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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

753–755

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Söderblom, Nathan

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Werke. Bd. 2: Christliche Frömmigkeit und Konfessionen. Aus d. Schwedischen u. Französischen übers. u. hrsg. v. D. Lange.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 320 S. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-525-57027-2.

Rezensent:

Heinrich Holze

Der zweite Band der von Dietz Lange herausgegebenen Söderblom-Werkauswahl enthält Texte zu Kirche und Ökumene, deren Auswahl durch ihre Entstehung im Umfeld des Ersten Weltkriegs bestimmt ist. Die Gliederung ist chronologisch und nach thematischen Gesichtspunkten geordnet.
Die in Kapitel I (27–126) versammelten Texte bieten ekklesiologische Reflexionen. In dem Vortrag »Der Einzelne und die Kirche«, der auf einer Tagung der volksmissionarischen Jungkirchenbewegung gehalten wurde, entfaltet S. auf dem Hintergrund nationalistischer Stimmen, die nach der Auflösung der Union mit Norwegen in Schweden laut wurden, Gedanken zur Aufgabe der Kirche. Anknüpfend an Kierkegaard unterstreicht er den Primat des persönlichen Glaubens und die vorläufige Institutionalität der Kirche. Zwar sei die schwedische Staatskirche »der uns von Gott angewiesene Arbeitsraum« (51), doch werde sie nicht durch Zeit- und Ländergrenzen eingeschränkt: »Das Heil findet sich auch außerhalb ihrer und in anderen Gemeinschaften.« (54) In dem Aufsatz »Leib und Seele der schwedischen Kirche«, geschrieben am Vorabend des Ersten Weltkrieges, entwickelt S. die Grundlinien seiner ökume­nischen Theorie. Der Text ist durch die Gespräche mit der anglikanischen Kirche veranlasst. S. behandelt die Merkmale der schwe­dischen Kirche, besonders des historischen Bischofsamtes, das die Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat gewährleiste. Zu­gleich betont er, dass die in Konfessionen differenzierte sichtbare Kirche nicht zu einer einheitlichen, weltumspannenden Or­ga­ni­sation zusammengefasst, wohl aber als corpus evangelicorum (126) verstanden werden dürfe, in dem die schwedische Kirche mit ihrer sowohl reformatorischen als auch bischöflich geprägten Tradition eine Brücke zwischen den Konfessionen sein könne.
Kapitel II (127–137) enthält eine Predigt, die S. wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Uppsala gehalten hat. Darin antwortet er dem »Aufruf deutscher Kirchenmänner und Professoren« zur Unterstützung des Krieges des deutschen Kaiserreichs. S. hatte die Stimmungslage in Deutschland während seiner Gastprofessur in Leipzig kennengelernt und war kurz vor Kriegsausbruch nach Schweden zu­rückgekehrt. In der Predigt »Die beiden Götter« verurteilt er den »Gott des Nationalismus« (131), der dem Hass der Völker und den Kriegshandlungen zu­grunde liege, und verweist auf den Gott Jesu Christi, dessen Gebot der Feindesliebe »das Gefühl der Gemeinsamkeit über die Grenzen des Nationalismus hinweg« (134) wecke. Damit stellt er sich, wie Dietz Lange hervorhebt, »in die Tradition alttestamentlich-prophetischer Ge­richtspredigt« (16).
Kapitel III (139–163) enthält einen wenige Monate nach Ende des Krieges im Frühjahr 1919 gehaltenen Vortrag S.s. Darin reflektiert der schwedische Erzbischof unter dem Titel »Gehen wir der Er­-neue­rung der Religion entgegen?« die Herausforderung, die die neue Situation für die Rolle des Christentums in Europa bedeutet. S. formuliert eine Theologie des Kreuzes, mit der er sich vom Kulturprotestantismus abgrenzt und, geprägt durch die Erfahrungen der Kriegsjahre, am Geschehen des Karfreitag orientiert: »Mitten in diesem unfertigen und schmerzenden Gewirr begegnet uns eine göttliche Liebe, die uns einen höheren Zusammenhang und einen tieferen Sinn ahnen lässt als den, welchen wir zu erkennen und uns klar zu machen vermögen.« (159)
