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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

751–753

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Napiórkowski, Andrzej

Titel/Untertitel:

Gott-menschliche Gemeinschaft. Katholische integrale Ekklesiologie.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2011. 456 S. Geb. EUR 75,80. ISBN 978-3-631-61175-3.

Rezensent:

Martin Hailer

Andrzej Napiórkowski, der dem Paulinerorden angehört, ist Professor für Ekklesiologie an der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. in Krakau. Seine Darlegungen haben ein doppeltes Ziel: Einmal soll gezeigt werden, dass die Ekklesiologie nicht nur in der Fundamentaltheologie zu verorten ist, sondern gleichermaßen in Apologetik und Dogmatik (11.36–41), zum anderen wird dafür ar­gumentiert, dass die Kirche nicht auf einen Gründungsakt Christi zurückgeht, sondern ab dem Zeitpunkt des Sündenfalls als Gottes Idee zu existieren beginnt (12). Das erste Argumentationsziel, ge­nannt ›integrale Ekklesiologie‹, kritisiert die vom Vf. ausgemachte katholische Gepflogenheit, die Ekklesiologie schwerpunktmäßig im fundamentaltheologischen Dreischritt »demonstratio religiosa– christiana – catholica« zu verhandeln, als unzureichend, das zweite zielt auf eine heilsgeschichtliche Universalisierung der Ek­klesiologie.
Kapitel 1 und 2 (25–61) haben grundlegenden Charakter, die Ka­pitel 3–6 (63–221) bieten eine biblisch-theologische und kirchengeschichtliche Rekonstruktion. Das ausführlichste Kapitel 7 (223–433) ist mit »Systematische Ekklesiologie« betitelt. Aus der Grundlegung sind vor allem die Ausführungen zur Kirche als Subjekt und Objekt des Glaubens für das Gesamtunternehmen charakteris­tisch: Zum einen ist die Kirche Glaubenssubjekt, so dass ein bloßer Individualismus von »ich (persönlich) glaube« ausgeschlossen ist, zum anderen ist die Kirche im Apostolikum als Gegenstand des Glaubens aufgerufen, was als drittes Moment den Glaubensgehorsam nach sich zieht: »Ich glaube daran, was die Kirche zum Glauben vorlegt.« (59) An dieser und an anderen Stellen (25.34 u. ö.) zeigt sich ein Satzwahrheitsverständnis des Glaubens im Sinne des depositum fidei.
Der biblisch-theologische und kirchengeschichtliche Durchgang dient dem Aufweis, dass es die Kirche ab dem Zeitpunkt des Sündenfalls gab. Weil die Sünde des Urelternpaars das Auseinandergehen von Gott und Mensch zur unmittelbaren Folge hatte, setzte Gott die Kirche als Instrument der Wiedererlangung dieser Einheit ein. Das gilt von den Anfängen über die Behütung der Erzeltern und Israels bis hin zur apostolischen Kirche und ihrer gegenwärtigen Gestalt.
Interessant ist hier vor allem, wie eine so angelegte Ekklesiologie in der Israel-Frage entscheidet. Der Vf. sagt zum einen, dass Israel auserwähltes Bundesvolk ist und bleibt (63), zum anderen betont er aber die Vorläuferfunktion Israels, etwa mit der Bemerkung: »Der Tempel von Jerusalem wurde zu einer geistig-materialen Vorankündigung der Ekklesia.« (73) Den Trennungsprozess zwischen Synagoge und Kirche deutet er mit der Metapher vom heiligen Rest und mit Hilfe von Lk 14,15–24 par als Akt des Unglaubens derer, die es doch besser hätten wissen können (87 ff.). Welche Rolle die Juden, die Jesus ablehnen, haben, ist angesichts der unbeirrbaren Treue Gottes »recht schwer zu ergründen«, der Ton liegt aber jedenfalls auf der Gründung des neuen geistigen Israel aus gläubigen Juden und Heiden (90). – Hier liegt eine Israeltheologie vor, die die Denkfiguren der Überbietung und der Ersetzung zwar nicht allein verwendet, wohl aber in Gebrauch hat.
