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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

398–400

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Tödt, Heinz Eduard

Titel/Untertitel:

Theologische Perspektiven nach Dietrich Bonhoeffer. Hrsg. von Ernst-Albert Scharffenorth.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1993. 286 S. 8o. Kart. DM 78,­. ISBN 3-579-02017-X.

Rezensent:

Ernst Feil

In verschiedener Hinsicht ist bemerkenswert, daß die wichtigsten Arbeiten von Heinz Eduard Tödt zu Dietrich Bonhoeffer nun in einem Band erschienen sind. Bemerkenswert schon deswegen, weil er der einzige Ordinarius seiner Generation ist, der sich keineswegs von Anfang an, dann aber entschieden Bonhoeffer zugewandt und im Gespräch mit ihm ethische Perspektiven entwickelt hat. Erstmalig ist er 1974 und dann 1976 in Publikationen zu Bonhoeffer hervorgetreten, in letzterer mit der grundsätzlichen Frage, ob man zwischen Barth und Bonhoeffer wählen muß. Seit Mitte der 80er Jahre hat er dann das große Forschungsprogramm über den Bonhoeffer-Dohnanyi-Kreis in die Wege geleitet, das inzwischen zu einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen geführt hat. Damit steht Tödt in deutlichem Kontrast zu dem sich vielleicht eher noch verschärfenden Trend, Bonhoeffer abschätzig zu beurteilen und dazu zu raten, sich doch besseren Gewährsleuten zuzuwenden.

Zum anderen aber verdienen die hier gesammelten Beiträge Beachtung in theologischer wie zeitgeschichtlicher Hinsicht. Sie würdigen Bonhoeffer, was Tödt in den Verdacht gebracht hat, Bonhoeffer zu kanonisieren, sie desavouieren Verdikte wie dasjenige, es handle sich beim Bonhoeffer-Dohnanyi-Kreis um eine national-konservative Verschwörergruppe, sie führen weiter zu einer Präzisierung des Judenproblems, das Tödt nicht von ungefähr auch persönlich sehr betroffen gemacht hat; denn schließlich war er als deutscher Offizier an der Ostfront ohne sein Wissen eben doch mitbeteiligt nicht nur am Vormarsch, sondern doch auch während des Rückzugs am Aufhalten sowjetischer Angriffe, die einer um so größeren Zahl von Juden den Tod brachten.

Drei Schwerpunkte enthält der Band: (1) Aufsätze zum Vermächtnis Bonhoeffers, (2) zur Ethik und hier bes. zur Juden- und Friedensfrage 1932/33, zur Gewissensproblematik 1942/43 und zum Widerstandsproblem und schließlich (3) zum Umgang mit Schuld und Verantwortung und hier wiederum zum Judenverbrechen 1938, zur Frage nach der Schuld nach 1945, zu Euthanasie und Menschenversuchen und zur verdrängten Verantwortung.

In den systematisch-theologischen Arbeiten des ersten Teils hebt Tödt speziell zwei Aspekte heraus, nämlich einmal den von Sinn und Verheißung und zum anderen den des Glaubens in einer religionslosen Welt, verbunden mit der Frage nach dem Ende oder der Wiederkehr der Religion.

In den ethischen Abhandlungen des zweiten Teils zeigt Tödt das spezielle Format Bonhoeffers auf, der seine frühen noch durchaus neulutherischen und uns schwer verständlichen und verträglichen Aussagen über den Krieg (82) außerordentlich rasch überwunden hat zugunsten eines seltenen Plädoyers für eine pragmatische, genauer: konkrete Forderung nach Frieden sowie eines sehr frühen Eintretens für die Juden. Spricht Tödt bereits hier von einem "christlichen Antijudaismus", dem Bonhoeffer sich keineswegs anschließen konnte (78f, 89, vgl. 104 f.), so hat Tödt später die m.E. außerordentlich bedenkenswerte und folgenreiche Präzisierung anhand der Dreiteilung in "Antisemitismus", "Antijudaismus" und "christliche Judenfeindschaft" vorgenommen (230-233, vgl. schon 225). Hiermit vermag er ebensosehr Bonhoeffers Position zu verdeutlichen wie auch die verschiedenen Traditionen genauer zu benennen, die dann durch das NS-Regime eine unheilvolle Liaison bildeten.