Kapitel IV (165–208) bietet in einer neuen Übersetzung den erstmals 1919 erschienenen Aufsatz »Evangelische Katholizität«, in dem S. seine Gedanken zur Einheit der Kirche entwickelt. Überlegungen zur Stellung von Luthers Reformation in der Kirchen- und Konfessionsgeschichte bilden den Ausgangspunkt. Protestantis­mus, Katholizismus und Orthodoxie repräsentieren auf unterschiedliche Weise jeweils die ganze Christenheit und dokumentieren, dass nicht die institutionelle Uniformität, sondern die Vielfalt das Leben der christlichen Kirche prägt. Sichtbare Einheit der Kirchen ist für S. daher nur in einer föderativen Struktur denkbar, in der alle Kirchen gleichberechtigt vertreten sind. Das Gebot der Stunde sei darum »ein ökumenischer Kirchenrat, der die ganze Christenheit repräsentiert und so eingerichtet ist, dass er im Na­men der Christenheit zu sprechen vermag, wegweisend, warnend, stärkend und betend im Blick auf die gemeinsamen religiösen, sittlichen, sozialen Angelegenheiten der Menschheit.« (203)
Kapitel V (209–304) versammelt drei Vorlesungen, die S. im Mai 1923 in München gehalten hat. In diesen, hier erstmals veröffentlichten Texten entfaltet er eine »Religionsgeschichtliche Betrachtung der christlichen Frömmigkeitstypen« – also keine dogma­tischen Erwägungen zu konfessionellen Differenzen, sondern phä­nomenologische Untersuchungen zu ihren religiösen Grundeinstellungen. In der ersten Vorlesung »Verbesserung, Übung, Of­fenbarung« betont S., dass die Erneuerung der Kirche nicht durch menschliche Bemühungen angestoßen werde, sondern durch göttliche Offenbarung, die sich auch in der Gegenwart fortsetze und in der persönlichen Religion Ausdruck finde. In der zweiten Vorlesung »Gewissheit« beschreibt S. anknüpfend an Ausführungen seines Lu­therbuches das Wesen der christlichen Glaubensgewissheit als Ausdruck der aus der göttlichen Gnade erwachsenden christlichen Freiheit. In der dritten Vorlesung »Über die Einheit« der Christenheit betont S. das Recht kirchlicher Trennungen, wenn diese um der Wahrheit willen geschehen. Die religiöse Einheit liege nach protes­tantischer Überzeugung allein im Glauben an die Offenbarung in Christus, nicht aber in der Aufrichtung einer institutionellen kirchlichen Einheit. Freilich sei es auf dem Weg der Liebe möglich, über die bestehenden Gegensätze hinweg zu einer praktischen Zusam­menarbeit der Konfessionen zu kommen.
Kapitel VI (305–313) beschließt den Band mit einer »Predigt zur Er­öffnung der VII. Vollversammlung des Völkerbundes« (September 1926 in Genf). Darin wendet er sich gegen eine Verstrickung der Kirchen in den Nationalismus, fordert sie zur Umkehr auf und entwickelt anhand von Mk 9,49 f. Gedanken zum Zusammenhang von kirchlicher Einheit und weltlichem Frieden. In Abgrenzung von einem konservativ geprägten Luthertum der Zwei-Reiche-Lehre und Bezug nehmend auf Calvins politische Ethik fordert S. Respekt vor der internationalen Rechtsordnung, die er als »eine fortgeführte Schöpfung der göttlichen Gerechtigkeit« (311) bezeichnet.
Dietz Lange hat der vorliegenden Quellenauswahl eine instruktive Einleitung vorangestellt (9–26), in den Anmerkungen werden die Texte editorisch kommentiert, die Zitate belegt und die Aussagen kontextualisiert. Auf diese Weise gewinnen die Schriften S.s an Tiefenschärfe und Profil, sie können aus der Entstehungszeit heraus gelesen und in ihrer darüber hinausreichenden Bedeutung er­schlossen werden. Ein Personenregister (315–320), das gerne auch durch ein Sachregister hätte ergänzt werden können, ermöglicht es, die Texte auf durchgängige, in Personen greifbare Linien zu be­fragen. Auf diese Weise lädt der vorliegende Band zur Entdeckung des großen schwedischen Theologen und Bischofs ein und weckt Er­wartungen auf die beiden noch ausstehenden Bände »Christi Kreuz heute« (Bd. 3) und »Der ›Prophet‹ Martin Luther« (Bd. 4).