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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

390–392

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Becker, Stefan Peter

Titel/Untertitel:

Erkenntnis und Gebet. Die pneumatologische Grundstruktur von Karl Barths dogmatischer Arbeit.

Verlag:

Bern-Berlin-Frankfurt/M.-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 291 S. 8o = Basler u. Berner Studien zur hist. u. syst. Theologie, 65. Kart. DM 80,­. ISBN 3-906753-45-X.

Rezensent:

Horst J. Eduard Beintker

B.s bemerkenswerte Dissertation an der Basler Universität teilt im Untertitel ihr wichtigstes Ergebnis mit, daß "die dogmatische Arbeit" Barths "eine pneumatologische Grundstruktur aufweist", indem "es sich in ihr um die Erkenntnis des dreieinigen Gottes handelt. Eine Erkenntnis wiederum, die nur in der Haltung des Gebets so genannt zu werden verdient" (80)! B. hebt es hervor, um zu postulieren, daß eben Barths hermeneutischer Zirkel, "eigentlich ein pneumatologischer ist". Denn "von Gott her" bestehe "die Bestimmung der menschlichen Erfahrung" durch die Erkenntnis des Wortes Gottes, und das heiße "im Werk des Heiligen Geistes und vom Menschen her in der Anrufung", will sagen im Gebet, wo Gottes Geist und des Menschen Geist zusammenkommen und "eine geistliche Erkenntnis, die Geschichte macht", begründen, "darin, daß er sich von diesem Geist bestimmen läßt". Hier liege "der Anfang des Aufstandes gegen die Unordnung der Welt", worauf Barth selbst oft in späteren Lebensjahren kam (236; vgl. 214, 166, 222, 232).

Die etwas einseitige Situationsbezogenheit im Ansatz mit der These von "oft vorhandene(r) Beziehungslosigkeit zwischen Erkenntnis und Gebet", jedenfalls "dessen stiefmütterliche Behandlung in der Dogmatik", ist für B. "mit ein wichtiger Grund", die Krise ­ von der er sich selbst nicht ausschließt ­, in der "sich das Gebet wie auch das Nachdenken" darüber gegenwärtig befinden, anzugehen und ziemlich eindeutig als Barths Paladin sie mit ihm zu überstehen. Er vermutet, "daß seine dogmatische Arbeit im Kern mit diesem Problem ringt", worin ihn unterstütze, daß Barths "Kirchliche Dogmatik eingerahmt ist von der Beschäftigung mit dem Gebet" (Vorwort), und hofft, mit der vorliegenden Arbeit einen weiterführenden Beitrag zum Zusammenhang Erkenntnis/Gebet zu leisten.

In der Einleitung (11-17) nimmt B. mit dem Thema des Exodus als eines je neuen Aufbruchs diesen Faden auf, wobei "die Haltung des Gebets von zentraler Bedeutung" sei und "zwei Grundelemente von Karl Barths dogmatischer Arbeit" eben "Erkenntnis und Gebet" es seien, "die nur als Paar begriffen werden können", weil "Erkenntnis ohne Gebet" nur "im Rahmen der Philosophie" bleibe und "Gebet ohne Erkenntnis" nach B. sogar "zum Aberglauben" führe (12 f.). In Barths Biographie visiert B. auch "Knotenpunkte" an, einmal die Abwendung vom liberalen Neuprotestantismus, "welche die dialektische Phase einleitete", sodann 1931 das Anselmbuch "in der Hinwendung zur Denkfigur der Analogie" (14). Am Ende der zweiten, die ganze KD bestimmenden Phase vermutet B. ein erneutes Aufbrechen: "Karl Barth stand am Ende seines Lebens vor einem dritten Wendepunkt", nämlich daß mit dem "Gebet geradezu als... Nahtstelle zwischen Dogmatik und Ethik... eine zielgerichtete Dynamik" entsteht, welche mit der Dogmatik "beinahe ganz in die Ethik umschlägt" (16). B. fragt demgemäß in Kapitel I nach dem Ort, in II nach dem Wesen und in III nach dem Akt des Gebets, m. a. W. zuerst "danach, wo es im Zusammenhang des Erkenntnisprozesses erscheint und inwiefern es diesen maßgeblich bedingt". In II wird es "selbst zum Gegenstand theologischer Erkenntnis" und in III widmet B. sich der "ethischen Bestimmung des Gebets", wesentlich gestützt "auf den mittleren Teil der Versöhnungsethik (KD IV/4n), auf die posthum als Fragment veröffentlichte Auslegung des Unservaters" (13 f.).

