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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

719–721

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Maly, Sebastian

Titel/Untertitel:

Kant über die symbolische Erkenntnis Gottes.

Verlag:

Berlin u. s.: De Gruyter 2011. XIV, 461 S. = Kantstudien. Ergänzungshefte, 165. Geb. EUR 109,95. ISBN 978-3-11-026079-3.

Rezensent:

Martin Fritz

»Das Symbol ist die Sprache der Religion.« (Paul Tillich) An diesem Grundsatz scheiden sich die Geister. Für die einen eröffnet er eine lichtvolle Perspektive, um der religiösen Rede unter aufgeklärten Bedingungen Legitimität zu verschaffen. Für die anderen bedeutet er geradezu den sprachtheoretischen Sündenfall der Theologie: Denn wie soll die »Wissenschaft von Gott« noch Geltungsansprüche erheben, wenn die Sätze des Glaubens ins Zwielicht des »bloß Symbolischen« rücken?
Beide Parteien können sich in ihrem Urteil durch die Herkunft jenes Gedankens bestätigt sehen. Immerhin stammt der erste prominente Ansatz zu einer religionsphilosophischen Symboltheorie von keinem Geringeren als Immanuel Kant, dem philosophischen Begründer der Moderne und »Alleszermalmer« aus dem Osten. Kant hat zum ersten Mal die Ansicht formuliert, dass »alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch« sei. Aber was besagt diese Wendung? Und welche Stellung kommt ihr in Kants Religionsphilosophie zu? Mit der preisgekrönten (Richard-Schaeffler-Preis 2011) Siegener Dissertationsschrift von Sebastian Maly, einem Schüler der katholischen Kant-Forscher Dieter Schönecker und Friedo Ri-cken, liegt nun erstmals ein monographischer Versuch zur Klärung dieser Fragen vor.
Die angeführte Wendung stammt aus § 59 der Kritik der Urteilskraft (»Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit«), wo es in einer Art Nebenbemerkung heißt:
Wenn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Prinzip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist, was er an sich [ist], sondern der praktischen, was die Idee von ihm für uns und den zweckmäßigen Gebrauch derselben werden soll, wohl erlaubt ist): so ist alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch; und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand, Wille, u.s.w., die allein an Weltwesen ihre objektive Realität beweisen, für schematisch nimmt, gerät in den Anthropomorphism, so wie, wenn er alles Intuitive weglässt, in den Deism, wodurch überall nichts, auch nicht in praktischer Absicht, erkannt wird.
Dieser Satz versteht sich nicht von selbst. Es erscheint auch keinesfalls übertrieben, seiner Erläuterung ein ganzes Buch zu widmen – darauf läuft das Unternehmen von M. nämlich hinaus: Unter Beiziehung verschiedener verstreuter Äußerungen Kants soll der Sinn des zitierten Schlüsselsatzes erhoben werden. M. wählt dazu das Verfahren der »kommentarischen Interpretation«: In mikroskopischen Analysen der kantischen Darlegungen werden nachvollziehbare (obgleich nicht immer zwingende) Interpretationsergebnisse erzielt. Diese »sehr kleinteilige und langwierige Arbeit am Text« (8) hat den Nachteil, dass sie begriffsgeschichtliche und systematische Horizonte weitgehend abblendet – um von den Zumutungen an die Geduld des Lesers zu schweigen.
M.s Arbeit umfasst zwei Hauptteile: Der erste behandelt Kants Symbolbegriff als solchen, insbesondere in seinem Verhältnis zum Begriff der Analogie, der zweite beleuchtet vor diesem Hintergrund Kants Konzept der symbolischen Gotteserkenntnis.
Eine Detailanalyse der Detailanalysen ist hier nicht möglich. Es soll zunächst nur pauschal notiert werden, dass die Lektüre manche Einsichten gewährt. Erhellend sind z. B. die Ausführungen zur paritas rationis als Bedingung des Analogieschlusses (55 ff.). Einige Auslegungen allerdings wollen gar nicht einleuchten: So hätte sich etwa die aufwändige Konstruktion (256 ff.) in der Erklärung des oben zitierten Satzes erübrigt, wäre nicht vorschnell »bloße Vorstellungsart« durch »symbolische Vorstellungsart« ersetzt worden (220).
