40,1). Auch werden Wörter zu­sammengestellt, die mit ihren Assonanzen und Alliterationen einen Effekt auf die Leser/Hörer ausüben wollen. Über viele Seiten erstrecken sich Listen von Wortbezügen innerhalb der Kapitel (32–42). Zwar sind nicht alle Bezüge gleich zwingend, aber dennoch machen sie die enge Verwobenheit der Texte deutlich. Auf den letzten 20 Seiten der Einleitung werden die literaturgeschichtlichen Verbindungen von Jes 40–66 präsentiert. Die Kapitel seien sowohl stark deuteronomisch-deuteronomistisch beeinflusst als auch von Protojesaja, den Psalmen und von Jeremia her geprägt (jeweils mit Wortlisten). Außerdem stellt der Vf. Beeinflussungen aus der ugaritischen Literatur und den mesopotamischen Traditionen fest, so dass am Ende die Frage unausweichlich wird, was für ein genialer Einzelprophet dieser Deutero-Jesaja eigentlich gewesen sein muss, dass er all diese Einflüsse so kreativ und innovativ hat verarbeiten können! Hatte dieser Dichterprophet während des Aufenthalts im babylonischen Exil alle verfügbaren Schriftrollen bei sich bzw. in seiner Umgebung? Oder sollte er tatsächlich alles rein mnemotechnisch gespeichert haben? Wie hat man sich aber das Vergessen von Namen, Profil, Verbleib dieses genialen Verfassers vorzustellen? Warum gibt es von den unmittelbaren »Kollegen« Jeremia und Ezechiel biographisch gefärbte Erzählstücke, vom zweiten Je­saja aber nichts dergleichen? Wie kam es zur Kombination von erstem (Jes 1–39) und zweitem Teil (Jes 40–66) in einer ge­meinsamen Rolle – durch Fortschreibung oder Vereinigung?
Auf diese und andere Fragen erhält der Leser in den einführenden Seiten keine Antwort, da diese Horizonte der Forschung gar nicht angerissen werden. Der eindeutige Schwerpunkt liegt auf dem biblischen Text, dem sich der Vf. in gekonnter Weise nähert. Dazu legt er eine englische Übersetzung vor (73–125), die nicht gleich erläutert bzw. legitimiert wird. Die Anmerkungen zum Text und den unterschiedlichen Leseweisen der Versionen finden sich danach bei den Einzelauslegungen. Lesefreundlicher wäre es gewesen, die Übersetzung vor die jeweiligen Kapitel der Auslegung zu stellen und textkritische Anmerkungen der Übersetzung gleich am Seitenende mitzugeben. Es finden sich aber auch sonst keine Anmerkungen, und die Zitate anderer Autoren werden immer in den Fließtext integriert. Der Rezensent würde der Arbeit und ihrem Vf. Unrecht tun, wenn er bezüglich der Einzelexegesen mal dieses, mal jenes kritisieren oder loben würde.
Der Rezensent und Kollege, der diese Kapitel für Herders Theologischen Kommentar zum Alten Testament (HThKAT) zu bearbeiten hat, darf sagen, dass dieser Band zu den Werken gehört, die einen festen Platz auf seinem Schreibtisch gefunden haben. Wer einen flüssig geschriebenen, dem Lesedrama dieser Kapitel nachspürenden Kommentar sucht, wird bei diesem Opus nicht fündig, wer aber seine eigenen oder die Auslegungen anderer um wichtige und oftmals vernachlässigte Aspekte ergänzen will, wird hier auf fast jeder Seite kleinere oder größere Entdeckungen machen!