Der zweite wesentliche Aspekt dieser Studien liegt darin, daß Tödt die pauschale Klassifikation ad absurdum führt, die Gruppe des Widerstands, die das Attentat plante, sei ein "national-konservativer" Widerstand gewesen (so 170 u.ö.). Wer inskünftig diese Gruppe und damit auch Bonhoeffer antidemokratischer wie auch antiliberaler und schließlich gegen das Individuum gerichteter Tendenzen bezichtigt, sollte wenigstens diese Ausführungen Tödts zur Kenntnis genommen haben. Es scheint aber, daß die Vorurteile so eingefleischt sind, daß hier Besserung nicht zu erhoffen ist. Immerhin erweist Tödt die Mitglieder des Bonhoeffer-Dohnanyi-Kreises als "entschiedene Republikaner", und wenn Gerhard Leibholz die Demokratie kritisiert, so "in konstruktiver Absicht" (174 f.).

Am meisten ist Tödt bei den Aufsätzen des dritten Teils mit ihrer Frage nach der Schuld persönlich involviert. Nicht nur, daß die Juristen nach ’45 sich nicht genügend ihrer Schuld bewußt waren, daß auch das Thema Euthanasie nach 1945 im Hinblick auf Viktor von Weizsäcker nicht adäquat bedacht worden ist, sondern daß Tödt selbst unauflöslich in diesen Schuldzusammenhang verflochten war, stellt das besondere Gewicht dieser Überlegungen dar. Denn wenn Tödt seinen Beitrag dazu geleistet hat, den Zusammenbruch der Ostfront hinauszuzögern (vgl. 19, 256, 280), so wird ein Phänomen ansichtig, das weder einfach mit persönlicher Schuld noch mit Tragik klassifiziert werden kann. Uns Nachgeborene mahnen diese Überlegungen, sehr vorsichtig damit zu sein, über die Akteure bis 1945 den Stab zu brechen, auch wenn wir dazu neigen, daß Positionen wie die von Paul Althaus, Emanuel Hirsch, Friedrich Gogarten oder Werner Elert (vgl. 83, 85, 117, 158, 255, 279 f., 282) bereits damals nicht hätten eingenommen werden dürfen, wie Tödt zu Recht konstatiert. Unverständlich aber bleibt, daß sie alle nachträglich geschwiegen haben. Auf diesem Hintergrund gewinnt das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 seine volle Bedeutung, "daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben" (vgl. 246; mich befremdet freilich immer wieder die Qualifizierung "fröhlicher"!). Bonhoeffer hätte sich in solcher Weise nicht anklagen müssen. Daß er gleichwohl ­ mehr für uns als für sich ­ ein Schuldbekenntnis formuliert hat, das ein wichtiges Stück seiner Ethikfragmente darstellt, hat ihn wohl auch für Heinz Eduard Tödt zu einem wegweisenden Zeugen christlichen Handelns in der Welt werden lassen.

Zur Edition ist nur zu sagen, daß nicht alle Belege auf die "Dietrich Bonhoeffer-Werke" umgestellt worden sind, bei denen dies schon möglich war. Eigens notieren möchte ich, daß bedauerlicherweise eine der wichtigen Aussagen aus der "Ethik" Bonhoeffers, nämlich das Bekenntnis, schuldig geworden zu sein "am Leben der Schwächsten und Wehrlosesten Brüder Jesu Christi" (235), an der zweiten Stelle unrichtig wiedergegeben worden ist (248); die originale Schreibweise zeigt, daß Bonhoeffer "Brüder Jesu Christi" nachträglich hinzugefügt und damit eindeutig gemacht hat, daß er die Juden meint.