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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

742–744

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Meckel, Thomas

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2011. 410 S. = Kirchen- und Staatskirchenrecht, 14. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-506-77198-8.

Rezensent:

Heike Lindner

Die staatskirchenrechtlich und rechtshermeneutisch hervorragende Arbeit von Thomas Meckel zur Stellung des konfessionell verantworteten Religionsunterrichts im Recht hat das Ziel, einen Beitrag für einen Dialog mit anderen Bezugswissenschaften, insbesondere der Religionspädagogik und den Rechtswissenschaften, zu leisten, der einer Gestaltung des Religionsunterrichts unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen und zugleich der Entfaltung von Spielräumen Rechnung trägt. Dazu setzt M. methodisch den Forschungsstand zum (römisch-)katholischen Kirchen recht in Be­zug zum Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Als Vor­gehensweise dient die der Kirchenrechtswissenschaft zugeordnete fachspezifische Hermeneutik und Methodik, die sich hier vor allem auf philologische und historisch-genetische Auslegungsformen stützt. Die kanonistisch verantworteten kirchenrecht­lichen Er­kenntnisse und religionsverfassungsrechtlichen Er­gebnisse ihrer Deutungen können eine wichtige Grundlage für rechts­wissenschaftliche und religionspädagogische Forschungen zum Selbstverständnis des Religionsunterrichts in Deutschland sein.
Anlass dieser lesenswerten Studie sind häufig gestellte Fragen, die die Stellung und Legitimation des Religionsunterrichts an der öffentlichen Schule betreffen, so z. B. die Frage, ob die Erteilung von konfessionellem Religionsunterricht überhaupt noch zeitgemäß sei, ob andere Formen des Religionsunterrichts, wie der konfessionell-kooperative Religionsunterricht oder der ökumenische Religionsunterricht, sinnvoll wären oder gar ein staatlich verantwortetes Fach Religionskunde eingerichtet werden sollte (20).
Teil I befasst sich mit den Regelungen zum Katholischen Religionsunterricht im Kirchenrecht und in weiteren kirchlichen Do­kumenten. Hierzu unterscheidet M. die Quellen vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und stellt die jeweiligen Entwick­lungslinien zum institutionellen und legitimatorischen Selbstverständnis des Religionsunterrichts im gesamtkirchlichen Kontext heraus. Die beiden Hauptquellen sind der Codex Iuris Canonici (CIC) aus dem Jahr 1917 und der CIC von 1983 und ihre jeweilige kirchliche Rezeptionsgeschichte. Kriterien der kirchenrechtlichen Analyse sind die Stellung, Aufgabe und Zielsetzung des Religionsunterrichts in Bezug auf Bildungs- und Erziehungsfragen, die Ausübungsformen des kirchlichen Lehramts, das Verständnis von Schule und ihrem allgemeinen Bildungsauftrag, die Rolle, Aufgabe und Funktion der Religionslehrkraft und seine kirchliche Beauftragung, die kirchliche Autorität und die staatliche Aufsicht, das Erziehungsrecht der Eltern und die Rolle des am Religionsunterricht teilnehmenden Schülers. Hierbei tritt das Katholische an den kirchenrechtlichen Deutungen – abgesehen von kirchentheoretisch-institutionellen Aspekten – insbesondere an der Stelle zutage, wo naturrechtliche Begründungen für ein Primat des Erziehungsrechts der Eltern vor dem des Staates, welches ebenso wie die Kirche in Gott seinen Ursprung hat, herangezogen werden (61). Aber es ist auch gerade an diesem Beispiel rechtsphilosophisch die subsidiäre Begrenzung der erziehungsrechtlichen Funktion des Staates im Blick, welche sich auch im Gegenüber der kirchlichen Mitverantwortung des Religionsunterrichts zeigt: Durch die naturrechtlichen Verankerungen werden kirchenrechtspolitisch mögliche rechtspositivistische Übergriffe seitens des Staates abgewehrt (64).
