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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

715–717

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Godfrey, Joseph J.

Titel/Untertitel:

Trust of People, Words, and God. A Route for Philosophy of Religion.

Verlag:

Notre Dame: University of Notre Dame Press 2012. 498 S. Kart. US$ 49,00. ISBN 978-0-268-03001-8.

Rezensent:

Simon Peng-Keller

In seiner Einleitung bezeichnet der Jesuit Joseph J. Godfrey sein Buch als religionsphilosophischen Essay. Das trifft für den Stil mancher Passagen zu. Die Bezeichnung ist gleichwohl ein Understatement. Was G. vorlegt, ist wohl die bisher reichhaltigste religionsphilosophische Monographie zum Thema Vertrauen. Sie räumt dem Vertrauen – in Personen, Worte und Gott – eine Schlüsselrolle in »theistischen Religionen« ein. G. konzentriert sich im Wesentlichen auf das Christentum, nicht ohne jedoch einige Seitenblicke auf andere religiöse Traditionen zu werfen. Zwischen dem Gottvertrauen und dem Vertrauen in Personen und Worte vermutet G. einen wechselseitigen Zusammenhang. Methodisch wird vom Vertrauen als einem Kernmoment religiöser Praxis ausgegangen. Im Unterschied zur epistemischen Intentionalität des be­liev­ing zeichne sich trusting durch eine praktische Intentionalität aus. Diese praktische Intentionalität hält G. gegenüber der epistemischen Intentionalität insofern für basaler, als er auch im believing das Vertrauen am Werke sieht.
G. unterscheidet zwischen vier Dimensionen des Vertrauens. Dass er von Dimensionen und nicht Typen spricht, ist für seine Konzeption bedeutsam. Das Modell wurde durch die aristotelische Lehre von den vier Ursachen angeregt. Als erste Dimension, die als Reliance-Trusting bestimmt wird, betrachtet G. das Sich-Verlassen auf jemanden oder etwas im Hinblick auf je besondere Handlungsfelder. Das Ich-Du-Vertrauen, das G. als zweite Dimension beschreibt, sei nicht als generalisierte Form des reliance-Vertrauens zu betrachten. Die spezifischen Erwartungen treten hier in den Hintergrund. Im Unterschied zum reliance-Vertrauen habe das Ich-Du-Vertrauen nicht einen instrumentalen Charakter, sondern sei eine Selbstübergabe an den anderen um des anderen bzw. der Beziehung willen (»I trust you with myself, for us, because of you«, 39). Solches Vertrauen ist vornehmlich in Freundschafts- oder Liebesbeziehungen zu finden. Die dritte Dimension des Vertrauens wird Security-Trusting genannt. Obwohl G. es als Vollzug, als trust-ing beschreibt, scheint es dabei eher um eine affektive Einstellung zu gehen. Die Urbilder, die angeführt werden, sind das in den Armen der Mutter schlafende Kind und das Stehen auf festem Boden: »I rest-in or rest-on, I lean back, relax. I sense ground be­-neath my feet« (45). Die letzte Vertrauensdimension wird als Openness-Trusting bezeichnet. Es besteht in der Bereitschaft, sich auf die Wirklichkeit einzulassen und sich von ihr überraschen zu lassen. Das Openness-Trusting hat gegenüber den anderen Vertrauensdimensionen eine Sonderstellung. Es gleicht nach G. einem Hintergrund, vor dem die anderen Vertrauensdimensionen ihr Profil und ihre Form gewinnen.
Um sein Konzept des Vertrauens zu profilieren, stellt G. es in den Kontext der jüngeren philosophischen und sozialwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion. Gegenüber Vertrauenskonzepten, die Vertrauen und Glauben (believing im Sinne einer Einschätzung von Vertrauenswürdigkeit) assimilieren oder Vertrauen als Erwartungshaltung interpretieren, betont er den Handlungscha­rakter des Vertrauens. In Auseinandersetzung mit Anette Baier wird herausgearbeitet, dass Vertrauen zwar immer Formen der Abhängigkeit und der Hilfsbedürftigkeit beinhaltet, jedoch nicht in je­dem Fall bedeutet, sich verletzlich zu machen. Nicht immer bedeute Vertrauen ein Risiko. Es sei auch nicht notwendigerweise eine bewusste Wahl. Charakteristisch für Vertrauen sei vielmehr »the ›positive‹ ability of receptivity or welcome« (126). Eine prägnante Formulierung, die sich an Raymondo Panikkar anlehnt, lautet: »To trust is to be receptive to enhancement« (88; vgl. 353).