Das Ergebnis bei I lokalisiert "das Gebet im hermeneutischen Ansatz Barths, insbesondere im Anselmbuch" und hält fest: "Theologische Erkenntnis wächst mit innerer Notwendigkeit aus dem Glauben, der in der Theologischen Existenz seine subjektive und in der Überlieferung der Kirche seine objektive Seite hat". Glaube und insofern auch "Erkenntnis" wird nur möglich "aufgrund der Offenbarung Gottes in Christus. Auf diese nicht weiter hinterfragbare Tatsache antwortet der Mensch im Gebet, indem er Gott in seiner Offenbarung bejaht, ihm gehorcht und ihn wiederum um Glaubenserkenntnis bittet" (141). Dies schließt jeden Weg natürlicher Theologie und Religionsbegründung aus; immer "Gott selbst ist [es], der sich in Christus offenbart, der die Initiative ergreift und uns zur Erkenntnis führt" (170) und zum Gebet. Das sei "die Schwierigkeit, aber auch der Vorzug der pneumatologischen Grundstruktur dieser Art dogmatischer Arbeit" (175), wie B. in II mit Anwendung des hermeneutisch/pneumatologischen Zirkeldenkens z. B. gegen K. L. Schmitt, Karl Barth’s Theology of Prayer, 1980, sagt. B. hat in Verbindung von Barth und Hegel (154-156) eine entsprechende Denkbewegung mit "folgendem Dreischritt zusammengefaßt: ’Das theologische Denken sucht auf der Basis der äußeren Notwendigkeit, der Bibel (2), die innere Notwendigkeit des Glaubens zu ergründen, indem es zwischen Erkenntnis (1) und Gebet (3) oszilliert.’" (Selbstzitat von 37) "Dieses Oszillieren" impliziere "eine Bewegung, die permanent vom Heiligen Geist initiiert werden" müsse. "Seine Erkenntnis aber vollzieht sich wesentlich im Gebet" (180, vgl. 36 f., 77). Wenn B. diesen Satz auf das ganze Feld der dogmatischen Arbeit überträgt, aber doch G. Ebeling ­ W. Bernett mit atheistischem Vorwurf sowieso ­ im theologischen Kontext (110-139), auch H. Küng von solcher Erkenntnis als natürlicher Theologie verhaftet ausschließt, obwohl Barth viel näher bei Luther mit den erarbeiteten Ergebnissen sich befindet, als B. erfaßt hat, muß man das weitgehende Beiseitelassen der Forschung vor und nach Barth bedauern (vgl. Gebet. Dogmatisch in RGG3). Freilich nennt B., der gerade Bonhoeffer in etwa gelten läßt mit Nachfolge in Verbindung von Rechtfertigung und Heiligung ­ "mit diesem Ruf wird der Mensch in den hermeneutischen Zirkel der Gotteserkenntnis hineingenommen" (200) ­, in III "Größe und Grenze von Barths Theologie": Ihr eigne "einerseits eine Überzeugungskraft, der man sich schlecht entziehen kann. Andererseits... bleibt sie für jene verschlossen, die sich nicht in dem hermeneutischen Zirkel von Erkenntnis und Gebet befinden", wobei nach P. L. Berger "dieser theologische Ansatz einer Selbstsetzung" gleichkomme (212). ­ Weithin gibt die von J. M. Lochman begleitete Untersuchung mit verdienstvoller Aufschließung posthumen Materials eine lesbare Einführung in Barths dogmatische Arbeit, teilweise wird sie auch schwieriger zu verstehen sein und ist in den Konsequenzen nicht immer deutlich, was bei der Arbeit mit nur vermutbaren Positionen in Blick auf Barths letzte Entwicklung auch verständlich ist. Daß das "christliche Leben ­ ein einziges Gebet... über alle Sprachprobleme hinaus" wahrnehmbar ist und nach Barth der Christ für die Mitmenschen am besten darin ersichtlich (wird), "daß er ihnen das Bild eines seltsam menschlichen Menschen bietet" (KD IV/4n, S. 346) (255), daß der Christ also "sich der Welt in seinem Tun und Lassen als verstehender Hörer des Wortes kenntlich mache, das Wort selbst also in seiner Existenz auch der Welt zur Anzeige bringe" (254), und "in der Kraft der Liebe" das Gebet die Nahtstelle von Dogmatik und Ethik werden kann (213), hat der Vf. nachdrücklich an Barth aufgezeigt. Man stimmt zeitorientiert zu, wenn das Ziel der dogmatischen Arbeit die ethische Entscheidung sein soll, indem sich "als Mittelbegriff zwischen Dogmatik und Ethik" die Liebe als äußerst hilfreich erwies, "weil in ihr, die Erkenntnis als ganzheitlicher Lebensvorgang gesehen", nichts anderes sei "als das Wesen, der Gehalt des Gebets, und umgekehrt... das Gebet nichts anderes als die Gestalt der Liebe" ist (ebd.).