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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

717–719

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Joas, Hans

Titel/Untertitel:

Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Chris­tentums.

Verlag:

Freiburg u. a.: Herder 2012 (2. Aufl. 2013). 260 S. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-451-30537-5.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Neben den Menschenrechten und der Menschenwürde zählen Religion und Christentum zu den Themenfeldern, denen sich der in Freiburg und Chicago lehrende Soziologe Hans Joas schon in mehreren Büchern reflektierend gewidmet hat. Nach dem Aufsatzband »Braucht der Mensch Religion?« legt der Sozialwissenschaftler nun einen weiteren Band mit Essays und Aufsätzen vor, die sich alle mit den »Zukunftsmöglichkeiten des Christentums« – so der Untertitel des Buches »Glaube als Option« – beschäftigen. In kritischer Absicht rechnet J. dabei zunächst mit zwei Großraumbegriffen soziologischer Theoriebildung ab, die als Erben alter idealistischer geschichtsphilosophischer Konstrukte ein zähes Eigenleben zeigen und in ihrer Abstraktheit analytisch in die Irre führen.
Mit dem Begriff der Säkularisierung verbindet sich die These der fortschreitenden Auflösung aller Formen von Religion bis zu ihrem sozialen Untergang. Diese hartnäckig langlebige These allerdings, so J., erweist sich eher als unfrommer Wunsch denn als empirisch zu belegende Theorie. Der genaue Blick auf die religiösen Verhältnisse in unterschiedlichen Gesellschaften ergibt sehr differen­zierte Einbindungen von Religion in die Gesellschaft. Diese diffe­renzierte empirische Wahrnehmung erweist sich als wirksames Gegengift gegen soziologische Theorien, die der Wirklichkeit übergestülpt werden. Der prognostizierte Untergang der Religion lässt sich em­pirisch jedenfalls nicht belegen, wohl allerdings ein tiefgreifender Veränderungsprozess in der Rolle von Religion. Wenige osteuropäische Staaten mit einem hohen Prozentsatz von Menschen, die keiner Religion angehören, erweisen sich als Ausnahme von der Regel.
Ähnliches gilt für die Begriffe der Moderne und der Modernisierung. Beide enthalten genügend Hohlräume, um aktuelle und modische Zeitdiagnosen – Pluralisierung, Individualisierung und anderes – in sich aufzunehmen. Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass die Deutungsansprüche an die Reichweite höher sind als der empirische Gehalt. Moderne nimmt ganz unterschiedliche Gestalten an, je nachdem, welche Gesellschaft man betrachtet.
Mit Hilfe dieser kritischen Betrachtung aktueller Konzepte der Säkularisierung und der Modernisierung gewinnt J. Raum für die Betrachtung der Religionen und des Christentums. Zu defensiven Argumenten und zu Untergangsprognosen sieht J. überhaupt keinen Anlass.
Trotzdem sieht er für das Christentum eine Reihe von wichtigen Herausforderungen, die Selbstwahrnehmung, Selbstbewusstsein und öffentliche Darstellung betreffen.
In dieser Hinsicht scheinen mir vor allem die beiden abschließenden Beiträge »Die Zukunft des Christentums« (185–199) und »Intellektuelle Herausforderungen für das Christentum heute« (201–218) von Bedeutung. J. diagnostiziert für die Bundesrepublik die Auflösung traditioneller konfessioneller Milieus. An deren Stelle tritt ein überkonfessionell christliches Milieu, welches sich in Reaktion auf den religiösen Pluralismus innerchristlich sehr viel toleranter verhält. Die europäischen Entwicklungen des Christentums dürfen nicht überbewertet werden, ihnen stehen starke Zuwächse bei Kirchen in Lateinamerika, China und Korea gegenüber.
Im Anschluss an Ernst Troeltsch benennt J. eine Reihe von intellektuellen Herausforderungen an das Christentum. Es gelte, die Tradition christlicher Nächstenliebe in den gesellschaftlichen Diskurs über Werte neu einzubringen, um den individualistischen Engführungen Wirksames entgegenzusetzen. Gegen den szientistischen Naturalismus der Hirnforschung fragt J. neu nach den bleibenden Erträgen christlichen Personverständnisses. Dabei liegt ihm be­sonders an dem Zusammenhang von Würde, Menschenrechten und Sakralität der Person, die er schon in anderen Arbeiten bedacht hat. Und J. fragt, wie sich eine solche neue und verwandelte Sicht des Christentums in neuen Formen der Spiritualität ausprägt. Und er bemüht sich um ein neues Verständnis von Transzendenz, um im Dialog mit anderen abrahamitischen Religionen neu und sensibel für moderne philosophische Entwicklungen durchdenken zu können, was der alte Begriff der Menschwerdung Christi unter den Bedingungen moderner Philosophie bedeuten könnte.
Im Ergebnis gelangt J. zu einem differenzierten Bild des Chris­tentums, das sich weder von Untergangsprophezeiungen in die Depression führen lässt noch sich vor den Zumutungen moderner Entwicklungen in die starren Schutzmauern eines binnenkirchlichen Konfessionalismus oder gar Fundamentalismus zurück­zieht.
J.s Überlegungen sind aus der Perspektive eines engagierten, intellektuellen Katholiken in einer großen ökumenischen Offenheit geschrieben. Seine Überlegungen stehen in dreifacher Weise an einer Schnittstelle: im ökumenischen Dialog, im Dialog der Religionen und im Dialog des Christentums mit den Herausforderungen moderner Gesellschaft. Dass J. genau diese drei Diskussionsfelder miteinander verbindet und die inneren Berührungspunkte dieser Dialoge aufzeigt, das ist das große Verdienst dieses Bandes.