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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

789–790

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ehrmann, Elieser L.

Titel/Untertitel:

Von Trauer zur Freude. Leitfäden und Texte zu den jüdischen Festen. Neu hrsg. v. P. von der Osten-Sacken u. Ch. Z. Rozwaski. Unter Mitarbeit v. A. Bedenbender u. M. Witt. M. e. Geleitwort v. D. Krochmalnik.

Verlag:

Berlin: Institut Kirche und Judentum 2011. IX, 614 S. = Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum, 30. Geb. EUR 29,80. ISBN 978-3-923095-80-3.

Rezensent:

Matthias Morgenstern

Die Arbeitspläne und Quellenhefte zu den jüdischen Festen, die in den Jahren 1936–1938 im Auftrag der »Reichsvertretung der Juden in Deutschland« für den Unterricht an jüdischen Schulen veröffentlicht wurden, sind in mehrfacher Hinsicht ein faszinierendes Dokument: Zum einen handelt es sich um ein bewegendes historisches Zeugnis der Bemühungen des jüdischen Pädagogen Elieser Ehrmann in den Jahren nach 1933, als etwa 60.000 schulpflichtige jüdische Kinder an den allgemeinen »deutschen« Schulen immer mehr ausgegrenzt und gedemütigt wurden und in entweder be­reits vorhandenen oder neu entstehenden jüdischen Schulen un­tergebracht werden mussten. Zum anderen dokumentiert die Sammlung von Arbeitsplänen und Quellenheften die hochinteressante Umsetzung eines religionspädagogischen Programms, das sich – auch dies ist bemerkenswert – in gleicher Weise auf den neoorthodoxen Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) wie auf den eher reformjüdisch geprägten Franz Rosenzweig (1886–1929) berufen kann: »Des Juden Katechismus’ ist sein Kalender« (14).
In seinem Geleitwort weist der Heidelberger jüdische Religionspädagoge Daniel Krochmalnik auf die Übereinstimmung dieses Programms mit den gegenwärtig im Bundesland Baden-Württemberg geltenden »Bildungsstandards für Jüdische Religionslehre« hin und nennt Gründe für die Annahme, dass die Arbeit E.s auch nach nahezu 80 Jahren heute noch »unterrichtstauglich« sei (ebd.). Schließlich geben die von E. angestellten Überlegungen zur Vermittlung des Lernstoffs und die Zusammenstellung des Materials einen Einblick in Wandlungen im Verständnis der jeweiligen Feste, die – auch abgesehen von jeder pädagogischen Verwertbarkeit – religionshistorisches Interesse verdienen. Als Beispiele seien hier die Ausführungen zur »Omerzeit und Schavuot« (191–276) und zum Chanukkafest (429–520) genannt.
In beiden Fällen lässt sich verständlicherweise einerseits die verstärkte Bedeutung der hebräischen Sprache (mit Lesetexten, die, trotz durchgehender Punktierung, für den hebräischen Schulunterricht ein erstaunlich hohes Niveau voraussetzen), andererseits die zunehmende Orientierung am (stets »Palästina« genannten) Heiligen Land konstatieren. Palästinakundliche Informationen (zur altisraelitischen Landwirtschaft, 259–261) stehen hier ne­ben dem Bauernkalender von Geser (262), Texten zur »Landwirtschaft im heutigen Palästina« (263) und modernen Berichten über das Lag Ba-Omerfest in Meron (von David Frischmann: 239–240) und über eine Festlichkeit zur Darbringung der Erstlinge in der Stadt Haifa (256–257). Aber auch Texte aus dem Bereich des rabbinischen und chassidischen Schrifttums werden geboten. Der Arbeitsplan zum Chanukkafest bietet für den Lehrer eine ausführliche Einführung, die sich an damals neuerer Literatur (Josef Klausner, Elias Bickermann) orientiert, aber auch (mit der einschränkenden Bemerkung: »nicht ohne Vorurteile geschrieben«) auf christliche Autoren (u. a. Rudolf Kittel und Adolf Schlatter) verweist (441–442). Interessant sind die Überlegungen zur Frage, warum die Makkabäerbücher der griechischen Bibel nicht in den jüdischen Kanon aufgenommen wurden, der Talmud die historischen Ereignisse auf ein Ölwunder reduziert und Chanukka in der Mischna ganz unerwähnt blieb: Hat, so der orthodoxe Preßburger Rabbiner Mose Schreiber (1763–1839), der aus davidischem Geschlecht stammende Redaktor der Mischna, Juda Ha-Nassi, dieses Wunder übergangen, »da es von Makkabäern vollbracht wurde, die die Herrschaft ergriffen, obwohl sie nicht aus dem Geschlecht Davids waren« (444.498)? Was die antike »Neuorganisierung des jüdischen Gemeinwesens nach dem Verlust des Staates« anbelangt, »als staatliche Momente völlig zurücktraten«, so schien es »nicht ratsam, das Andenken an die siegreichen Aufstände der Makkabäer, als Erlösungsversuche von Menschen, wachzuhalten«, da »das jüdische Volk nicht in im­mer neuen Aufständen gegen die Römer gänzlich verbluten« sollte (444). Angesichts der tödlichen Bedrohung durch Nazideutschland und im Zeitalter des Zionismus bahnt sich hier eine Neuorientierung an. Dementsprechend beginnt das Quellenheft mit Auszügen aus den deuterokanonischen Makkabäerbüchern, denen spätere Midraschtexte, Berichte von Chanukkafeiern in Osteuropa und im Jemen sowie Reportagen von einem Fackelzug von Kindern in Tel Aviv und Expeditionen in die Heimat der Makkabäer (nach Mod i´in) zur Seite treten. Die sich hier abzeichnende »Umwertung des Festes« wird in einem Text Martin Bubers (492–493) ausdrück­lich reflektiert. Von besonderem Interesse sind die Chanukkagedichte Chajim Nachman Bialiks, die entweder im hebräischen Original (die deutsche Übersetzung findet sich im Anschluss bzw. im Anhang des Bandes) oder gleich in deutscher Übertragung geboten werden (»Die sich dem Volke weihen«, 497).
Viele der hebräischen Texte dieses Bandes haben eine Qualität, die sie auch für den akademischen Unterricht im Neuhebräischen (zumindest für Anfänger) geeignet erscheinen lassen. Der Sammlung vorangestellt ist ein aus dem Englischen übersetzter Aufsatz E.s über »Jüdische Erziehung in Deutschland« (39–58); es folgen Vorbemerkungen des Verfassers zu den Arbeitsplänen für die Festtage (55–58). Die editorischen Prinzipien der Neuausgabe und Neu-Zusammenstellung (im Hinblick auf notwendige redaktionelle Angleichungen, Eingriffe und Ergänzungen) werden von Peter von der Osten-Sacken im Einleitungsteil sorgfältig und einleuchtend begründet. Der Anhang bietet Übertragungen hebräischer Texte ins Deutsche, die bei E. unübersetzt geblieben waren, ein Literaturverzeichnis, Stellenregister (Bibel und rabbinische Literatur), ein Autoren- und Personenregister sowie ein Glossar.
Den Herausgebern ist für ihre Mühe zu danken, und dem auch äußerlich ansprechend gestalteten Band ist vielfältige Verbreitung zu wünschen.