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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

749–751

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Matuschek, Dominik

Titel/Untertitel:

Konkrete Dogmatik. Die Mariologie Karl Rahners.

Verlag:

Innsbruck u. a.: Tyrolia 2012. 496 S. = Innsbrucker theologische Studien, 87. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-7022-3207-8.

Rezensent:

Michael Plathow

Diese Bonner Dissertation (2011) von Dominik Matuschek legt in umfassender Weise die Mariologie Karl Rahners dar, und zwar in der systematischen Perspektive einer »konkreten Dogmatik«. Für Rahner bedeutet die Mariologie kein gesondertes Einzelthema (124.414.438.460), vielmehr das »Integral« seiner Theologie (15). Maria ist »ganz von Jesus her« innerhalb der Bundesgeschichte Gottes mit seinem Volk zu verstehen, »das seine Erfüllung in der Gemeinschaft der Kirche findet« (418). Die Gnadengeschichte Gottes geschieht in der »konkreten« Frau und Mutter Maria (16.180. 335), aus der Jesus Christus »konkretes Fleisch angenommen hat« (191). Gegenüber abstrakten Wahrheiten lässt sich darum mit Maria in »verständlicher«, »menschlicher« Sprache Dogmatik »konkret« entfalten. – Rahners Beschäftigung mit Maria liegt schwerpunktmäßig in der Frühphase seines Schaffens. Nach dem II. Vatikanischen Konzil, das in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium, Kapitel 8, die Mariologie bedenkt, wird dieses im Blick auf andere theologische Herausforderungen für Rahner mehr ein »nebensächliches Thema« (398.440).
Der Vf. analysiert zunächst werkgenetisch die verschiedenen Schriften Rahners zu Maria: die »Assumptio-Arbeit« (1951/59), die er seinerzeit nicht veröffentlichen durfte (32–187), weiter die Predigten »Maria, Mutter des Herrn« (1956) sowie kleinere mariologische Arbeiten (206–230). Die Schriften werden zitiert nach dem von Regina Pacis Meyer mit redaktionsgeschichtlicher Einführung versehenen IX. Band der »Sämtlichen Werke« (2004) Rahners. Erwähnt sei, dass im Blick auf die Dogmenentwicklung Rahner bei den historischen Themen nicht über die Arbeiten von Martin Jugie und Karlo Balic´ hinausgehen will (35.343). Auch sei darauf hingewiesen, dass Rahner angesichts der vorgefundenen Defizite im entsprechenden Themenbereich seine »Theologie des Todes« in Quaestiones Dis­putatae, Band 2, als Exkurs in den Abschnitt »Eschatologie der seligen Jungfrau« der »Assumptio-Arbeit« integrierte (154 ff.).
Im Korpus der Dissertationsarbeit stellt der Vf. dann systematisch Rahners Mariologie als »konkrete Dogmatik« dar (231–396); auf diesen Teil ist schwerpunktmäßig einzugehen. Es folgen noch unter der Überschrift »brauchbar für den Alltag und seine Herbheit« pastorale, hodegetische, asketische und kybernetische Implikationen der Rahnerschen Mariologie. Das »Schlusswort« nennt kurz zukünftige Aufgaben: Dialog mit den Ostkirchen (464), Be­deutung der »Gottesmutter zwischen Klerus und Laien« für das Amtsverständnis (466 f.), das Verhältnis »Kirche der Sünder«, »sündige Kirche« und Maria als »vollkommenstes Glied« (467), den interdisziplinären Diskurs über das Leib-Seele-Verhältnis (470 f.), das Verständnis des Handelns Gottes (474), im Blick auf Marienerscheinungen die Beziehungen zwischen Privatoffenbarung, neurologischer Forschung und Glaubenssinn der Gläubigen (475).
Im Korpus der Arbeit expliziert der Vf. die Mariologie Rahners als »konkrete Dogmatik«. Auf dem Hintergrund der vom Heiligen Geist geleiteten mariologischen Dogmenentwicklung (238 f.261. 318), die ihre lehramtliche Dogmatisierung 1854 und 1950 durch den Papst erfuhr, haben die Theologen die Lehre von Maria, der Jungfrau und Gottesmutter, die »unbefleckte Empfängnis« und die »leibliche Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit« in und für die Kirche zu bedenken und zu lehren (49 f.234). In diesem Sinn verstand Rahner sich als kirchlicher Theologe. Es geht um die »Explikation dessen, was die Kirche schon immer über Maria geglaubt hat« (136).