Im kirchenhistorischen Durchgang zeigt der Vf. seine Sicht der Reformation: Luther steht für die Verinnerlichung des Glaubens und für die Unsichtbarkeit der wahren Kirche, der gegenüber institutionelle Belange sekundär sind (202 f.). – Auch diese Einschätzung ist mindestens einseitig, weil sie die für Luther zentral wichtige Äußerlichkeit des Wortes außer Acht lässt. Eine ökumenische Würdigung, die den Namen verdient, liegt hier also nicht vor.
Die systematische Ekklesiologie entfaltet den Grundgedanken, dass Kirche »die göttlich-menschliche Wirklichkeit« (232) und als universale Heilsverheißung immer zugleich »ein konkreter historischer Erlösungsort« sei (233). Dies wird anhand einer Fülle von Themen abgeschritten. Es geht dabei vor allem um die grundlegenden Kirchenkategorien wie Communio, Volk Gottes und Heilssakrament, die für den Vf. keine Gegensätze darstellen. Die Themen der katholischen Amtstheologie werden unter Heranziehung längerer lehramtlicher Zitate referiert (269 ff.), wobei der Vf. u. a. für eine umfassende Auslegung des Unfehlbarkeitsanspruchs des pe­trinischen Amtes op­tiert (288–291). Einen eigenen Akzent setzt er bei den Fragen nach den Kennzeichen der Kirche. Den bekannten vier: una, sancta, catholica, apostolica fügt er das fünfte Kennzeichen der marianischen Frömmigkeit an und erklärt, dass das petrinische Prinzip (Amt, Hierarchie, Institution) und das marianische (Barmherzigkeit, Liebe, Charisma) einander gegenüberstehen und sich wechselseitig bedingen (384).
Vor allem in den zitatreichen Passagen zeigt sich eine eigene Konzilshermeneutik. Viele deutschsprachige Veröffentlichungen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des II. Vatikanums betonen dessen Einzigartigkeit und schärfen ein, dass die von ihm angestoßenen Neuerungen nicht verspielt werden dürfen. Der Vf. hingegen liest es als organischen Weiterbau der treuen Lehrentwicklung der Kirche, so heißt es etwa, dass das II. Vaticanum »die Lehren des Ersten Vatikanischen Konzils bestätigte und vervollständigte« (284). Entsprechend wird für ihn das, was der hierzulande gängigen Konzilshermeneutik als Neuerung und Richtungsänderung er­scheint, zu einem weiteren und ergänzenden Bild für die immer schon vorhandene Wahrheit der Kirche.
Erreichen die Ausführungen die beiden eingangs genannten Teilziele? Die Idee der integralen Ekklesiologie hat, sieht man nur einige der deutschsprachigen Standardwerke durch, kaum Neuigkeitswert: Es ist weithin üblich, sie nicht auf entweder Fundamentaltheologie, Apologetik oder ihren Ort innerhalb einer Loci-Dogmatik zu reduzieren. Der Vf. klagt etwas ein, was bereits vorhanden ist. Die Idee, Kirche beginne in dem Augenblick, in dem Gott sich den von ihm entfremdeten Menschen zuwende, ist zwiespältig: Einerseits verweist sie zu Recht auf die Universalität des Heilswillens Gottes, andererseits wird damit tendenziell die Universalität der Kirche begründet. Die Probleme, die sich dabei, wie berichtet, in der Israeltheo­logie ergeben, lassen hier doch zu deutlicher Zurück­haltung raten.
Dieser Band öffnet dem deutschen Leser den Blick in eine theologische Landschaft, die ihm aus Sprachgründen oft verschlossen ist (vgl. aber die von U. Link-Wieczorek hrsg. Bände: Polnische Im­pressionen, Frankfurt a. M. 2000; Häuser ohne Fenster? Frankfurt a. M. 2005; Nicht geeint und nicht getrennt, Frankfurt a. M./ Opole 2006). Die erhebliche Bandbreite katholischer Theoriebildung im internationalen Maßstab wird deutlich, und es dürfte nicht schaden, dies zur Kenntnis zu nehmen, zumal nach dem Ende des Pontifikats des Papstes aus Deutschland.