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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

736–737

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Zweifel, Thomas D., u. Aaron L. Raskin

Titel/Untertitel:

Der Rabbi und der CEO. Was Führungskräfte von den Zehn Geboten lernen können. Aus d. Amerik. v. B. Döbert.

Verlag:

Wien: Linde Verlag 2012. 332 S. Geb. EUR 24,90. ISBN 978-3-7093-0363-4.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Viele wirtschaftsethische Bücher nehmen sich eklatanter Probleme an. Von dieser Voraussetzung aus könnte man sich bei einem Werk, das sich an Führungskräfte wendet, eine strenge Abrechnung mit geldgierigen oder korrupten Managern erwarten. Doch eine solche Schelte legen der Rabbiner Aaron L. Raskin und der Unternehmensberater und ehemalige CEO (= Vorstandsvorsitzender einer Kapitalgesellschaft) Thomas D. Zweifel nicht vor. In einer Zeit, in der in der Tat viele Führungskräfte ihre moralische Orientierung verloren haben und hierarchische Führungsmodelle gescheitert sind, wollen sie zeigen, dass sich auf dem Fundament der Zehn Gebote ein Modell für eine zeitgemäße Führung in der Wirtschaft errichten lässt, das ethisch geprägt ist.
Diesen Versuch, einen rund 3000 Jahre alten Text aus religiösem Kontext heute auf die Sphäre der Ökonomie zu beziehen, kann man aus theologischen Gründen kritisieren, doch machen gerade diese kreativen Interpretationen der Autoren die Bedeutung des Buches aus. Im Folgenden stelle ich kurz die Intentionen der Gebotsinterpretationen vor. Das erste Gebot reduzieren die Autoren auf das Exo­dus-Motiv, Ägypten zu verlassen und so »die eigene Begrenztheit« (41) zu überwinden, genauso wie es Mose vorexerziert hat. Das zweite Gebot, sich »keine Götzen zu schaffen«, verlangt »authen­tisch« (75) zu bleiben. Das dritte Gebot »Nicht vergeblich reden, sondern durch Sprache führen« (103) setzt rüden Kommandostrukturen in der Wirtschaft eine Motivation zum Handeln entgegen, die auf Zuhören und Kommunikation beruht. Das vierte Gebot »Den Sabbat heiligen und Nein sagen zu lernen« (128) fordert jenseits jeder Hektik des Arbeitstages auf, sich Zeit zur Kontemplation zu nehmen, um sich so auf das konzentrieren zu können, was wirklich wichtig ist. Das fünfte Gebot »Vater und Mutter ehren, denn An­-erkennung macht mächtig« (152) weist auf die hohe Bedeutung hin, die in der Anerkennung anderer Menschen liegt. Das sechste Gebot »Nicht töten, sondern konstruktiv mit negativen Gefühlen umgehen« (172) verlangt die Umwandlung der in den Aggressionen liegenden negativen Energie in positive. Das siebte Gebot: »Nicht ehebrechen, sondern integer bleiben« (200) spricht sich mit der Forderung nach menschlicher Integrität für die Einheit von Wort und Tat aus. Das achte Gebot »Nicht stehlen, sondern etwas zurückgeben« (226) interpretiert den Besitz als Verpflichtung zur Freigiebigkeit, die eine humane Welt ermöglicht. Das neunte Gebot »Kein falsches Zeugnis ablegen, sondern Einbrüche in Durchbrüche um­münzen« (224) kommt in einer sehr freien Interpretation daher, das Scheitern nicht als Anlass zum Aufgeben zu nehmen, sondern als Ansporn zu einem Durchbruch. Das zehnte Gebot »Nicht andere beneiden, sondern sich in sie hineinversetzen« (267) beharrt nicht auf dem eigenen Standpunkt, sondern ermuntert zu einem Perspektivenwechsel, dessen große Bereicherung darin besteht, die Welt einmal wie der Kunde, der Wettbewerber oder der Gegner zu sehen.
Diese Ausführungen stellen keine zwanghafte Aktualisierung der Zehn Gebote dar, sondern zeigen Anregungen auf, die von ihnen für die oftmals gescholtenen Führungskräfte der Wirtschaft ausgehen könnten. So wird auf die bleibende Bedeutung der Zehn Gebote hingewiesen und durch den fortwährenden argumentativen Bezug auf Tora, Talmud und Kabbala die tiefe Einsicht dieser religiösen Tradition in menschliche Verhältnisse herausgestellt, die auch für das 21. Jh. aktuelle Lektionen bereithält. Interessant an diesem Buch sind zudem die zahlreichen Fallbeispiele aus der Wirtschaft, auf die die Gebote konkret bezogen werden. Da­mit bleiben die vorgestellten Überlegungen nicht im sog. luftleeren Raum, son dern kommen in der ökonomischen Realität an. Eine allgemeine Erweiterung des angesprochenen Personenkreises wäre wünschenswert gewesen, um der alltagspragmatischen Bedeutung der Zehn Gebote eine noch größere Aktualität zu verleihen.