Im heilsgeschichtlichen Zusammenhang erweist sich als »ma-­riologisches Grundprinzip« (124 ff.239.349.392.416) die Aussage von Maria als »die auf vollkommenste Weise Erlöste«. Im ewigen Be­schluss der Menschwerdung Gottes ist die ewige Erwählung Ma­riens miteinbegriffen (242), so dass sich auch Christologie, Gnadenlehre, Ekklesiologie, Anthropologie und Eschatologie wechselseitig ver- und einbinden als »konkrete Dogmatik«: Maria, Jungfrau, Gottesmutter, »vollkommenst Erlöste« (259.392), wird in ihrer Menschlichkeit als »Mittlerin aller Gnade« (269.274) und »Typ« der heilsvermittelnden Kirche (223.275 f.) bekannt, weil sie, bewahrt von der Erbsünde »aus dem Verdienst Christi« in der unbefleckten Empfängnis (352), in verwandelter Leiblichkeit zur himmlischen Herrlichkeit Gottes aufgenommen wurde und so »Urbild« der erlösten Menschen ist (392 f.).
Der Vf. nimmt verschiedentlich kurz Bezug auf kritische Argumente protestantischer Theologen: Schriftwidrigkeit (115f.181, auch 151 f.); aber auch H. Asmussen wird (88, Anm. 27) erwähnt. Die konfessionellen Unterschiede dis­kutiert der Vf. in recht ausführlicher (252–260) Darstellung des evangelischen Theologen Friedrich Wilhelm Künneth, »Maria, das römisch-katholische Bild vom Menschen. Der Zusammenhang von Anthropologie und Mariologie in der gegenwärtigen römisch-katholischen Theologie des deutschen Sprachraums« (1961). F. W. Künneth stellte zwei Richtungen der römisch-katholischen Mariologie fest: 1. die »bipolare« Sicht, die den freien personalen Akt der Mitwirkung Mariens an der objek­-tiven Erlösung neben der Erlösungstat Christi anerkennt; eine gewisse Analogie zeigt sich hier zu dem von Rahner kritisierten Heinrich Maria Köster, »Die Magd des Herrn« (1947). Die 2. Richtung, die »unipolare« Sicht, betont die heilsgeschichtliche Funktion der Mensch­heit Christi, dessen Akte auch Rahner als »auf unserer Seite stehend« erkennt (258), so dass in Maria nur eine »Il-lus­tration der Erlösung« zu erblicken ist (254). Tendiert die »bipolare« Sicht hin zu einer »Miterlöserschaft« Mariens, so die »unipolare« Sicht zu einer »Mittlerschaft« Mariens, die Rahner im Zusammenhang von Natur und Gnade (148.326 f.) einbindet in die Verbindung von Gnade und Freiheit als cooperatio der gnadenhaft Erlösten (269. 281); Rahner distanziert sich von einer »Miterlöserschaft« Mariens wie auch von jeglichem Synergismus, der Autonomie voraussetzt (270); er wendet sich gegen die »bipolare« Sicht. Gleichwohl bestehen im Verständnis des mariologischen Titels »Mittlerin«, der zum Bedauern evangelischer Theologen in Lumen gentium, Kapitel 8, neu aufgenommen wurde, konfessionelle Differenzen, die in der Chris­tologie angelegt sind, wie auch der Vf. zeigt (269 ff.). Dass in der chris­tologischen Naturenlehre konfes­sionelle Unterschiede be­gründet liegen, die im »Mitwirken« der menschlichen Natur Chris­ti ihre soteriologische Bedeutung in der Gnadenlehre, Mariologie und Ekklesiologie entfalten, wird gerade bei Gerhard Ludwig Müller (»Katholische Dogmatik«,1995) aufgezeigt (364 f.383.507 ff. 582.644 f.771 f.). Inwiefern die vom Vf. erwähnten Möglichkeiten Klaus Riesenhubers zu einer Synthese zwischen Rahner und Barth (408.436 f.) und Rahners Hinweise auf BSELK 806,43 f. und 33,15 (226.435) ökumenische Ansatzpunkte darstellen, wird offen bleiben müssen angesichts der korremptorischen Tendenzen in der rö­misch-katholischen Mariologie und Marienfrömmigkeit.
Die unfehlbaren Dogmatisierungen des päpstlichen Lehramts mit juridischer Qualität in den Bullen Ineffabilis Deus (8.12.1864) und Munificentissimus Deus (1.11.1950), die Dogmenentwicklung unabhängig von biblischen Schriftzeugnissen, eine Mariologie als »Integral« der Theologie, die theologischen Differenzen im »Mitwirken« und der vom II. Vatikanum in Lumen gentium, Kapitel 8, lehramtlich erhobene Mediatrix-Titel Mariens stellen ökumenische Stolpersteine dar (vgl. den interessanten Artikel von Karl-Heinz Menken: Ein Spielball heftiger Kontroversen. Das mariologische Schlusskapitel der Kirchenkonstitution, in: IkZ Communio 41, 2012, 652–668). Zugleich wird die evangelische Theologie und Kirche durch die Mariologie des frühen Rahner an die in der Heiligen Schrift und in den Bekenntnissen bezeugten polyphonen und pluriformen Aussagen zu Maria (Jungfrau und Gottesmutter) sowie an die Fülle der evangelischen Auslegungen des Magnificat in Verkündigung und Kirchenmusik erinnert.