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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

794–797

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dever, William G.

Titel/Untertitel:

The Lives of Ordinary People in Ancient Israel. Where Archaeology and the Bible Intersect.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. X, 436 S. m. Abb. Kart. US$ 25,00. ISBN 978-0-8028-6701-8.

Rezensent:

Rainer Kessler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Albertz, Rainer, and Rüdiger Schmitt: Family and Household Religion in Ancient Israel and the Levant. Winona Lake: Eisenbrauns 2012. XXI, 696 S. m. Abb. u. Tab. Lw. US$ 89,50. ISBN 978-1-57506-232-7.


Vorzustellen sind zwei gewichtige Bände, die sich mit der materiellen Kultur des alten Israel in der Königszeit befassen. Der eine Autor – Dever – geht in die Breite und versucht, das Leben im Israel und Juda des 8. Jh.s umfassend zu rekonstruieren, die beiden anderen – Albertz und Schmitt – greifen einen einzigen Aspekt, den der Familienreligion, heraus und verfolgen ihn in die Tiefe. Insofern stehen die Werke nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich.
William Dever, der emeritierte amerikanische Archäologe, der sein Leben lang in Israel gegraben hat, versteht seine Darstellung als »the culmination of a life’s work« (X). In zwei einleitenden Kapiteln klärt er methodische Fragen. Im ersten (On History and His-tory Writing) erhebt er den Anspruch, dass Geschichtsschreibung nicht nur antiquarisch zusammenstellt, sondern nach Sinnlinien sucht. Als Quellen liegen (die biblischen) Texte und archäologische Funde zugrunde, wobei die Archäologie die Primärdaten liefert. Es wäre aber eine Form von Reduktionismus, würde man die biblischen Texte ignorieren. Vielmehr sind sie bezüglich ihrer Konvergenz auf die archäologischen Daten hin zu untersuchen. Damit grenzt D. sich nicht nur von den Fundamentalisten ab – »for whom the Bible must be literally true« –, sondern auch von den sog. Revisionisten – »who hold that there is no real history in the texts of the Hebrew Bible« (4). Der leidenschaftlichen Abrechnung mit ihnen widmet D. das gesamte zweite Kapitel, wobei die Linie der Verwürfe vom historischen Minimalismus bzw. Revisionismus über den Postmodernismus und Dekonstruktivismus bis zum Skeptizismus und Nihilismus führt.
Die folgenden acht Kapitel sind weniger polemisch, dafür umso instruktiver. Kapitel III beschreibt die natürliche Umgebung. Dieses wie alle folgenden Kapitel sind so aufgebaut, dass zunächst die geographischen – und in den folgenden Kapiteln die archäologischen – Daten präsentiert und diese in einem zweiten Schritt mit den biblischen Texten in Beziehung gesetzt werden. Dabei greift D. auf eine wichtige Einsicht der neueren Geographie und Archäologie zurück, dass nämlich die natürliche Umgebung sowohl aus den natürlichen Gegebenheiten als auch aus der menschlichen Wahrnehmung dieser Gegebenheiten besteht. Ebendiese Wahrnehmung aber reflektieren die biblischen Texte, weshalb sie notwendiger Gegenstand der Untersuchung sind.
Kapitel IV bis VI widmen sich den Siedlungsstrukturen. D. stellt eine Hierarchie von vier Ebenen auf (Hauptstädte und regionale Zentren, größere Städte [cities], kleinere Städte [towns] und Dörfer), daneben rangieren die Festungen als eigene Größe. Nahezu alle Lagen werden kurz vorgestellt, mit illustrativen Plänen, Fotos und Rekonstruktionen. Kapitel V widmet sich dann den Cities and Towns, Kapitel VI den Towns, Villages, and Everyday Life. Hier erhält man einen umfassenden Einblick in die materielle Kultur des Alltagslebens. Wenn Kapitel VII anschließend nach den sozio-ökonomischen Strukturen fragt, bewegt es sich wieder vom einfachen Volk hin zu den führenden Schichten und untersucht Pa-lastkultur, Bürokratie, Handel und Wirtschaft und die Frage der Literalität. Das VIII. Kapitel umfasst 44 Seiten. Das ist deshalb er­wähnenswert, weil es Religion and Cult behandelt. Was D. im breiten Überblick darstellt, vertiefen Albertz und Schmitt in nur einem Aspekt, dem der Familienreligion, auf rund 700 Seiten. Ein Blick auf Israels Nachbarn und auf das Ende Israels im 8. Jh. (Kapitel X: Warfare and the End) schließen D.s Buch ab.
D. gibt einen gut informierten und breit angelegten Einblick in eine kurze, aber äußerst wichtige Epoche der Geschichte des alten Israel. Die Fülle des Materials, vor allem auch der Illustrationen, er­möglicht den Gebrauch als Handbuch und Nachschlagewerk. Wahrscheinlich wird man nicht in allem den Deutungen D.s folgen. Dass zum Beispiel der ‛am-hā’āræs – »the ›people of the land‹« – in der Hebräischen Bibel »the ordinary folk« (244) und nicht vielmehr eine Art Landadel sind, wird man bezweifeln dürfen. Die nicht hinterfragte Deutung der Samaria-Ostraka als Belege für Steuerzah-lungen (53.208 f.238) zeigt, dass D. abweichende Positionen gelegentlich nicht zur Kenntnis nimmt, in diesem Fall die gewichtige Auffassung, bei den Ostraka handle es sich um Quittungen für Lieferungen an Angehörige der Oberschicht, die (vorübergehend) am Hof in Samaria residieren (H. M. Niemann). Das hängt auch damit zusammen, dass D. ausschließlich englische (und nur in Auswahl ins Englische übersetzte) Literatur benutzt. Der einzige – unvermeidliche – deutsche Titel ist Gustav Dalmans »Arbeit und Sitte in Palästina«. Trotz abweichender Auffassungen im Einzelnen kann man aber künftig an diesem Buch nicht vorübergehen.