Unklar bleibt, wie sich diese konzeptionelle Festlegung, die Vertrauen als Disposition beschreibt, zu G.s Betonung des Handlungscharakters des Vertrauens verhält. Das Anliegen, das seine Überlegungen leitet, ist jedoch deutlich. Die gesuchte Vertrauenskonzeption soll für alle Vertrauensformen gelten, auch für das Gottvertrauen. Dieses lasse sich analog zu nichtreligiösen Vertrauensformen konzeptionalisieren und ebenso wie diese vierdimensional beschreiben: Gottvertrauen bedeute, sich im Vertrauen auf eine bestimmte Heilslehre (Openness-Trusting) Gott als vertrautes Du (Ich-Du-Vertrauen) und unbedingt verlässlichen Halt (Secur­ity-Trusting) zu betrachten und sich unbedingt auf Gott zu verlassen (Reliance-Trusting). Indem G. faith als »disposition of trust« (348) bestimmt, versteht er solches Gottvertrauen als Inbegriff des religiösen Glaubens. Da Liebe und Hingabe sowie die Zustimmung zu bestimmten Glaubensinhalten ihrerseits Vertrauen voraussetze, sei Vertrauen das zentrale Moment einer religiösen Lebenshaltung. Das gelte nicht allein für das Christentum: »My proposal is that most of what is characterized as faith or devotion or untroubledness in religions is recognizable in these forms of trust« (354).
G.s Untersuchung schreitet, der Aufbaulogik katholischer Fundamentaltheologie folgend, vom allgemein Religiösen zum spezifisch Christlichen fort, um schließlich auch die Rolle der kirchlichen Kommunikation des Vertrauens zu thematisieren. Dabei zeigt sich, dass die drei Vertrauensformen, die G. als Titel und Leitfaden für seine Studie gewählt hat – Vertrauen in Menschen, Worte und Gott – nicht allein analog zu beschreiben sind, sondern sich im konkreten religiösen Lebensvollzug eng miteinander verschränken. Die Religionsphilosophie beschränkt sich nach G. darauf, die Problemfelder zu umreißen. Das Verhältnis zwischen dem Gottvertrauen und dem Vertrauen in Christus und die Kirche im Detail zu bestimmen, sei Aufgabe der Theologie. Die Studie mündet in einer Art Ethik des Gottvertrauens. Sie hat zu unterscheiden zwischen angemessenen und problematischen Formen des Gottvertrauens. Unangemessen sei es, so heißt es im Anschluss an Thomas von Aquin, von Gott vertrauensvoll zu erwarten, was man selbst tun könnte und sollte.
Die Diskussion mit der aspekt- und materialreichen Vertrauensstudie G.s kann an mehreren Punkten einsetzen. Geht das beeindruckende vierdimensionale Vertrauenskonzept nicht von der problematischen Prämisse aus, unterschiedliche Formen des Vertrauens würden sich letztlich in einem gemeinsamen Vertrauensphänomen treffen? G.s Versuch, verschiedene Phänomene und Aspekte in ein einziges Vertrauenskonzept zu integrieren, das dann in analoger Weise auch das Gottvertrauen zu umfassen vermag, ist jedenfalls spannungsreich. Manches wird darin angedacht, ohne systematisch weiter entfaltet zu werden. So verweist G. eingangs auf die Bedeutung der passiven Seite des Vertrauens, unterlässt es jedoch, sie in seiner Thematisierung des Gottvertrauens systematisch zur Geltung zu bringen. Die Sicht auf den Gabecharakter des Gottvertrauens wird durch die Frage nach seiner Angemessenheit weitgehend verdeckt. Als Alternative zum Ansatz bei der menschlichen Fähigkeit, zu vertrauen, böte es sich an, theologisch und religionsphilosophisch vom Vertrauen Gottes auszugehen, das die Möglichkeiten menschlichen Gottvertrauens erst hervorbringt.