Ich will hier nur auf das systematische Ergebnis des Buches eingehen, das den Kern von Kants Religionsverständnis betrifft. Kurz gesagt will M. in Kants Rede von der »symbolischen Erkenntnis Gottes« trotz naheliegender Einwände den Ausdruck »Erkenntnis« doppelt unterstreichen: Gegen alle »naiv realistischen« Auffas­sungen von Theologie, vor allem aber gegen eine »anti-realistische« Position, welche die symbolische Gottesvorstellung »bloß« als Produkt von Selbstdeutungsvollzügen des Subjekts einstuft, wird Kant als Kronzeuge eines »moderaten theologischen Realismus« (426) aufgerufen, der beansprucht, »wahrheitsfähige Aussagen über Gott treffen zu können« (430), wenn auch in einer gewissen er­kenntniskritischen Brechung. Mit einem Wort: Kants symbolische Gotteserkenntnis wird als moderne Variante des thomanischen Begriffs analoger Gottesrede verstanden (obwohl in einer Fußnote eingeräumt wird, dass sich die dazugehörige analogia entis bei Kant »nicht auffinden« [72] lässt). Der Königsberger als Wiedergänger des Aquinaten – geht hier alles mit rechten Dingen zu?
M. betreibt in seinen Exegesen keineswegs grobe Verzeichnungen, um zu jenem Ergebnis zu gelangen; dazu genügen gewisse sprachliche und gedankliche Unschärfen, die sich durch das gesamte Buch ziehen. Zum Beleg mag die Auseinandersetzung mit dem »theologischen Anti-Realismus« (416–425) dienen. Schon die vorgeführte Reihe von Anti-Helden stimmt skeptisch; werden doch mit Petra Bahr, Ulrich Barth und Hans Vaihinger drei Kant-Auslegungen von recht unterschiedlichem Zuschnitt und Gewicht über einen Leisten geschlagen. Natürlich hat M. Recht, dass die anthropomorphe Gottesvorstellung für Kant nicht die Externa­lisierung eines unbestimmten Gottesbewusstseins darstellt, wie Bahr meint (Darstellung des Undarstellbaren, 2004) – hier wurde Kant offenbar mit Schleiermacher-Brille gelesen. Ebenso geht natürlich auch Vaihingers radikaler Fiktionalismus an der kantischen Lehre der symbolischen Gotteserkenntnis vorbei. Damit ist aber noch nicht die Auffassung Barths getroffen, Kant konzipiere die praktisch-notwendige Annahme eines moralischen Welturhebers als einen Akt der religiösen Selbstdeutung des Subjekts.
M. hebt demgegenüber »die ontologische Seite« (420) von Kants Gottesbegriff hervor, indem er – alle vorausgegangenen Ausführungen über die Differenz zwischen »Schließen« und »Denken« nach der Analogie (51 ff.) konterkarierend – nun doch behauptet, dass Kant in der Postulatenlehre »auf das Dasein eines höchsten Wesens schließt« (418), wenn auch »nur mittels eines praktisch-moralischen Arguments« (420). »Unsere analogische Erkenntnis Gottes« hat »objektive Realität […] in praktischer Rücksicht« (421). Was aber soll das bedeuten? Diese Wendung hätte einer präzisen Erläuterung bedurft. Ihre Funktion bei M. freilich ist klar: Die Inanspruchnahme »objektiver Realität« soll die »symbolische Gotteserkenntnis« unter der Hand doch wieder in die Nähe theoretischer Erkenntnis rücken, auch wenn der relativierende – aber völlig ungeklärte – Zusatz »in praktischer Rücksicht« nicht fehlt. Die eigentümliche Signatur der »Glaubenserkenntnis« der praktischen Vernunft bleibt dunkel.
»Zuerst wird zu jedem Beweise erfordert: dass er nicht überrede, sondern überzeuge« (KdU, § 90). M.s Argumente sind zu unscharf, um dieses Kriterium zu erfüllen. Sie entwickeln keine überzeugende Alternative zu der Ansicht, der Begriff des Welturhebers verdanke sich Kant zufolge einer symbolisierenden und analogiebildenden Deutungsleistung der reflektierenden Urteilskraft – woraus sich für die Annahme vom Dasein jenes Welturhebers der logische Status einer (praktisch notwendigen) Hypothese ergibt. Dass sich vermutlich mancher Theologe von selbigen Argumenten gerne überreden lassen wird, steht auf einem anderen Blatt.