Das monumentale Werk der beiden Münsteraner Alttestamentler Albertz und Schmitt geht, kommt man von Dever her, an einem einzigen Punkt in die Tiefe. Es kann als Enzyklopädie zum Thema gelesen werden. Die Veröffentlichung auf Englisch wird die Um­setzung dieses Anspruchs nur befördern. In zwei einleitenden Kapiteln steckt A. den inhaltlichen und methodischen Rahmen ab. Ein Durchgang durch neuere Ansätze – religionsgeschichtlich, genderorientiert und archäologisch – führt ihn zu dem Schluss: »The thesis that family and household religion constituted a spe-cific segment of ancient Israelite religion can now be considered to be firmly established«. Was jetzt fehle, sei »a single, comprehen-sive description of Israelite family and household religion in all of its aspects and dimensions and comparing it with the family religions of the broader Syro-Levantine environment. This is the task of the present volume« (15). In der Frage, wieviel Kontinuität oder Diskontinuität es zwischen der Familienreligion und den Religionsformen auf regionaler oder gesamtstaatlicher Ebene gebe, plädiert A. eindeutig für einen hohen Grad an Eigenständigkeit der familiären Religionsform.
Darin stimmt er übrigens ganz mit Dever überein, der summiert: »Perhaps 99 percent of the population in ancient Israel and Judah […] had never met a priest of the royal establishment, nor even visited the Temple in the capital (perhaps not even a regional administrative center). Their entire life revolved around the family, the village, the clan, the world of nature, and their rhythms of the changing seasons […].« (292 f.)
Der zeitliche Rahmen der Studie von A. und Sch. beschränkt sich auf die Zeit vom 11.–7. Jh. v. Chr. und ist darin etwas weiter als der von D. Eine Untersuchung der biblischen Terminologie und der archäologischen Befunde lässt A. für den zusammengesetzten Be­griff »family (and) household religion« plädieren, der sowohl den sozialen wie den lokalen Aspekt des Phänomens umfasst. Religionsgeschichtlich weist A. die Konzepte des Synkretismus, der Daseinshaltungen, der Volksfrömmigkeit – so aber Dever: »folk-religion« (251) – und der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Religion zurück und spricht sich für das des internen religiösen Pluralismus aus.
Die folgenden Kapitel liefern dann die umfängliche materiale Untersuchung der Befunde. Ohne dass man jede Einzelinterpretation teilen muss, sind sie wahre Schatzkammern, die das Material enzyklopädisch erfassen. In Kapitel 3 untersucht Sch. die Elemente des Hauskults. Zunächst werden die Kultobjekte systematisch behandelt nach den Kategorien A (ausschließlich kultische Funktion) und B (kultische Funktion im Zusammenhang mit Objekten der Kategorie A). Dann geht Sch. auf fast 100 Seiten Funde von Kultobjekten aus der judäischen und israelitischen Eisenzeit im Einzelnen durch. Ein Vergleich mit moabitischen, ammonitischen, philistäischen, phönizischen und syrischen Funden schließt das Kapi tel ab. Das anschließende Kapitel stellt eine Typologie von acht Formen von Kultstätten vor: Hauskult, arbeitsbezogener Kult, Nachbarschaftskultstätten, Stätten für den Totenkult, örtliche Heiligtümer, Tempelkapellen, regionale Heiligtümer und Tempel für den offiziellen Kult.
Das längste Kapitel des Buches ist das von A. zu den Personennamen. Jeder Bezug zur offiziellen Religion Israels fehle in diesen. In ihren sechs Kategorien, den Danknamen, Bekenntnisnamen, Lobnamen, gleichsetzenden Namen (vom Typ Joab = Jhwh ist Va­ter), Geburtsnamen und säkularen Namen gehe es vielmehr um Lebensfragen der Familien, vor allem die prekäre Situation von Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt und frühkindlichem Alter. Wenn die Jhwh-haltigen Namen dominieren, ist darin doch kein Akt des Bekenntnisses zu sehen. Vielmehr ist Funktion der Nennung göttlicher Namen »simply to represent the essence of divinity«. Jhwh hat bis ins 7. Jh. nichts von den Zügen an sich, die er als Nationalgott Israels hat, sondern »was generically assimilated into the beliefs typical of family religions« (348). Zum Abschluss des Kapitels untersucht Sch. noch den ikonographischen Befund auf Namenssiegeln.
Auch die nächsten beiden Kapitel stammen von Sch. Sie untersuchen die Rituale in den Familien, wie sie im Rahmen des Lebenszyklus, des Festkalenders und bei gelegentlichen Anlässen vorgenommen wurden. Ein eigenes Kapitel ist den Ritualen um Tod und Trauer gewidmet. – Das Summary beider Autoren fasst die einzelnen Kapitel kurz zusammen. Es wird gefolgt von zahlreichen Anhängen, die das Material tabellarisch aufbereiten, sowie den üblichen Registern. Sie erschließen das Buch als ein regelrechtes Arbeits- und Nachschlagewerk, das seine These von der weitestgehenden Eigenständigkeit der Familienreligion in der umfangreichen Rekonstruktion dieses Religionstyps belegt.