Die nachkonziliarischen Texte, insbesondere der geltende CIC/ 1983, stellen die Gesamtarchitektur von Katechese, Schulpastoral und Religionsunterricht auf ein sicheres Fundament, indem diese deutlicher als bisher bezüglich der jeweiligen Aufgaben und Zu­ständigkeiten voneinander unterschieden werden (92). Damit wird die Zielsetzung für den Religionsunterricht an der öffentlichen Schule geschärft: Als Teil der ganzheitlichen Erziehung gehört die religiöse Erziehung zur Gesamtbildung der Persönlichkeit der Schüler, weshalb umgekehrt die Schule die Aufgabe hat, »die ethische und religiöse Dimension der Kultur in den Blick zu nehmen« (96). Die kirchlichen Texte deuten das Selbstverständnis des konfessionell verantworteten Religionsunterrichts als notwendigen Be­standteil des Allgemeinbildungsaufrags der öffentlichen Schule.
Als Mittel des kirchlichen Verkündigungsdienstes erhält der Religionsunterricht eine wichtige Funktion hinsichtlich der Ausbildung und Beauftragung von Laien im kirchlichen Verkündigungsdienst (111). Hier wird die Bedeutung der wissenschaftlichen Religionslehrerbildung betont, die – angesichts der kirchlichen Beauftragung – mit dem Recht des Gläubigen auf christliche Erziehung und der Erziehungspflicht der Eltern korrespondiert: Indem die Eltern ihre Kinder am Religionsunterricht teilnehmen lassen, trägt der Religionsunterricht als institutio et educatio catholica seiner Zielsetzung Rechnung (135): »Der systematische Ort der Be­stimmungen zum Religionsunterricht hat gezeigt, dass der Religionsunterricht Teil des kirchlichen Verkündigungsdienstes, Teil des Dienstes am Wort Gottes und Mittel der katholischen Erziehung am Ort und unter den Bedingungen der Schule ist« (142). Die Missio Canonica fasst dieses Selbstverständnis im Sinn einer besonderen Teilhabe am und Berechtigung für den amtlichen Verkündigungsauftrag der Kirche auf.
Mit den Beschlüssen der Deutschen Bischofskonferenz von 1969 wurden nicht nur die Rahmenbedingungen der Missio Canonica geklärt, sondern auch die notwendige pädagogisch-wissenschaft­liche Qualifikation der Religionslehrkräfte betont. Mit dem Würzburger Synodenbeschluss (1975) wird die Konfessionalität des Religionsunterrichts triadisch definiert als Konfessionalität der Lehre, des Lehrers sowie in der Regel der Schüler, jedoch auch ökumenisch reflektiert, wenn von einer wechselseitigen Beziehung zwischen Glaubensfragen, der Sinn- und Gottesfrage und dem eigenem Leben die Rede ist (252).
Die Erkenntnisse aus dem römisch-katholischen Kirchenrecht werden im zweiten Teil der Arbeit von M. mit dem Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland in Beziehung gesetzt – mit dem Ergebnis, dass der konfessionell verantwortete Religionsunterricht im säkularen und wertneutralen Verfassungsstaat nicht nur eine Existenzberechtigung hat, sondern auch im Hinblick auf das Neutralitätsgebot des Staates notwendiger Ausdruck der individuellen und korporativen positiven Religionsfreiheit ist (256). Gerade am Religionsunterricht als res mixta zwischen Staat und Kirche lässt sich zeigen, warum ein laizistisches Trennungsmodell (268), wie es zum Beispiel in Frankreich seit 1919 praktiziert wird, aber auch andere Formen von Religionsunterricht – wie z. B. das Fach »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde« (LER) in Brandenburg (338) oder das Hamburger Modell »Religionsunterricht für alle« (342) – im Hinblick auf die religiöse Frage als Grundrechtsfrage unzureichend und nicht verfassungskonform sind. M. be­gründet das mit der viel zitierten Überzeugung des ehemaligen Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, derzufolge der Staat von Voraussetzungen bzw. Werten lebt, die er aufgrund seiner Wertneutralität jedoch nicht selbst schaffen und gewährleisten kann (ebd.). Infolge gründlicher Interpretation der Bestandteile des Artikels 7 Absatz 3 GG in Verbindung mit den kirchenrechtlichen Texten gelingt es M., die Bedeutung und Tragweite des religionsverfassungsrechtlichen Status für den konfessionell verantworteten Religionsunterricht differenziert zu begründen und damit auch seine Anschlussfähigkeit an die Einrichtung und Durchführung von Religionsunterricht in Verantwortung anderer Religions­gemeinschaften aufzuzeigen.