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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

729–731

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fourie, Willem

Titel/Untertitel:

Communicative Freedom. Wolfgang Huber’s Theological Proposal.

Verlag:

Wien u. a.: LIT-Verlag 2012. 240 S. = Theologie in der Öffentlichkeit, 3. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-643-90145-3.

Rezensent:

Frederike van Oorschot

Die Studie des südafrikanischen Theologen Willem Fourie ist geleitet von dem Anliegen, Wolfgang Hubers Konzept der kommunikativen Freiheit als theologische Auseinandersetzung mit der Moderne darzustellen (14.204). Dazu rekonstruiert F. zunächst Hubers Ansatz als Aktualisierung des reformatorischen Freiheitsbegriffs (17.27). Dieser wird zur Affirmation und Erneuerung der Moderne (89) und für die Reflexion des Freiheitsbegriffs in Südafrika zur Geltung gebracht (23). Die Studie des heute in Pretoria als Senior Lec­-tur­er tätigen Ethikers ist eine überarbeitete Fassung der 2009 an der Universität Stellenbosch eingereichten Dissertation, die von Professor Dirk Smit betreut wurde.
Im ersten Hauptteil stellt F. den Freiheitsbegriff Hubers auf der Grundlage seiner theologischen Quellen (Paulus, Luther, Bonhoeffer) dar. Die paulinischen Aussagen im Galaterbrief zur Freiheit als Geschenk Gottes bilden für Huber den Kern des Freiheitsbegriffs (30–32). In der Lutherinterpretation Hubers hebt F. die Verbindung von individueller und sozialer Freiheit hervor (33.37–41): Während das Individuum durch die von Gott geschenkte Befreiung zur positiven Freiheit befähig wird, zeigt Hubers Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre die Implikationen dieser Freiheit für die Sozialität des Menschen auf (41–47). Im Anschluss an Bonhoeffers Ausführungen zum »Lebensakt« betont Huber die Notwendigkeit der konkreten »wirklichkeitsgemäßen« Realisierung der Freiheit (48), welche durch die Verbindung von Freiheit und Verantwortung gekennzeichnet ist (51–54).
Ausgehend von den dargestellten theologischen Quellen benennt F. Unveräußerlichkeit, Relationalität und Kontextualität als entscheidende Merkmale der kommunikativen Freiheit bei Huber: Da die Freiheit des Menschen in der Initiative Gottes wurzelt, ist sie dem Menschen unveräußerlich (73). Zugleich begründet die in der Schöpfung zum Ausdruck kommende Selbstbegrenzung Gottes den konstitutiven Bezug der Freiheit zur Verantwortung (73), welche nur im Sein für andere verwirklicht werden könne (78). Kontext der Freiheit bilden die Sünde und die konkreten sozio-kulturellen Realitäten (81). In diesem Sinn zeigt der von Theunissen geprägt Begriff der kommunikativen Freiheit für F. den öffentlichen Charakter der Freiheit auf und schließt »the gap between individualised and overly communitarian understanding of freedom« (69).
Im zweiten und dritten Hauptteil stellt F. Affirmation und Erneuerung der Moderne durch Hubers Freiheitskonzeption dar. Eine critical affirmation of modernity (90) sieht er erstens in der zentralen Bedeutung des Individuums, welche sowohl in der Würde des Individuums (90–106) als auch in der Verbindung von Freiheit und Verantwortung deutlich wird (106–117). Zweitens bildet die moderne Gesellschaft für F. »the space for realisation of freedom« (117) durch Säkularisierung, Demokratie und Pluralismus. Im Rahmen eines enlightened secularism (118) bestehe daher eine kritische Solidarität zwischen Demokratie und Christentum (132). Maßstab für die Erneuerung der Moderne durch das Konzept der kommunikativen Freiheit ist für Huber die Menschenwürde (159.182). Dies zeigt F. an Hubers Überlegungen zu Fortschritt und Selbstbegrenzung, der Verbindung von Freiheit und Gleichheit im Konzept der »verbundenen Gerechtigkeit« (173–176) und einem religiösen Dialog in convinced tolerance (197) auf.
In seinen abschließenden Bemerkungen bietet F. leider nur sehr knapp die angekündigte Entfaltung der Implikationen für den südafrikanischen Kontext. Kritisch verweist er auf die notwendige Weiterführung der liberation zu freedom im beschriebenen Sinn und auf die Breite des biblischen Zeugnisses zur Beschreibung der öffentlichen Rolle der Kirche (208). Die Veränderungen dieser Rolle durch die Prozesse der Globalisierung bilden für F. abschließend die Aufgabe zur Weiterentwicklung des Konzepts der kommunikativen Freiheit (211–213).
Auch wenn Hubers Ethik in der deutschen theologischen Landschaft bereits bekannt ist, bietet diese Studie eine wertvolle Zusam­menschau seiner Theologie. F.s systematischer Ansatz an Hubers Freiheitsbegriff erlaubt eine erstaunliche Weite in die Verästelungen der huberschen Ethik (Menschenwürde, Demokratie- und Pluralismusbegriff etc.). Es ist das Verdienst dieser Arbeit, diese Weite systematisch aufzuarbeiten. F.s systematischer Ansatz hat dadurch jedoch die Schwäche, weder die Entwicklungen und Spannungen in Hubers Konzept noch den unterschiedlichen Charakter der als Primärtexte herangezogenen Quellen berücksichtigen zu können. Gerade im Hinblick auf die vielfältigen Tätigkeits- und Publikationszusammenhänge Hubers wäre diese Differenzierung wünschenswert. Das entscheidende Desiderat dieser Arbeit stellt die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Moderne dar. Der Verweis auf Becks Analyse der Moderne (22) reicht dazu ebenso wenig aus wie die Nennung von Individualisierung (90), Säkularisierung (117), Demokratie (130), Pluralismus (141) und Fortschrittsgläubigkeit (153) als Kennzeichen der Moderne bei Huber. Diese schwache Begriffsbestimmung schwächt die Überzeugungskraft der Kernthese F.s von der kritischen Affirmation und Erneuerung der Moderne durch das Konzept der kommunikativen Freiheit entscheidend. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem huberschen Gebrauch dieses Begriffs hätte zudem der angestrebten Konzeptualisierung der »Modernität« für den südafrikanischen Kontext (22 f.) dienlich sein können. Trotz dieser Schwächen bietet die Arbeit eine überzeugende Darstellung des Konzepts der kommunikativen Freiheit bei Huber im Nexus seiner theologischen Quellen, deren stilistische und systematische Klarheit sowohl einen Einstieg in Hubers Ethik ermöglichen kann als auch vertiefende systematische Perspektiven eröffnet.